Anlagestrategie

„Hier wird mit ultradicken Kanonen geschossen“

In dem schwierigen Umfeld mit ultraniedrigen Zinsen bleibt Anlegern keine andere Wahl, als Risiken einzugehen und in reale Assets wie Aktien zu investieren, ist Wolfgang Sawazki überzeugt.

„Hier wird mit ultradicken Kanonen geschossen“

Christopher Kalbhenn.

An den Aktienmärkten ist gerade eine sehr aktive Teilnahme von Privatanlegern zu beobachten, begleitet von exzessiven Kursbewegungen. Droht eine Entwicklung wie zur Zeit der Dotcom-Blase?

In den USA und in Europa sehen wir eine gewisse Euphorie bei Privatanlegern, die an das Jahr 2000 erinnert, sowie ein paar Exzesse. Das bereitet uns ein wenig Sorge. Bestimmte Modethemen wie Tesla haben einen starken Zulauf, und an einigen Stellen kommt es zu extremen Bewertungen. Tesla wird in etwa so hoch bewertet wie der Rest der globalen Automobilbranche zusammen. Da­bei ist das ein etwa im Vergleich zu Volkswagen kleines Unternehmen. Volkswagen wird Tesla aller Voraussicht nach in zwei Jahren als größter Hersteller von elektrisch betriebenen Fahrzeugen ablösen. Es gibt einige Modethemen, in denen aktuell Übertreibungen zu sehen sind, wie beispielsweise einige Segmente des Technologiesektors und das Green-Deal-Thema. Viel Geld fließt derzeit in diese Bereiche.

Es ist ja auch viel Geld, das angelegt werden muss, vorhanden.

Die Entwicklung ist im Wesentlichen ein Reflex der ultraexpansiven Notenbankpolitik. Die Notenbanken haben in einem unfassbaren Ausmaß Geld gedruckt. So hat die Fed im Jahr 2020 ihre Bilanz in nur vier Wochen um 80% aufgebläht und damit in einem Ausmaß wie in den hundert Jahren davor zusammen. Die Europäische Zentralbank hat im Dezember ebenfalls das Gaspedal durchgedrückt. Wir haben heute eine Liquiditätsflut, wie wir sie uns vor nicht allzu langer Zeit nicht hätten vorstellen können. Die Privatanleger und ebenso die institutionellen Investoren schwimmen im Geld. Gleichzeitig gibt es einen akuten Mangel an Anlagealternativen.

Ist das eine Blase?

Geld- und Fiskalpolitik haben mit beispielloser Wucht auf die Coronakrise reagiert. In den Vereinigten Staaten haben wir einen Fiskalimpuls wie während und nach dem Zweiten Weltkrieg, aber wir haben keinen Krieg. Wir hatten im zurückliegenden Sommer/Herbst ein erstes Bein Konjunkturaufschwung, im Frühjahr 2021 kommt jetzt das zweite Bein. Das ist keine Blase. Durch die Privatanleger gibt es an einigen Stellen Exzesse, aber im Gesamtmarkt sehe ich das nicht.

Auf was für einen Aufschwung kann man sich einstellen?

Die USA haben für die rechtzeitige Bereitstellung von Impfstoffen zur Bekämpfung der Pandemie 4 Mrd. Dollar in die Hand genommen, so dass in der amerikanischen Bevölkerung schon Ende April eine weitgehende Immunisierung erreicht sein wird. Es gibt zudem eine enorme aufgestaute Konsum- und Reisenachfrage. Die Fiskalpolitik gibt weiter Gas, Biden strebt ein Paket im Umfang von 1,9 Bill. Dollar an. In der Lehman-Krise waren es 800 Mrd. Dollar. Hier wird mit ultradicken Kanonen geschossen. Der Impuls entspricht 10% des BIP. In der EU haben wir mit dem Euro-Rettungspaket ebenfalls einen starken fiskalischen Impuls, wenn auch nicht im Ausmaß der USA. Die jüngsten US-Daten­ deuten bereits das Ausmaß des Aufschwungs an. Der Einzelhandelsumsatz ist im Januar um 5,3% gestiegen, die Industrieproduktion um 1,2%, nicht im Vergleich zum Vorjahr, sondern zum Vormonat. Wenn sich das so fortsetzt, sehen wir bereits im ersten Quartal ein BIP-Wachstum­ von mehr als 5%, ehe im zweiten Quartal dann die Lockdowns noch stärker zurückgeführt werden. Wir stehen in den nächsten zwölf Monaten wahrscheinlich vor dem stärksten Konjunkturaufschwung, den wir seit dem Zweiten Weltkrieg gesehen haben. Es ist richtig, was die Aktienmärkte und in jüngster Zeit auch die Anleihemärkte machen. Sie nehmen einen beispiellosen Konjunkturaufschwung und einen Anstieg der Inflation vorweg. Hinzu kommt eben der Mangel an Anlagealternativen.

Muss man denn nicht davon ausgehen, dass die Notenbanken unter solchen Voraussetzungen in absehbarer Zeit reagieren?

Das Neuartige an der aktuellen Entwicklung ist, dass die Fiskalpolitik Gas gibt und die Fed nicht reagiert. Sie hat sogar signalisiert, dass sie im Zuge ihrer veränderten Strategie erst viel später gegensteuern wird – auch nicht, wenn die Inflation steigt. Sie gibt vielmehr weiterhin Gas.

Ist vor diesem Hintergrund zu erwarten, dass Risiko-Assets weiter zulegen werden?

