LEITARTIKEL

Hochfrequenzkritik

Marktmanipulation, Insiderhandel, Frontrunning - die Liste der Vorwürfe gegen den Hochfrequenzhandel ist lang. Die Kritik ist fast genau so hochfrequent wie ihr Gegenstand selbst. Kaum ein Tag vergeht, ohne dass sich ein institutioneller Investor zu...

Hochfrequenzkritik

Marktmanipulation, Insiderhandel, Frontrunning – die Liste der Vorwürfe gegen den Hochfrequenzhandel ist lang. Die Kritik ist fast genau so hochfrequent wie ihr Gegenstand selbst. Kaum ein Tag vergeht, ohne dass sich ein institutioneller Investor zu Wort meldet und den Nanosekundenhandel attackiert. Für das Prinzip der Unschuldsvermutung ist in der hitzigen Debatte kein Platz. Schade. Denn mit ein bisschen Sachlichkeit wäre die Diskussion um den Umgang mit dem technischen Fortschritt an den Börsen – und um den geht es im Grunde – spannend und könnte den Weg zu einer Regulierung ebnen, die im Idealfall öffentlichen Rückhalt genießen würde.Stattdessen hat Michael Lewis mit seinem Buch “Flash Boys” Öl ins Feuer gegossen. Nach der Lektüre sind nun noch mehr Menschen überzeugt, der Hochfrequenzhandel sei per se schlecht und sorge dafür, dass wir alle Tag für Tag über den Tisch gezogen werden, wenn wir oder unsere Versicherer und Fondsmanager mit Aktien handeln.Doch so einfach ist es nicht. Anstatt die Diskussion mit den ethischen Begriffen “gut” und “schlecht” zu führen, wären ökonomische und juristische Maßstäbe nützlicher – auch um am Ende zu einem moralischen Urteil zu kommen, wenn man eines fällen möchte. Die ökonomische Frage lautet: Steigert das schnelle computergestützte Geschäft die Transaktionskosten der Allgemeinheit oder nicht? Die expliziten Transaktionskosten, die schwarz auf weiß auf der Wertpapierabrechnung stehen, sind in den vergangenen Jahren dank der Finanzmarktrichtlinie Mifid massiv gesunken.Autor Lewis beklagt, der Hochfrequenzhandel würde Kurse manipulieren und so die impliziten Kosten, die durch verzerrte Preise entstehen, für alle Marktteilnehmer nach oben schrauben. Das belegt er mit Handelsbeispielen. Da Lewis sauber recherchiert haben dürfte, sind die von ihm geschilderten Fälle sicher vorgekommen und haben Fondsanlegern und Versicherten Schäden verursacht – auch wenn sie nur im Cent-Bereich liegen. Kleinvieh macht bei Langzeitanlagen auch Mist.Die Frage ist nur, ob diese Beispiele Einzel- oder Regelfälle sind. Und darüber kann niemand belastbare Aussagen treffen, weil die empirische Datenbasis fehlt. In Deutschland fordert das Hochfrequenzhandelsgesetz, dass algorithmische Orders gekennzeichnet werden müssen. Nun können die Aufseher sich bald ein Bild über die Natur der Programme machen. Die überarbeitete Finanzmarktrichtlinie Mifid II wird ab 2017 dafür sorgen, dass diese Daten in ganz Europa vorliegen. In den USA stehen ähnliche Bemühungen noch ganz am Anfang, es gibt – anders als in Europa – noch nicht einmal eine amtliche Definition dessen, was Hochfrequenzhandel eigentlich ist. Und diese Definition ist nicht trivial, weil neue Technologien den Börsenhandel ohnehin verändern. Was heute noch schnell ist, ist morgen vielleicht schon kein Hochfrequenzgeschäft mehr, weil alle in dieser Geschwindigkeit handeln.Erst wenn eine ausreichend große Datenbasis vorliegt, kann abschließend darüber geurteilt werden, wie viele Programme andere Marktteilnehmer austricksen und wie viele echte Liquidität schaffen, weil sie elektronisches Market Making betreiben – und diese Strategien gibt es durchaus auch. Zudem sorgen etliche Hochfrequenzhändler durch ihre Arbitragegeschäfte dafür, dass die Aktienkurse in der stark fragmentierten Börsenlandschaft nicht maßgeblich voneinander abweichen. Das hilft großen Marktteilnehmern, weil sie ihre Orders splitten und darauf vertrauen können, auf jedem Handelsplatz die gleichen Kurse vorzufinden. In den vergangenen zehn Jahren sind die impliziten Handelskosten gesunken sind, an der Deutschen Börse haben sie sich in etwa halbiert. Das spricht dagegen, dass Hochfrequenzhändler regelmäßig massive Schäden verursachen. Und die regelmäßigen Handelspannen, die auch dem Hochfrequenzgeschäft zur Last gelegt werden, sind zuallererst ein Problem, das die Börsenbetreiber zu beheben haben.Die juristische Frage, ob Hochfrequenzhändler den Markt manipulieren, kann schon heute geklärt werden. Die Untersuchungen des New Yorker Generalstaatsanwalts sind ein erster Schritt. Es sind aber nur Ermittlungen, daher sollte die Unschuldsvermutung gelten. Natürlich ärgert es jeden Portfoliomanager, wenn er das Gefühl hat, von Computerprogrammen über den Tisch gezogen zu werden. Der Beweis dafür steht aber noch aus. Das Urteil sollte einem Richter überlassen werden.——–Von Grit BeeckenDer Hochfrequenzhandel ist für viele die Perversion des Börsengeschehens. Das führt zu hitzigen Diskussionen. Die Debatte braucht dringend Sachlichkeit.——-