Devisenwoche

Indische Rupie ist eine Währung mit Aufholbedarf

Als Zielland für Direktinvestitionen und Finanzanlagen dürfte Indien weiter an Attraktivität gewinnen. Der Stellenwert der Indischen Rupie an den Devisenmärkten wird aber derzeit bei weitem nicht dem Status Indiens als bevölkerungsreichstem und wirtschaftlich aufstrebenden Land gerecht.

Indische Rupie ist eine Währung mit Aufholbedarf

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Indische Rupie ist eine Währung mit Aufholbedarf

Von Van Luu*)

*) Van Luu ist Global Head of Solutions Strategy, FI and FX, bei Russell Investments.

Indien überholt mit mehr als 1,4 Milliarden Einwohnern zur Jahresmitte die Volksrepublik China als bevölkerungsreichstes Land der Welt, so schätzen es die Experten der Vereinten Nationen. Fast jeder fünfte Erdbürger lebt nun in Indien. Damit rückt auch die indische Rupie als Währung ins Augenmerk der Anleger. Trotz der beeindruckenden wirtschaftlichen Entwicklung Indiens hat die Rupie noch viel Aufholbedarf und Entwicklungspotenzial, um an den globalen Finanzmärkten eine wichtigere Rolle spielen zu können.

Indien hat in den letzten Jahrzehnten eine imponierende wirtschaftliche Wandlung vollzogen. Das Land hat sich von einer landwirtschaftlich ausgerichteten Volkswirtschaft in einen der führenden Akteure bei globalen Schlüsselindustrien entwickelt. Informationstechnologie, Dienstleistungen, Pharmazeutik und Automobile sind nur einige Bereiche, in denen Indien heute vorne mitspielt. Laut dem Internationalen Währungsfonds hat das Land in diesem Jahr einen Anteil von 7,5% am weltweiten Bruttoinlandsprodukt (auf Basis von Kaufkraftparitätswechselkursen). 1980 waren es nur 2,7%. Mit dem wachsenden Binnenmarkt und einer gut ausgebildeten Bevölkerung ist das internationale Interesse am indischen Kapitalmarkt geweckt worden. Zum Beispiel befinden sich 55 indische Unternehmen in der Forbes-2000-Liste, einem Unternehmensranking, das auf Marktwert, Umsatz, Gewinn und Bilanzsumme basiert. Damit liegt Indien an achter Stelle, noch vor Deutschland, wo 52 Unternehmen der Forbes 2000 beheimatet sind.

Geringer Anteil

Allerdings gibt es für die Landeswährung, die indische Rupie (INR), noch viel Aufholbedarf, was ihre Bedeutung an den Finanzmärkten angeht. Laut Daten der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) aus dem Jahr 2022 hat die INR einen relativ geringen Anteil am weltweiten Devisenhandel von etwa 2%. Damit ist die Rupie in der Rangliste der BIZ auf Nummer 14, noch hinter der norwegischen Krone und dem Neuseeland-Dollar. Im Vergleich dazu war der Euro an 31% aller Devisentransaktionen beteiligt und ist nach dem US-Dollar die zweitwichtigste Währung. Zwar verdoppelte sich das Transaktionsvolumen der Rupie seit 2016. Im Vergleich zum chinesischen Renminbi hat sie aber noch einen erheblichen Rückstand. Mit einem Anteil von etwa 7% ist der Renminbi weltweit die Nummer 5 und mit Abstand die meistgehandelte Währung eines Schwellenlands.

Um zu einer wichtigen Weltwährung aufzusteigen, bedarf es einer Modernisierung des Zahlungs- und Finanzwesens in Indien. Bargeld war lange Zeit die dominierende Zahlungsform. 2016 war die „Demonetisierung“ dann eine wegweisende Initiative zur Bekämpfung von Schwarzgeld und Korruption. Dabei wurden die Banknoten mit den höchsten Nennwerten, die 500- und die 1.000-Rupiennoten, aus dem Umlauf genommen. Dieser Schritt hatte kurzfristig negative Auswirkungen auf die Wirtschaft. Es kam zu Engpässen bei der Bargeldversorgung und Störungen im Handel. Trotz dieser Herausforderungen war die Initiative ein positiver Schritt zur Stärkung der indischen Wirtschaft und zur Einbindung einkommensschwacher Haushalte in das Bankensystem. Die indische Wirtschaft hat sich seit der Demonetisierungsinitiative erholt und ein robustes Wachstum verzeichnet. Trotz des erheblichen Einbruchs infolge der Corona-Pandemie stieg das Bruttoinlandsprodukt von 2016 bis 2022 um durchschnittlich 5% pro Jahr. Allerdings ist die indische Rupie nicht so frei handelbar wie zum Beispiel der Euro oder der US-Dollar. Aufgrund von Kapitalverkehrskontrollen und Restriktionen seitens der indischen Regierung sind Non-Deliverable Forwards (NDFs) oft die bevorzugte Wahl für ausländische Anleger, um auf den indischen Devisenmarkt zuzugreifen oder Währungsrisiken abzusichern. Der Hauptunterschied zu konventionellen Forwards besteht darin, dass NDFs im Ausland gehandelt werden und keine physische Lieferung der indischen Rupie stattfindet.

Zudem könnte die strategische Ambivalenz Indiens in der Außenpolitik das Interesse internationaler Investoren bremsen. Seit seiner Unabhängigkeit im Jahr 1947 verfolgt Indien weltpolitisch stets einen eigenen Weg. Ob im Kalten Krieg mit der Blockfreiheit oder später mit der „strategischen Autonomie“: Indien will sich nicht auf ein Lager festlegen. Bei den UN-Abstimmungen zum russischen Angriff auf die Ukraine hat sich Indien mehrmals enthalten. Das Land will sich vom Westen nicht vereinnahmen lassen, vor allem nicht im Kontext der aufkommenden Rivalität zwischen China und den Vereinigten Staaten.

Langfristig ist die Inflation der wichtigste Treiber des Euro-Rupie-Wechselkurses. Seit 1973 sind die Konsumentenpreise in Indien sechsmal so stark gestiegen wie in der Ländern der heutigen Eurozone. Entsprechend stark hat auch die Rupie gegenüber dem Euro abgewertet. Über kürzere Zeiträume weicht der Wechselkurs von dieser Beziehung ab und wird durch Zinsen, die Risikoneigung an den Märkten und die Kapitalströme in Emerging Markets getrieben. Höhere Zinsen in Indien entschädigen Anleger für die Abwertungstendenz der INR. Im Durchschnitt der letzten 20 Jahre waren die Leitzinsen in Indien mehr als 5% höher als in der Eurozone. Diese Zinsdifferenz ist derzeit mit etwa 3% relativ mager.

Land gewinnt an Attraktivität

Als Zielland für Direktinvestitionen und Finanzanlagen dürfte Indien weiter an Attraktivität gewinnen. Der Stellenwert der indischen Rupie an den Devisenmärkten wird aber derzeit bei weitem nicht dem Status Indiens als bevölkerungsreichstem und wirtschaftlich aufstrebenden Land gerecht. Weitere Reformen bei den Kapitalverkehrskontrollen und im Finanzwesen sind erforderlich, um den Rückstand der indischen Rupie wettzumachen.

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