KREDITWÜRDIG

Helikoptergeld keine Lösung für die Eurozone

Von Kristian Tödtmann *) Börsen-Zeitung, 15.9.2016 In der Diskussion über die Grenzen der Geldpolitik fällt immer wieder der Begriff des Helikoptergeldes als vermeintliches Allheilmittel. Gerade für die Europäische Währungsunion scheint eine solche...

Helikoptergeld keine Lösung für die Eurozone

Von Kristian Tödtmann *)In der Diskussion über die Grenzen der Geldpolitik fällt immer wieder der Begriff des Helikoptergeldes als vermeintliches Allheilmittel. Gerade für die Europäische Währungsunion scheint eine solche Lösung verlockend, würde sie doch zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: der zu niedrigen Inflation auf die Beine helfen und finanziell gebeutelten Staaten unter die Arme greifen. Bei genauerem Hinsehen entpuppen sich die vermuteten Vorteile jedoch als Trugschluss.Um seine Zuhörer zu überzeugen, dass Inflation immer und überall ein monetäres Phänomen darstellt, griff Milton Friedman, Urvater des Monetarismus, auf ein anschauliches Gedankenexperiment zurück: Man stelle sich vor, es würde zusätzliches Bargeld gedruckt und von Helikoptern aus über der Bevölkerung ausgeschüttet. Einige Begünstigte würden das Geschenk sofort für höhere Konsumausgaben nutzen. Andere würden das zugeflossene Geld zur Bank bringen und sparen, dadurch das Zinsniveau drücken und andere Personen oder auch Unternehmen zu einer höheren Kreditaufnahme animieren. In jedem Fall nähme die gesamtwirtschaftliche Nachfrage zu. Da aber die Produktionskapazitäten der Volkswirtschaft begrenzt sind, würden die Preise bald anfangen zu steigen. Ein neues Gleichgewicht wäre erst erreicht, wenn die Ausweitung der Geldmenge vollständig durch Inflation ausgeglichen wäre. Ein bisschen mehr InflationObwohl das Helikoptergeld in Friedmans Erzählung letztlich nutzlos bleibt, wird es dennoch von einigen Ökonomen als ernsthafte Politikoption vorgeschlagen. In der Praxis würde es aber wahrscheinlich nicht die Form annehmen, dass die EZB Banknoten an die Bevölkerung verteilt. Die Empfänger wären vermutlich die Mitgliedstaaten der Währungsunion. Auf den ersten Blick hat es den Anschein, dass die Zentralbankbilanz eine unerschöpfliche und kostenlose Finanzierungsquelle für Staaten darstellt. Sicher, wenn man sie überbeansprucht, käme es zu Inflation. Gerade in der Eurozone wäre ein bisschen mehr Inflation aber durchaus wünschenswert. So gesehen wäre eine kleine Dosis Helikoptergeld womöglich eine kluge Politik. Nicht kostenlosUm die Schwachstellen dieser Argumentation zu entlarven, sollte man sich vor Augen führen, dass Finanzierung aus der Zentralbankbilanz keineswegs gratis ist, selbst wenn der Staat der Zentralbank dafür keine Zinsen zahlen muss. Wenn die Zentralbank den Staaten neu geschaffenes Zentralbankgeld ohne Gegenleistung schenkt, wachsen dadurch ihre Verbindlichkeiten in Relation zu ihren Vermögenswerten. Die Zentralbank könnte diesen Zustand des negativen Eigenkapitals zwar kaschieren, indem sie eine imaginäre Forderung bucht, obwohl gar nicht vorgesehen ist, dass der Staat jemals Rückzahlungen leistet. Aber selbst wenn die breite Öffentlichkeit und die Finanzmärkte sich dadurch täuschen ließen, wäre das Problem lediglich vertagt. Denn ist die unverzinste Forderung gegenüber dem Staat hinreichend groß, ergibt sich ein Ungleichgewicht zwischen den zinstragenden Aktiva und Verbindlichkeiten der Zentralbank. Dies ist kein Problem, solange die Verzinsung von Zentralbankgeld, also im Falle der EZB der Einlagensatz, negativ ist. Sollte die Zentralbank in vielen Jahren ihre Leitzinsen