IM INTERVIEW: MATTHIAS MINOR, ROYAL BANK OF SCOTLAND

"Hybridanleihen gelten als Oase in der Renditewüste"

Bondexperte prognostiziert anhaltendes Wachstum des Marktes für Hybridkapital - Auch Unternehmen ohne Rating setzen dieses Instrument zunehmend ein

"Hybridanleihen gelten als Oase in der Renditewüste"

Hybridanleihen haben ihren festen Platz am europäischen Corporate-Bond-Markt. Immer mehr Unternehmen – auch solche ohne Rating – setzen diese Bonds auf der Refinanzierungsseite ein. Matthias Minor von der Royal Bank of Scotland in London bescheinigt diesem Segment im Interview der Börsen-Zeitung gute Perspektiven.- Herr Minor, Hybrid-Bonds kamen 2003 bis 2006 erstmals auf den Markt, die nächste große Emissionswelle war 2009/2010 zu beobachten, und nun steht die dritte Generation in den Startlöchern. Sind Hybrid-Bonds im Fixed-Income-Universum schon als eigene Assetklasse einzustufen?Ja, zweifelsohne. Wir erwarten in absehbarer Zeit das hundertste Unternehmen mit einer Hybridanleihenplatzierung in Euro. Das am Euromarkt ausstehende Volumen für Hybridkapital wird auch bald die 100-Mrd.-Euro-Marke überschreiten. Beides sind eindrucksvolle Parameter für das enorme Wachstum des Markts für Hybridanleihen in den vergangenen Jahren. Das starke Interesse einer breiten Gruppe von Anleiheinvestoren für diese höherverzinslichen nachrangigen Anleihen spielte hierbei im Niedrigzinsumfeld eine wichtige Rolle. Während vor zehn Jahren nur circa 20 % aller institutionellen Anleiheinvestoren in Hybridkapital investierten, ist der Anteil inzwischen auf über 80 % angestiegen. Darüber hinaus sehen wir auch Einzelinvestoren, die sich verstärkt für diese Assetklasse interessieren. Hybridanleihen gelten zurzeit bei vielen Investoren gewissermaßen als “Oase” in der gegenwärtigen “Renditewüste”.- Anhand welcher Merkmale lässt sich ein Hybrid-Bond definieren?Eine Hybridanleihe ist vor allem durch drei prägende Merkmale gekennzeichnet: längere Laufzeiten, die Möglichkeit des Emittenten, Zinszahlungen zu verschieben, sowie die Nachrangigkeit in der Kapitalstruktur gegenüber höherrangigen Verbindlichkeiten. Letzteres kann im Fall eines Insolvenzszenarios auch auf eine höhere Absorbierung von Verlusten hinauslaufen. Am Markt gibt es sowohl Hybridanleihen mit unendlicher Laufzeit – sogenannte Perpetuals – als auch Papiere mit Endfälligkeiten in 30 bis 60 Jahren. Hybridanleihen können typischerweise nach einem bestimmten Zeitpunkt vom Emittenten zu pari zurückgekauft werden. Die Kuponzahlungen erhöhen sich nach Ablauf dieser Rückkaufoption um sogenannte Step-ups, in der Summe üblicherweise um 100 Basispunkte. Bei der Strukturierung einzelner Transaktionen spielen insbesondere die Anforderungen der Ratingagenturen und Steuerbehörden sowie die Rechnungslegungsvorschriften – vor allem IFRS – eine maßgebliche Rolle.- Welche Industrien/Branchen setzen vornehmlich auf Hybride, und aus welchen geografischen Regionen kommen die Emittenten vornehmlich?Versorgungsunternehmen stellten vor allem bei den ersten beiden Generationen von Hybridkapital die Mehrheit aller Platzierungen. Ihr Anteil des jährlichen Transaktionsvolumens betrug damals über 80 %. Inzwischen diskutieren aber auch die Vorstände vieler Industrieunternehmen den Einsatz von Hybridkapital als einen strategisch wichtigen Pfeiler in der Unternehmensfinanzierung. Im Euromarkt machen derzeit die Versorger 31 % des ausstehenden Volumens aus, gefolgt von Telekomanbietern mit 17 %, Energie- und Automobilunternehmen mit jeweils 10 % sowie Pharmaherstellern mit 8 %.