In Stresssituationen erhält der Gläubiger Priorität
Noch bevor die makroökonomischen Frühindikatoren die Auswirkungen des coronabedingten Stillstands der Weltwirtschaft widerspiegelten, hinterließ die Krise bereits tiefe Spuren an den Börsen. Auch wenn sich die großen Aktienleitindizes von ihren Mitte März erreichten Tiefstständen wieder spürbar erholen konnten, bleiben viele Unternehmen vorsichtig. Angesichts weltweit steigender Arbeitslosenzahlen, eines noch nie erlebten Nachfrageeinbruchs bei vielen Konsumgütern und des daraus resultierenden Rückgangs bei Investitionsausgaben sind auch die Kreditrisikoprämien bei Unternehmensanleihen stark gestiegen. Zwischenzeitlich erreichten die Renditeaufschläge den höchsten Stand seit der globalen Finanzkrise. Furcht vor hohen AusfallratenSo stiegen die Renditen von auf Euro lautenden High-Yield-Anleihen auf über 8 %; der entsprechende Kreditderivateindex bot mehr als 7 % Kompensation für das gegebene Ausfallrisiko. Die gegenwärtig noch über 5 % Risikoprämien entsprechen dabei einer impliziten Ausfallrate von mehr als 35 % Prozent unter der Annahme durchschnittlicher Verwertungserlöse von 40 % – weit mehr, als die amerikanische Kredit-Ratingagentur Moody’s selbst in ihrem pessimistischen Szenario erwartet. Dort beträgt die anzunehmende Ausfallrate 16 %. Angesichts der erheblich verteuerten Refinanzierungskosten findet bei vielen Firmen ein wahrnehmbares Umdenken statt.Während dem Aktienkurs eines Unternehmens oft eine hohe Signalwirkung zugesprochen wird und er nicht zuletzt auch bei der Bestimmung der variablen Bezüge von Führungskräften berücksichtigt wird, gilt es nun, die Bonität zu stützen und so die finanzielle Flexibilität zu erhalten. Es werden vermehrt Unternehmenszusammenschlüsse abgesagt, schuldenfinanzierte Übernahmen zurückgestellt, aber auch auf die Ausschüttung von Dividenden sowie Aktienrückkäufe verzichtet. Entsprechend signalisiert der Euro-Stoxx-Dividenden-Futures-Index, dass die zukünftigen Dividendenerwartungen im April historische Tiefstände erreicht haben.Bedingt durch rückläufige Einnahmen, kurzfristig aber nicht gleichermaßen reduzierbare Kosten ist die Sicherstellung einer angemessenen Liquidität für viele Anleiheemittenten zur obersten Priorität geworden. Neuemissionen gelingen Dafür werden bislang ungenutzte Kreditlinien vorsorglich gezogen – mit der Folge anschwellender Bankbilanzen und sinkender Kapitalquoten bei den betroffenen Kreditinstituten, die aufgrund verschärfter Basel-Regeln darauf aber besser vorbereitet waren. Auch gelang es vielen Unternehmen trotz der Kapitalmarktverwerfungen, neue Anleihen zu emittieren, wofür sie aber zum Teil weitreichende Renditezugeständnisse machen mussten. Umgekehrt profitierten Neuemissionen, die mit einem großzügigen Aufschlag gegenüber ausstehenden Anleihen des Emittenten platziert wurden. Fed stützt NachfrageInsgesamt wurden in den vergangenen Monaten auf Euro und britische Pfund lautende Schuldverschreibungen von Unternehmen im Umfang von mehr als 150 Mrd. Euro begeben, was dem Rekordjahr 2019 kaum nachsteht. Getragen wird diese Nachfrage nicht zuletzt auch von den umfangreichen Anleihekaufprogrammen der weltweiten Notenbanken. Besonders hervorzuheben ist dabei die Ankündigung der Federal Reserve, im Rahmen neuer Kreditfazilitäten in Höhe von 2,3 Bill. US-Dollar mit dem Kauf von High-Yield-ETFs zu beginnen.Dies führte zu historisch einmaligen Kurssprüngen von über 4 % bei den qualifizierenden Investmentprodukten. Hinzu kommen das 750 Mrd. Euro schwere Pandemie-Notkaufprogramm der Europäischen Zentralbank, die Unterstützung der Europäischen Union in Höhe von 500 Mrd. Euro durch den Europäischen Stabilitätsmechanismus sowie die beispiellose Liquiditätsbereitstellung der Fed wie auch die direkte Unterstützung für Unternehmen in Nöten durch die Regierungen fast aller Länder.Trotz dieser weitreichenden, gläubigerfreundlichen Maßnahmen reagierten die Ratingagenturen zuletzt mit einer Fülle von Ratingherabstufungen. Allein im März waren die Bonitätsbewertungen von High-Yield-Anleihen in einem Umfang von 41 Mrd. Euro betroffen, im April kamen weitere 21 Mrd. Euro dazu. Das Risiko von “Fallen Angels” – das sind Anleihen, deren Rating sich vom solideren Investment Grade auf das riskantere High Yield verschlechtert – ist ebenfalls gestiegen. Die Herabstufung des Automobilherstellers Ford im März auf “BB+” bei Standard & Poor’s führte beispielsweise dazu, dass mehr als 30 Mrd. US-Dollar Schulden des Unternehmens nun nicht mehr Bestandteil von Investment-Grade-Indizes sind. Umstrittene TrennungDa diese Indizes oft als Referenz bzw. Benchmark für ETFs und Fonds dienen, kam es in der Folge zu Zwangsverkäufen durch Investoren, deren Anlagerichtlinien den Erwerb oder das Halten von Unternehmensanleihen mit einem High-Yield-Rating ausschließen. In der Folge musste Ford für seine Mitte April begebene zehnjährige US-Dollar-Anleihe einen Kupon von 9,625 % berappen. Zwar ist die Trennung von Investment Grade und High Yield weit verbreitet. Sie ist aber ökonomisch umstritten und verursacht zudem einen strukturellen Nachteil bei einer engen Bindung an klassische Anleiheindizes. Die Nachfrageverknappung bei betroffenen Unternehmensanleihen in Stressphasen bietet umgekehrt flexibleren Investoren zusätzliche Chancen. Eine fundierte und disziplinierte Kreditrisikobestimmung ist aber unverzichtbar, um davon profitieren zu können. Michael Hünseler, Head of Credit Portfolio Management bei Assenagon und Robert Van Kleeck, Deputy Head of Credit Portfolio Management bei Assenagon