tatsächlich wieder anheben müssen, käme es dadurch jedoch zu laufenden Verlusten. Es gibt für sie drei Möglichkeiten, mit dieser Situation umzugehen.Erstens: Sie verzichtet auf Leitzinserhöhungen, obwohl diese geldpolitisch geboten wären. Ihren Freiraum gewinnt die Zentralbank erst dann zurück, wenn sie über kontinuierliche Gewinne ihre Verbindlichkeiten ausreichend reduziert hat. Dies kann je nach Volumen des verteilten Helikoptergeldes extrem lange dauern. Ein großer Transfer an den Staat wäre daher als Signal zu verstehen, dass die Nullzinspolitik noch für Jahrzehnte fortgesetzt wird, selbst wenn die Inflation dabei ansteigt.Zweitens: Die Zentralbank kann laufende Verluste vermeiden, indem sie ihren zinslosen Assets zinslose Verbindlichkeiten gegenüberstellt. Der Bargeldumlauf ist für sie ein zinsloser Passivposten. Er wird jedoch durch die Nachfrage der Bevölkerung determiniert und liegt damit nicht in der Hand der Zentralbank. Sie könnte alternativ die Mindestreserveverpflichtung anheben und deren Verzinsung abschaffen. Auf diese Weise reicht die Zentralbank die Kosten für die Staatsfinanzierung an die Banken weiter, da diese gezwungen werden, eine unverzinste Einlage in Höhe des Helikoptergeldes zu halten. SchneeballsystemDrittens: Die Zentralbank kann die Leitzinsen im notwendigen Ausmaß anheben und die dabei auftretenden Verluste einfach ignorieren. Anders als privaten Wirtschaftseinheiten droht ihr schließlich keine Zahlungsunfähigkeit, da sie unbegrenzt Zentralbankgeld herstellen kann. Da sie die Zinszahlungen teilweise aus neu emittiertem Zentralbankgeld leisten muss, wachsen ihre Verbindlichkeiten jedoch exponentiell. Irgendwann werden Bevölkerung und Banken diesem Schneeballsystem misstrauen, weil sie eine Zunahme der Inflation befürchten. Sie sind deshalb nicht mehr bereit, Bargeld respektive Zentralbankguthaben zu halten. Kapitalflucht bringt daraufhin die Währung unter Abwertungsdruck und läutet die Inflation ein.Helikoptergeld ist somit keine kostenlose Finanzierung des Staates aus der Zentralbankbilanz. Die Kosten treten auf in Form einer Besteuerung der Bevölkerung durch Inflation oder des Bankensystems durch unverzinste Mindestreserven.Aus Sicht der Anleger hätte Helikoptergeld ähnliche Auswirkungen wie eine Kombination aus Eurobonds und einer aggressiven Forward Guidance der EZB. Denn könnten sich die Staaten zumindest teilweise aus der Zentralbankbilanz finanzieren, müssten sie weniger Anleihen begeben und ihre Bonität würde sich verbessern. Noch vorhandene Unterschiede in den Risikoprämien der einzelnen Mitgliedstaaten würden also weiter nivelliert. Gleichzeitig hätte die EZB durch die Übernahme unverzinster Forderungen signalisiert, dass sie die Leitzinsen auf Jahre hinaus nicht anheben können wird. Dies hätte eine weitere Verflachung auch der risikolosen Zinsstrukturkurven zur Folge. Die anfänglichen Marktreaktionen auf das Helikoptergeld könnten also sehr freundlich sein. Langfristig teuer erkauftDas Blatt würde sich jedoch wenden, wenn die Inflation irgendwann tatsächlich anspringt. Denn die Zentralbank hätte ihre Bilanz und damit ihre Geldpolitik de facto der Fiskalpolitik untergeordnet und könnte auf die steigende Inflation nicht in der üblichen Weise mit Leitzinserhöhungen reagieren. Die Folge wären steigende Inflationserwartungen am langen Ende der Bundkurve und ein schwächelnder Euro. Die billige Finanzierung der Staaten und die anfängliche Rally auf den Staatsanleihemärkten wären daher langfristig teuer erkauft.—-*) Kristian Tödtmann ist Volkswirt im Makro Research der DekaBank.