Iberdrola sieht sich für den Brexit gerüstet
Von Thilo Schäfer, MadridWie andere spanische Großkonzerne mit bedeutenden Tochtergesellschaften in Großbritannien – Telefónica, Santander oder Ferrovial – wurde Iberdrola am Tag nach der Entscheidung der Briten für einen Ausstieg aus der Europäischen Union an der Börse übel bestraft. Die Aktie des Stromversorgers, der ein Viertel seines Gewinns im Vereinigten Königreich verdient, sank um mehr als 10 % auf 5,24 Euro. Doch schon ein paar Tage danach hatte sich der Kurs erholt und das Papier notierte zuletzt bei XXX Euro.Nach dem ersten Schock haben die Anleger umgedacht. Trotz der Ungewissheit über die Folgen des Brexits gilt Iberdrola als relativ sichere Bank, da der Stromversorger sein Geld zum überwiegenden Teil in regulierten Märkten macht und einer der Weltmarktführer der Zukunftstechnologie Windkraft ist. Zudem sind die Spanier geografisch diversifiziert und konzentrieren sich auf reife und stabile Märkte wie Großbritannien, die USA und Spanien sowie Emerging Markets wie Mexiko und Brasilien.Die nach dem Brexit mit Spannung erwarteten Halbjahreszahlen von Iberdrola wurden vor einer Woche von den Analysten durchaus positiv aufgenommen. Der Reingewinn bis Juni fiel gegenüber dem Vorjahreszeitraum um 3,3 % auf 1,46 Mrd. Euro und der Umsatz ging um 7,4 % auf 16 Mrd. Euro zurück. Neben Sondereffekten im vergangenen Jahr machte das Unternehmen mit Sitz im baskischen Bilbao dafür auch die Abwertung des britischen Pfundes und des brasilianischen Reals verantwortlich. Iberdrola versichert jedoch, dass man gegen Währungseffekte für den Rest des Jahres “zu 100 %” durch Derivate abgesichert sei. Die Aufwertung des Dollars könnte nach Einschätzung des Stromversorgers die Abwertung des Pfundes ausgleichen, da Iberdrola nach der Konsolidierung der US-Tochter UIL 28 % des Reingewinns in Nordamerika erzielt, gegenüber 23 % in UK. Versorger im FokusDie Reaktion an den Märkten auf den Brexit hat sich nach Ansicht einiger Analysten auch positiv auf den Kurs von Iberdrola ausgewirkt, da viele Anleger aufgrund der extrem niedrigen Renditen für Staatsanleihen auf Titel wie die der Stromversorger setzen. Dank der niedrigen Zinsen konnten die Spanier wiederum ihre Finanzierungskosten von 4,2 % auf 3,5 % senken, zumal die Nettoverschuldung von 28 Mrd. Euro durch die Wechselkurse zusätzlich gefallen ist. Der Energiekonzern hält am Ziel eines Zuwachses des operativen Gewinns (Ebitda) von 5 % in diesem Jahr fest. “Wir halten an der positiven Einschätzung dieses Wertes fest, aufgrund der erhöhten Sichtbarkeit des Geschäfts in regulierten Märkten, der Generierung von Cash-flow mit einer attraktiven geografischen und geschäftlichen Diversifizierung”, urteilten die Experten des Madrider Brokers Renta 4.Trotz der Erleichterung über die bislang gut überstandenen Auswirkungen des Brexits bleiben einige politische Fragen offen. Nach der Übernahme von Scottish Power in 2007 haben die Spanier viele Aktiva in Schottland, das nun erneut nach der Unabhängigkeit strebt. Mit der geplanten Unterseeleitung entlang der Westküste, Western Link, will Iberdrola Windkraft aus Schottland nach England und Wales transportieren. Der Süden liegt bei der Erfüllung der EU-Auflagen für mehr erneuerbare Energiequellen nämlich zurück. Iberdrola machte nach dem Referendum deutlich, dass man an den Investitionen in Großbritannien festhalten werde. Fast 80 % der geplanten Stromprojekte seien vom Regulierer an die Preissteigerung gebunden, so das Unternehmen. Aber “es besteht die Möglichkeit einer indirekten Auswirkung (des Brexits) durch einen eventuellen Rückgang des BIP im Vereinigten Königreich, was die Nachfrage beeinflussen kann”, warnte Iberdrola in einer Mitteilung, “doch die Anstrengungen Großbritanniens zur Verbesserung der Energieeffizienz in der letzten Zeit haben die Korrelation zwischen Wachstum und Stromverbrauch erheblich verringert”.Auch im spanischen Heimatmarkt gibt es derzeit politische Ungewissheiten, da auch nach der Neuauflage der Parlamentswahlen am 26. Juni derzeit noch nicht sicher ist, ob die Konservativen an der Macht bleiben. Iberdrola hat wie andere unter den Kürzungen der Subventionen für erneuerbare Energiequellen gelitten und Sánchez-Galán hatte die Regierung gelegentlich kritisiert. Ein Linksbündnis könnte jedoch radikalere Pläne für die Energiebranche anstreben, obwohl diese Möglichkeit derzeit ebenfalls unwahrscheinlich erscheint. Das Geschäft lief in Spanien zuletzt wieder deutlich besser, da das Land zwei Jahre nach Ende der Rezession wieder kräftige Wachstumsraten verzeichnet.Der Strategieplan sieht Investitionen von 24 Mrd. Euro bis 2020 vor, davon ein Drittel in erneuerbare Energien und vor allem Windkraft. “Diese hochrangigen Projekte im Bereich erneuerbarer Energien haben ein solides Wachstum”, kommentierte Société Générale.Der Konzern will sich zunehmend auf seine Kernmärkte, Großbritannien, USA, Spanien, Mexiko und Brasilien konzentrieren. In Mexiko dagegen bauen die Spanier derzeit an sieben Anlagen. Die Öffnung des Energiemarktes will Iberdrola als größter privater Stromanbieter des Landes nutzen. In Brasilien dagegen ist der Verbrauch durch die Rezession zurückgegangen und die instabile politische Lage bereitet zusätzliche Sorgen. Aber auch neue Märkte sollen entschlossen werden. Mitspracherechte gesichertEine Schlüsselfunktion bei der Expansion hat die jüngst besiegelte Fusion des Windturbinenbauers Gamesa mit der Windkraftsparte von Siemens. Als bisheriger Hauptaktionär von Gamesa hat sich Iberdrola zwei Sitze im Aufsichtsrat des neuen Unternehmens und weitere Mitspracherechte gesichert. Bei der Vorlage der Halbjahreszahlen betonten die Spanier, dass es sich um eine langfristige, strategische Beteiligung handele.Eine klare Mehrheit der Analysten empfiehlt derzeit zum Kauf der Aktie. Mit einem Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) von 15,7 liegt der Kurs unter dem Durchschnitt der europäischen Energiebranche, was etwa die Experten der Citigroup für ungerechtfertigt halten aufgrund der “hochklassigen Aktiva und der soliden Dividendenpolitik”. Die meisten Prognosen sehen die Aktie mittelfristig bei 7 Euro, wobei RBC mit 7,25 Euro den Höchststand markiert und Santander, von den jüngsten Bewertungen, mit 6,05 Euro am unteren Rand liegt.