- In welchen Währungen wird hauptsächlich emittiert?Europäische Unternehmen beschaffen sich Hybridkapital vor allem im Euromarkt. In den vergangenen fünf Jahren waren etwa 70 % der Emissionen europäischer Emittenten in Euro denominiert. So platzierte Volkswagen in beeindruckender Weise bereits insgesamt 7,5 Mrd. Euro Hybridkapital am Euromarkt. Aber die Unternehmen nutzen auch das starke Interesse der Investoren für nachrangige Finanzierungen in anderen Währungsregionen. So konnten wir über die vergangenen fünf Jahre circa 15 % der Transaktionen in US-Dollar beobachten. Etwa 13 % der Transaktionen wurden im britischen Pfund begeben. Vor allem Schweizer Unternehmen nutzen auch den heimischen Markt zur Platzierung von Hybridkapital in Schweizer Franken.- Aus welchen Gründen werden Hybride zumeist eingesetzt?Hybridkapital hat sich als ein kosteneffizientes Finanzierungsinstrument zur Stabilisierung des Credit-Ratings eines Unternehmens etabliert, insbesondere bei fremdfinanzierten Wachstumsmaßnahmen wie Akquisitionen oder Investitionen, die mit einer Schwächung der Credit-Ratios eines Unternehmens verbunden sein könnten. Hier hat sich Hybridkapital inzwischen als ein wichtiger Bestandteil der Refinanzierungs-Toolbox etabliert. In Deutschland nutzten zuletzt eindrucksvoll Bayer und Merck Hybridkapital zur M & A-Refinanzierung. Auch privat gehaltene Unternehmen wie Bertelsmann konnten mit diesem Instrument erfolgreich eine eigenkapitalähnliche Finanzierung am Markt platzieren. Unternehmen nutzen Hybridkapital auch, um Pensionsdefizite kosteneffizient zu refinanzieren. Das kann sinnvoll sein, weil das niedrige Zinsumfeld und die damit häufig verbundenen höheren Pensionsrückstellungen auch in Deutschland die Credit-Ratios zahlreicher Unternehmen unter Druck gesetzt haben. Auch bei nachteiligen makroökonomischen Trends wie einem schwächeren Ölpreis kann es sinnvoll sein, die Kapitalstruktur durch die Emission von Hybridkapital zu stärken. Ein solches Vorgehen konnten wir zuletzt beim französischen Energieunternehmen Total beobachten, das im Februar 5 Mrd. Euro an Hybridkapital aufnahm.- Welchen Vorteil hat der Emittent unter Ratingaspekten?Ratingagenturen bewerten Hybridkapital teilweise als Eigenkapital. Das erklärt sich unter anderem durch den langfristigen, dauerhaften Aspekt dieses Instruments in der Kapitalstruktur eines Unternehmens. Bei der Berechnung von Verschuldungskennzahlen durch Berücksichtigung des sogenannten “Equity Credit” erhalten Hybridanleihen von Investment-Grade-Emittenten derzeit normalerweise 50 % Eigenkapitalanerkennung. Es gibt jedoch auch Hybridkapitalstrukturen mit einer höheren Eigenkapitalquote. Bei der Kommunikation mit den Ratingagenturen und der sorgfältigen Strukturierung einer Hybridkapitalmaßnahme arbeiten die Unternehmen eng mit ihren Bankpartnern zusammen. Nicht bestätigt hat sich bislang eine früher öfter gehörte Sorge, es könne sich bei den Hybridanleihen lediglich um ein vorübergehendes Marktphänomen handeln. Die bereits sehr hohe Zahl der am Markt platzierten, benoteten Hybridanleihen sollte bei vielen Unternehmen das Vertrauen stärken, dass es dieses Instrument auch in Zukunft geben wird.- Bei der Preisbildung ist immer von der sogenannten Subordinationsprämie die Rede. Was haben sich Anleger darunter vorzustellen?Die Subordinationsprämie ist die Differenz im Credit-Spread zwischen einer Hybridanleihe und einer vergleichbaren Senior-Anleihe desselben Emittenten. Sie beschreibt somit die zusätzliche Verzinsung, die ein Anleger durch eine nachrangige Investition und das damit erhöhte Risiko erzielen kann. Ein Beispiel: Im Investment-Grade-Bereich haben Hybridanleihen im Regelfall ein um zwei Stufen niedrigeres Rating als Senioranleihen. Dafür erzielt der Investor derzeit im Markt Subordinationsprämien von 200 bis 300 Basispunkten, das heißt von 2 bis 3 Prozentpunkten.