GastbeitragAnlagethema im Brennpunkt (296)

Inflation: Unbesiegbar oder schon besiegt?

Abnehmende Inflations- und zunehmende Rezessionsrisiken sprechen gegen eine noch restriktivere Geldpolitik. Somit könnte die EZB von einer weiteren Zinserhöhung im September absehen.

Inflation: Unbesiegbar oder schon besiegt?

Gastbeitrag: Anlagethema im Brennpunkt (296)

Inflation: Unbesiegbar oder schon besiegt?

Seit rund zwölf bzw. 18 Monaten führen die Europäische Zentralbank und die US Federal Reserve einen Kampf gegen die hohe Inflation, nachdem beide Institutionen zunächst Ausmaß und Dauer der Preissteigerungen unterschätzt hatten. Mittlerweile sind sie ihrem Ziel, die Inflation in Richtung 2% zu drücken, jedoch deutlich näher gekommen. In der Eurozone hat sich die Preissteigerungsrate im Vergleich zum vergangenen Herbst auf 5,3% halbiert, in den USA ist ein noch stärkerer Rückgang von in der Spitze 9,1% auf zuletzt 3,2% zu beobachten. Dennoch ist die Unsicherheit hoch, ob dieser positive Trend anhält. So werden die gestiegenen Benzinpreise im August wohl wieder zu einer höheren US-Inflationsrate führen, und auch die höheren Löhne und Gehälter könnten von den Unternehmen zukünftig auf die Preise überwälzt werden. Dennoch prognostizieren wir einen Rückgang der US-Inflationsrate im vierten Quartal auf unter 3% und eine Rückkehr auf rund 2% im Jahr 2024.

Dass die Inflation nicht schon jetzt auf einem niedrigeren Niveau angekommen ist, hat vor allem mit den Preisen für Unterkünfte (Shelter) zu tun. Deren Steigerungsrate von knapp 8% gegenüber dem Vorjahr hat derzeit den stärksten Einfluss auf die Gesamt- und die Kerninflationsrate. Allerdings berechnet das US Bureau of Labor Statistics die Inflation alternativ auch auf Basis des in der Eurozone genutzten HICP-Warenkorbs. Hierbei werden hypothetische Mietkosten für Immobilienbesitzer nicht berücksichtigt. Das Ergebnis: Im Juli lag die US-Gesamtinflation auf Basis des HICP bei 1,7%, die Kerninflation sogar nur bei 2,0%! Auch wenn die US-Statistiker auf die Grenzen dieser Berechnungsmethode hinweisen, zeigt sich dennoch, dass es seit Beginn des Jahrtausends einen fast perfekten Gleichlauf zwischen der CPI- und HICP-Inflation gibt.

Die Frage, welcher Index sich dem anderen in der nächsten Zeit annähern wird, ist aus unserer Sicht eindeutig zu beantworten: Die mit dem CPI gemessene Inflationsrate wird vom Trend her deutlich nachgeben. Gründe für diese Einschätzung liefert eine neue Studie aus den USA. Die regionale US-Notenbank in San Francisco hat sich mit der Frage beschäftigt, wie sich die Unterkunftskosten in den nächsten Monaten entwickeln werden. Dazu wurden Prognosemodelle erstellt, die verschiedene Hauspreis- und Mietentwicklungen als erklärende Variablen berücksichtigen. Diese Modelle deuten darauf hin, dass der Anstieg der Unterkunftskosten in den nächsten 18 Monaten deutlich abnehmen wird – mit einem spürbar dämpfenden Einfluss auf die Gesamtinflation.

Rückschlüsse für Eurozone

Aus den zu erwartenden Entwicklungen in den USA lassen sich auch Rückschlüsse auf die zukünftige Inflationsrate in der Eurozone ziehen. Der enge Gleichlauf zwischen der US-HICP-Inflation und der Eurozonen-HICP-Inflation deutet darauf hin, dass die Inflationsrate in der Eurozone ebenfalls abnehmen wird. Die im Vergleich zu den USA höhere Eurozonen-Inflation ist insbesondere auf die Entwicklung in Deutschland zurückzuführen, wo erst ab September statistische Basiseffekte zu einem Inflationsrückgang auf weniger als 5% führen werden. Dass die Preissteigerungsrate in Deutschland dauerhaft auf einem höheren Niveau verbleiben könnte, halten wir nicht zuletzt aufgrund der konjunkturellen Entwicklung für unwahrscheinlich. Schließlich gehört Deutschland zu den Wachstumsschlusslichtern der Eurozone, weil sich die gesamtwirtschaftliche Nachfrage deutlich abgeschwächt hat. Hierauf reagieren die Unternehmen nach einiger Zeit üblicherweise mit Preiszugeständnissen.

Abnehmende Inflations- und zunehmende Rezessionsrisiken sprechen gegen eine noch restriktivere Geldpolitik. Somit könnte die EZB von einer weiteren Zinserhöhung im September absehen. Und auch wenn sich die Geldpolitik im Moment noch dagegen sträubt, spricht einiges dafür, dass die Zinsen 2024 wieder gesenkt werden. Dies signalisieren sowohl der rapide abnehmende Preisdruck auf den Vorstufen der Konsumentenpreise als auch die global zu beobachtende Tendenz hin zu sinkenden Inflationsraten. Die Tage der hohen Kapitalmarktrenditen dürften somit gezählt sein.

Carsten Klude

Chefvolkswirt M.M. Warburg & CO