Harter Brexit wäre hart für das Pfund

Bei einem EU-Austritt ohne Vereinbarung droht eine Abwertung von 10 Prozent

Harter Brexit wäre hart für das Pfund

Die Wahrscheinlichkeit einer gütlichen Trennung zwischen der Europäischen Union und dem Vereinigten Königreich sinkt. Sollte es in knapp neun Monaten zu einem harten Brexit ohne Übereinkunft kommen, so würde das Pfund nach Schätzungen von Analysten um rund 10 % abstürzen. Damit würde die Parität zum Euro in greifbare Nähe kommen, nachdem der Kurs gestern wieder über 90 Pence je Euro kletterte.Von Stefan Schaaf, FrankfurtAuch die von den Brexit-Protagonisten versprochenen sonnenbeschienenen Hochebenen haben ihren Preis, im Fall der Briten in Form einer drastischen Pfundabwertung und damit eines deutlichen Verlusts an globaler Kaufkraft. Und dabei wachsen die Zweifel, ob der Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union (EU) zu Ende März 2019 tatsächlich den von den Brexit-Befürwortern versprochenen wirtschaftlichen Vorteil bringt. Hatten sie doch allerlei Lügen wie etwa über die Höhe frei werdender Mittel für das staatliche Gesundheitssystem NHS verbreitet und Warnungen von Experten zu Fake News degradiert. Und ebenjene sonnenbeschienenen Hochebenen beschworen, denen die Briten entgegengingen, wenn sie “Brüssel” erst die Kontrolle entrissen haben. Längst sind allerdings die “sunlit uplands” unter Briten zum Spottbegriff für die falschen Versprechungen der Brexiteers geworden.Von sonnigen Zeiten mag derzeit am Währungsmarkt im Hinblick auf das Pfund ohnehin niemand sprechen – obwohl die Bank of England erst vergangene Woche ihren Leitzins um 25 Basispunkte auf 0,75 % und damit erstmals über das seit der Finanzkrise bestehende Niveau angehoben hat. Im Gegenteil: Da mit jedem Tag ohne Einigung die Wahrscheinlichkeit eines Brexit ohne Vereinbarung, ein No-Deal Brexit, wahrscheinlicher wird, haben Analysten schon einmal durchgerechnet, welche Konsequenzen dies für das Pfund haben würde. Ihr Ergebnis: Vom aktuellen Niveau droht Sterling in diesem Fall eine unmittelbare Abwertung von rund 10 %. Dies würde in etwa der ersten Reaktion des Marktes auf das Votum der Briten zum EU-Austritt vom 23. Juni 2016 entsprechen. Am Dienstag kletterte der Euro auf 90,16 Pence und damit den höchsten Stand seit Oktober. Zugleich fiel das Pfund auf ein Einjahrestief von 1,2854 Dollar. Parität erscheint möglichMit einer weiteren Abwertung von 10 % würde die Parität von Euro und Pfund in greifbare Nähe kommen oder sogar übertroffen werden, da Märkte in hochvolatilen Phasen zum Überschießen neigen. Bislang wurde noch nie die Parität zwischen der Gemeinschaftswährung und dem einst als globale Reservewährung bedeutsamen Pfund überschritten. Auf dem Höhepunkt der globalen Finanzkrise rutschte Sterling angesichts der damaligen Panik im britischen Bankensystem Richtung Parität, der schwächste Kurs seit dem Brexit-Votum wurde am 11. Oktober 2016 mit gut 93 Pence erreicht. Als kritische Marke gilt aktuell der Wert von 92,50 Pence je Euro, die Obergrenze des seit rund einem Jahr bestehenden Kursbandes.Zugleich würde im Fall des harten Brexit der Pfund-Dollar-Kurs Analysteneinschätzungen zufolge Richtung 1,20 Dollar absacken. “Der Dollar-Pfund-Kurs könnte im Fall eines No-Deal auf 1,20 fallen”, prognostiziert Valentin Marinov, Analyst bei Crédit Agricole. “1,20 Dollar wäre der langfristige faire Wert für das Pfund bei einem No-Deal Brexit.”Das Pfund war in den vergangenen Tagen verstärkt unter Druck geraten, nachdem der britische Handelsminister Liam Fox die Wahrscheinlichkeit eines Brexit ohne eine Regelung der künftigen Beziehungen zur EU auf 60 % taxiert hatte – eine Einschätzung, die Premierministerin Theresa May öffentlich nicht teilte. Laut Bloomberg-Daten weisen die sogenannten Risk Reversals mit neun Monaten Laufzeit das stärkste Misstrauen gegenüber dem Pfund seit 17 Monaten aus. Es handelt sich dabei um Absicherungsstrategien am Optionsmarkt. Neun Monate sind in etwa die Zeit bis zum Brexit. Zugleich ist die implizite Volatilität am Optionsmarkt auf den höchsten Wert seit März gestiegen. Sie gibt die Erwartungen des Marktes für die Schwankungsbreite des Kurses wieder, so dass der Anstieg stärkere Ausschläge am Kassamarkt erwarten lässt. Allerdings bildet der Markt nach Einschätzung der HSH Nordbank das Risiko eines No-Deal Brexit noch gar nicht angemessen ab. “Die verhältnismäßige Stabilität des Pfundes ist angesichts der enormen Brexit-Risiken bemerkenswert”, schreibt HSH-Analyst Marius Schad. Er verweist unter anderem auf die strittigen Punkte wie etwa die Grenze zwischen Nordirland und der Republik Irland sowie die künftige Rolle des Europäischen Gerichtshofs hin.”Zudem verstärkt die Uneinigkeit der in Hard- und Soft-Brexiteers gespaltenen Tories das No-Deal-Szenario als wesentliches Abwärtsrisiko für Euro/Pfund bzw. den Außenwert des Sterlings im Allgemeinen.” Innerhalb der Konservativen (Tories) gilt Fox als Vertreter eines harten Brexit. Schad ist jedoch in seiner Kursprognose zurückhaltender und geht zum Quartalsende von einem Kurs von 90 Pence je Euro aus. Sobald es eine Einigung gebe, sollte das Pfund dann wieder aufwerten. Politik schlägt KonjunkturBis dahin dürften Konjunkturdaten und damit Zinserwartungen eine untergeordnete Rolle spielen. “Wir haben seit der Zinsanhebung der Bank of England gelernt, dass es beim Pfund nur um Politik geht”, erklärt Jane Foley, Analystin bei Rabobank International. Zwar sehe ihr Basisszenario noch anders aus, aber falls ein Soft Brexit unwahrscheinlich werde, so könnte ihrer Einschätzung nach das Pfund sogar auf 1,13 Dollar absacken. Seit dem Brexit-Votum hat das Pfund zum Dollar gut 13 % verloren. Mit einer weiteren Abwertung würde die Inflationsrate im Vereinigten Königreich weiter steigen. Falls die Bank of England ihr Inflationsziel also verteidigen will, müsste sie weiter die Zinsen anheben. In einer Phase deutlich erhöhter Unsicherheit rund um den Brexit könnte dies die Konjunktur abwürgen. Die britischen Notenbanker wären dann in der Zwickmühle zwischen Wachstum und Inflation gefangen, es droht ein klassisches Stagflationsszenario wie in den frühen siebziger Jahren. “Sunlit uplands” sehen anders aus.