- Setzen auch Unternehmen ohne Rating Hybride ein, und was ist das Hauptkriterium für diese Adressen?In der Tat nutzen verstärkt auch Unternehmen ohne Rating Hybridkapital zur Stärkung ihrer Kapitalstruktur. Allein in diesem Jahr haben wir mit Air France, Eurofins, Sainsbury und der deutschen VTG vier europäische Unternehmen gesehen, die gemeinsam erfolgreich über 1 Mrd. Euro Hybridkapital an den Kapitalmärkten platziert haben. Für Unternehmen ohne Rating spielt vornehmlich die Eigenkapitalanerkennung durch IFRS die entscheidende Rolle. Die Hybridanleihen der Unternehmen ohne Rating haben daher in der Regel eine unendliche Laufzeit. Viele Anleger zeigen sich weiterhin offen auch für nichtbenotete Hybridanleihen. Dabei spielt bei der Investitionsentscheidung die Beurteilung der Credit-Story des Emittenten eine maßgebliche Rolle.- Wie hat sich der Markt auf der Käuferseite entwickelt?Viele institutionelle Anleger haben sich im Laufe der vergangenen Jahre mit dem Produkt der Hybridanleihe angefreundet. Grund dafür sind nicht zuletzt die attraktiven Renditen, die dieses Instrument den Investoren anbieten kann. Bei den von uns zuletzt betreuten Transaktionen für Bayer, RWE und Bertelsmann sahen wir ein für Hybridanleihen typisches starkes Anlegerinteresse aus Großbritannien und Deutschland. Beide Regionen machen bei einzelnen Transaktionen häufig über zwei Drittel der Nachfrage aus. Besonders verbreitet sind dabei erfahrungsgemäß Fondsmanager, Versicherungsgesellschaften und Privatbanken.- Haben sich die Unternehmen bei der Ausgestaltung der Hybride bei steuerlichen Aspekten in den Dokumentationen geschützt?Hybridanleihen enthalten in der Regel Call-Optionen, die den Emittenten bei einem Wegfall der steuerlichen Abzugsfähigkeit der Zinsen die Möglichkeit eines Rückkaufs zu einem Preis von 100 % beziehungsweise 101 % einräumen. Ähnliche Call-Optionen bestehen typischerweise auch für den Fall einer Änderung der Eigenkapitalanerkennung durch die Ratingagenturen sowie der Anerkennung unter IFRS. Unternehmen werden sich zum Zeitpunkt eines solchen Call Event natürlich überlegen müssen, ob es sich ökonomisch lohnt, die Call-Option auszuüben. Außerdem nehmen viele Marktteilnehmer an, dass Emittenten auf ihre Reputation im Markt achten und berücksichtigen, wie ein möglicher Rückkauf auch angesichts des herrschenden Handelspreises von den Anlegern beurteilt werden könnte.- So langsam kommen auch die ersten Call Dates der Bonds von 2009/10. Wie läuft das an?Insgesamt 15 Hybridanleihen der ersten und zweiten Generation haben ihre ersten Call Dates in diesem und im kommenden Jahr. Investoren wie auch Ratingagenturen beobachten diese Termine sehr genau. Mit Vattenfall, Dong, Bayer, Suez und der RWE haben fünf Emittenten bereits ihr diesjähriges Rückkaufrecht ausgeübt. Diese Unternehmen platzierten auch gleich wieder neue Hybridanleihen als Ersatzinstrumente – sogenannte Replacements – am Markt. Lediglich Südzucker hat ihr Rückkaufrecht im Juni 2015 verstreichen lassen. Als Resultat ist der jährliche Kupon um 100 Basispunkte/1 Prozentpunkt gestiegen.- Welche weitere Entwicklung des Hybridsegments erwarten Sie?Hybridkapital hat sich als eigenständige Assetklasse an den Kapitalmärkten etabliert. Unserer Einschätzung nach kann das Instrument vorteilhaft für Emittenten wie für Investoren sein. Auf beiden Seiten erwarten wir eine wachsende Zahl an Marktteilnehmern, auf Seiten der Unternehmen auch solche ohne Rating. In Deutschland haben wir 2014 eine Verfünffachung des Emissionsvolumens verglichen mit dem Vorjahr beobachtet. Auch 2015 könnte wieder ein Rekordjahr für Hybridkapital werden, vorausgesetzt, das Marktumfeld bleibt stabil.—-Das Interview führte Kai Johannsen.