Gastbeitrag

Indische Staatsanleihen in den Index?

Indische Staatsanleihen spielen für den internationalen Anleger bislang kaum eine Rolle. Mit einer Aufnahme in wichtige Indizes könnte sich das ändern. Grund genug, sich diese Assetklasse und ihre Vorzüge näher anzusehen.

Indische Staatsanleihen in den Index?

Indische Staatsanleihen
in den Index?

Indien ist mit mehr als 1,4 Milliarden Menschen der bevölkerungsreichste Staat der Welt und die größte Demokratie der Welt. Als Volkswirtschaft nimmt der Subkontinent global die fünfte Stelle ein.

Lange hat sich Indien sowohl in der Finanz- als auch in der Realwirtschaft vom Rest der Welt abgeschottet. Das betraf auch seinen Anleihemarkt mit seinen Restriktionen und Quoten. In den letzten Jahren kam es zu einem Wandel dieser Politik: Die Märkte sollten sich dem Ausland mehr öffnen.

Die Reserve Bank of India führte März 2020 das „Fully Accessible Route“-(FAR)-Programm ein. Seitdem können Ausländer indische Staatsanleihen in lokaler Währung ohne Beschränkungen erwerben. Das galt zunächst für Emissionen von Staatsanleihen mit Laufzeiten von fünf, zehn oder 30 Jahren, seit 2022 auch für Neuemissionen von Anleihen mit sieben- und 14-jähriger Laufzeit. 

Für J.P. Morgan ist jetzt offenbar die Zeit gekommen, um Indien und seine Staatsanleihen in seinen Flaggschiff-Index „Global Bond Index – Emerging Market Global Diversified“ aufzunehmen. Allgemein wird davon ausgegangen, dass die entsprechende Ankündigung noch in diesem Monat erfolgt.

Als Gründe für ihre mögliche Entscheidung nennt J.P. Morgan das Wachstum des indischen Marktes für FAR-fähige Schuldtitel, verbesserte Prozessabläufe für Depotbanken, hohe Liquidität bei den FAR-Anleihen und verlängerte Zeiten für ausländische Investoren, um wichtige operative Funktionen auszuführen. 

Der Index bildet als Benchmark ein verwaltetes Vermögen von rund 220 Mrd. Dollar ab. Indische Staatsanleihen werden voraussichtlich 10% des Index, die maximal zulässige Gewichtung, ausmachen. Indien wäre dann nach China, das ebenfalls mit 10% berücksichtigt ist, das zweitgrößte Land im Index. Nach der Ankündigung dürften einige Monate vergehen, bis der eigentliche Aufnahmeprozess startet. Dieser vollzieht sich in zehn monatlichen Schritten von jeweils einem Prozent. Mit der Vollendung der Aufnahme wäre dann möglicherweise Ende 2024/Anfang 2025 zu rechnen.

Die Aufnahme würde enorme Geldflüsse in Bewegung setzen. Allgemein geht man von einer Größenordnung von 25 Mrd. Dollar aus. Und das wäre erst der Anfang. Im Oktober wird der jährliche Bloomberg Index-Council abgehalten, bei dem die Aufnahme Indiens in den Global Aggregate Index beschlossen werden könnte. Der Einbezug in den Global Aggregate Index dürfte einen weiteren Mittelzustrom von rund 15 Mrd. Dollar nach sich ziehen. Insgesamt dürfte sich dadurch der Anteil ausländischer Investoren bis 2030 von derzeit lediglich 2 auf etwa 9% vervielfachen.

Die Anleihen aus dem FAR-Programm wiesen zuletzt eine durchschnittliche Rendite von über sieben Prozent auf. Indien verfügt mit einer Bonitätsnote von "BBB−" über Investment-Grade-Status, und die Erwartungen der Ratingagenturen für Indien sind stabil. Die Volatilität und der bisherige maximale Drawdown der IGB bewegten sich ungefähr auf dem Level der USA und China, also Emittenten mit höherem Rating und niedrigeren Renditen. Indien ist ein Non-Defaulter: Seit der Gründung der Reserve Bank of India im Jahr 1935 ist noch keine indische Staatsanleihe ausgefallen. Mit etwa 550 Mrd. Dollar verfügt das Land über die viertgrößten Devisenreserven der Welt und die zweitgrößten aller Schwellenländer, nach China (Stand 11.9.2023).

Die Anleihemärkte der meisten Industrienationen sind positiv korreliert. Bei indischen Staatsanleihen war die Korrelation zu diesen Märkten in den letzten zehn Jahren nur sehr schwach oder sogar negativ. Auch die Korrelation zu anderen Schwellenländer-Märkten ist niedrig. Indische Staatsanleihen können daher eine interessante Möglichkeit sein, ein Portfolio zu diversifizieren.

Der Grund für die besondere Korrelation liegt in der früheren indischen Abschottungspolitik, die eine engere Verflechtung Indiens mit der Welt- und der Weltfinanzwirtschaft verhindert hat. Hinzu kommt die spezielle Wirtschaftsstruktur Indiens. Die Rohstoffausfuhr ist im Gegensatz zum Export von Dienstleistungen, vor allem im IT-Bereich, nur von untergeordneter Bedeutung. Indien ist so auch in geringerem Ausmaß als andere Schwellenländer von globalen Stimmungen abhängig.

Volker Kurr

Head of Europe, Institutional, bei Legal & General Investment Management (LGIM)