Risiko-Assets steigen in diesem Umfeld überall. Aber es gibt Ausnahmen, etwa Verlierer der Krise beziehungsweise struktureller Umbrüche. Beispiele sind Einzelhandels- und Gewerbeimmobilien. Die Krise hat die Trends hin zum Online-Shopping und zum Homeoffice verstärkt. Verlierer sind zudem Unternehmen, die am Verbrennungsmotor oder dem Verbrauch fossiler Brennstoffe hängen. Gewinner sind beispielsweise die Bereiche Technologie, Internet, Distanzarbeit, Healthcare und Green Tech.

Wie weit wird Ihrer Einschätzung nach der Prozess der Deglobalisierung gehen?

Es gab einen ersten Deglobalisierungsschub durch den Brexit und Donald Trump. Nun haben wir in der Coronakrise einen zweiten Schub. Hintergrund ist die Beeinträchtigung der Lieferketten. Heutzutage werden 70 bis 90% vieler Impfstoffe in Indien produziert. Ähnlich sieht es in anderen Pharma- und Healthcare-Bereichen aus, bei denen China dominiert. Zu Beginn der Pandemie gab es in Europa nur geringe Bestände an Schutzkleidung und Masken, weil die Produktion in anderen Regionen stattfindet. Ein weiteres Beispiel sind Chips. Heute sind praktisch überall Chips enthalten, aber es gibt kaum noch Chip-Produktion in Europa. Die Schlussfolgerung ist, dass lokale Produktion aufgebaut werden muss, um in Krisen gerüstet zu sein, und das wird nun geschehen.

Welche Schlussfolgerungen ergeben sich aus der aktuellen Gemengelage für Investoren?

Wenn unsere Kernthese richtig ist, dann werden wir auf Jahre hinaus an den Staatsanleihemärkten negative Realrenditen haben. Das bedeutet, dass man mit Staatsanleihen in den kommenden fünf Jahren jedes Jahr reale Wertverluste macht. Das muss auch so sein, weil wir die höchste Staatsverschuldung seit dem Zweiten Weltkrieg haben. Die Zinsen bleiben noch lange sehr niedrig und real negativ. Die Schlussfolgerung ist, dass man in reale Assets investieren muss, die steigende nominale Cash-flows produzieren, das heißt in Aktien, Private Equity und Wohnimmobilien.

Wie sieht Ihre derzeitige Anlagestrategie aus?

Wir haben den Aktienanteil erhöht. Im Rentenbereich haben wir das Risiko erhöht, indem wir BB-Kredite und Hybride ausgebaut haben. Das ist ein höheres Risiko, aber es wird mit dem Aufschwung sinken. Im Bereich Investment-Grade-Anleihen haben wir substanziell abgebaut, weil wir dort zwar Risiko, aber keinen Ertrag haben. Wir nennen das Barbell-Strategie. Wir sind aber in Staatsanleihen und Gold geblieben, weil wir in unruhigen Marktphasen abgesichert sein und liquide bleiben wollen. Man muss sich aber darüber im Klaren sein, dass die Portfolios volatiler werden. Es gibt jedoch keine andere Möglichkeit, als in mehr Risiko beziehungsweise in steigende Cash-flow-Töpfe zu gehen.

Welche Folgen werden die enorm gestiegenen Staatsschulden ha­ben?

Es gibt mehrere Möglichkeiten, die Staatsschulden abzubauen. Ein Weg sind negative Realzinsen. Eine weitere Alternative sind Steuererhöhungen. Die werden kommen, aber nicht jetzt, weil man vermeiden will, den Aufschwung abzuwürgen. Hierzulande dürfte auch aufgrund der anstehenden Wahlen kaum ein Anreiz bestehen, jetzt Steuern anzuheben.

Wie hoch können die Aktienmärkte noch steigen?

Ich glaube nicht, dass die Börsen enorm stark steigen und in den Himmel laufen werden. Einen Teil des Aufschwungs haben wir bereits antizipiert. Den Großteil der Performance werden wir wahrscheinlich im ersten Halbjahr sehen. In der zweiten Jahreshälfte wird man dazu übergehen, verstärkt über die Finanzierung der Schulden und Steuererhöhungen nachzudenken. Außerdem wird es eine Diskussion über eine wieder etwas weniger lockere Geldpolitik geben. Nach dem starken Aufschwung, den wir jetzt sehen werden, wird es zudem in absehbarer Zeit zu einem Wachstumsrückgang kommen. Nach dem ersten Halbjahr werden wir in ein volatileres Umfeld gehen.

In welchen Größenordnungen bewegen sich die jährlichen Erträge, die sich Anleger von den Aktienmärkten erhoffen können?

In den zurückliegenden hundert Jahren lagen die Erträge durchschnittlich zwischen 7% und 7,5%, das durchschnittliche globale Wirtschaftswachstum belief sich auf 4% bis 4,5%. Diese Raten werden nach dem jetzigen starken Aufschwung ab 2023 strukturell nach unten kommen. Für die nächsten drei Jahre erwarte ich am Aktienmarkt durchschnittlich 6% und am Rentenmarkt 0% bis 1%.

Derzeit wird der Aktienmarkt von steigenden Anleiherenditen be­lastet. Wie weit werden diese steigen?

Ich glaube, dass die Verzinsung zehnjähriger US-Staatsanleihen zunächst weiter steigen wird, meiner Meinung nach bis auf 1,60% bis 1,70%. Früher wären sie in einem derartigen Umfeld auf 2% bis 2,5% gestiegen. Aber dazu wird es nicht kommen, weil die Notenbank weiterhin Anleihen kauft und damit das Zinsniveau verzerrt. Der Anleihemarkt antizipiert derzeit, dass die Fed in zwei Jahren ein erstes Mal ihren Leitzins erhöht und im kommenden Jahr beginnen wird, ihre Anleihekäufe zu reduzieren.

Das Interview führte

BZ+
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