Geld oder BriefBanken

ING punktet mit Solidität

Die Aktie der ING ist nicht immun gegen Schwankungen. Das liegt aber weniger an der Geschäftsentwicklung des Finanzkonzerns als vielmehr am Umfeld: Zinspolitik, Regulierung oder Turbulenzen in der Branche. Das Geschäftsmodell der ING gilt als recht robust. Deshalb ist die Aktie für risikoscheue Anleger einen Blick wert.

ING punktet mit Solidität

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ING punktet mit Solidität

Von Detlef Fechtner, Frankfurt

Kein Zweifel: Mit der ING-Aktie kann man nicht nur Geld gewinnen, sondern auch verlieren. Als im März dieses Jahres die Credit Suisse strauchelte, sackte der Kurs vieler Banken gen Süden, auch der der ING. Innerhalb von nur drei Wochen rutschten die Titel von 13,45 Euro auf 10,35 Euro – ein Minus von 23%. Oder: Als vor wenigen Tagen über Pläne der niederländischen Regierung spekuliert wurde, die Bankenabgabe zu erhöhen, gab der Kurs ebenfalls von jetzt auf nun 5% nach. Schließlich würde eine gestiegene Abgabe den Gewinn je Aktie mindern.

Unbeschadet solcher Rücksetzer, die durch Turbulenzen in der Branche oder Sorgen vor neuer Regulierung ausgelöst werden, hat sich der ING-Kurs in den vergangenen Monaten allerdings stetig und positiv entwickelt – vor allem, weil sich das Geschäft der Großbank stetig und positiv entwickelt. Insofern ist die Aktie durchaus einen Blick wert – vielleicht nicht für sicherheitsvernarrte, aber doch für risikoscheue, längerfristig orientierte Anleger.

Verglichen mit der Notierung genau vor zwölf Monaten können die Anteilseigner jedenfalls nicht maulen. Unterstützt durch die Zinswende in Euroland hat der Kurs der Titel um gut ein Drittel zugelegt – von damals gut 9 Euro auf heute mehr als 12 Euro. Und viele Analysten trauen dem Finanzkonzern, der zu den 30 global systemrelevanten Banken, den G-SIBs, zählt, sogar noch einiges mehr zu. In zahlreichen Research-Berichten werden Kursziele von 16 Euro aufgerufen, in einigen Fällen sogar von 17 oder 18 Euro.

Anfang August, unmittelbar nach der Vorlage der Zahlen für das zweite Jahresviertel, haben eine ganze Reihe von Research-Abteilungen großer Banken die Aktie der ING zum Kauf empfohlen, von J.P. Morgan bis Goldman, von Berenberg bis Deutsche Bank. Das allgemeine Zinsumfeld lieferte im zweiten Quartal erneut Rückenwind. Der Zinsüberschuss kletterte abermals und lag fast 20% höher als ein Jahr zuvor. Die Finanzgruppe hat vor allem dank des Zinsanstiegs, aber auch wegen niedriger Risikovorsorge in der Berichtsperiode vier Fünftel mehr verdient als im Vorjahr. Bei stabilen Kosten sprangen für die Niederländer unterm Strich 2,16 Mrd. Euro heraus.

Hohe Kostendisziplin

Bemerkenswerterweise hat es der Finanzkonzern trotz umfangreicher Investitionen geschafft, seine Kosten nicht nur stabil zu halten, sondern sogar leicht zu senken. Mit einer Cost-Income-Ratio von 54,4% arbeitet die ING nach wie vor kosteneffizienter als ihre heimischen Konkurrenten ABN Amro und Rabobank. Sie liegt deshalb weiterhin auf Kurs in Richtung ihres mittelfristigen Ziels von 50% bis 52%, das der Vorstand für 2025 ausgerufen hat.

Gerade die bisher gezeigte und weiterhin angekündigte Kostendisziplin ist nicht nur eine Tatsache am Rande, sondern gilt als eines der wichtigsten Argumente für die Aktie der Großbank – insbesondere aus der Perspektive von risikoaversen Anlegern. Denn damit wird der ING, deren Geschäftsmodell als belastbar und erprobt gilt, Resilienz auch in Phasen zugetraut, in denen das Zinsumfeld möglicherweise nicht mehr so günstig ist und die Wertberichtigungen infolge einer schwächelnden Konjunktur wieder steigen. Für die Solidität der Bank spricht auch die auskömmliche Kapitalquote. Die CET1 Ratio, also das harte Kernkapital, liegt mit zuletzt 14,9% in einer Region, die der Aufsicht gefallen und daher auf absehbare Zeit keine Nachdotierung notwendig machen dürfte. Das wiederum eröffnet Spielräume bei Ausschüttungen und Aktienrückkäufen und befeuert die Fantasie von Anlegern. Mit einer Ankündigung des nächsten Buy-back-Programms rechnen Aktienexperten bei Vorlage der Zahlen für das dritte Quartal im November.   

Für Vertrauen sollte zudem sorgen, dass es der ING – als traditioneller Vorreiter von Lockangeboten durch Anhebung der Sparzinsen – im zweiten Quartal erkennbar gut gelungen ist, neue Kunden zu ködern, nämlich 227.000 und damit mehr als doppelt so viel wie zu Jahresbeginn. In Deutschland beispielsweise flossen der ING-DiBa knapp 16 Mrd. Euro zu. Damit erlebte das Einlagen-Neugeschäft, das in den Monaten zuvor stagniert hatte, neuen Schwung.

60 Prozent mobile Kunden

Übrigens: Der Anteil der Retailkunden, die ihre Bankgeschäfte ausschließlich mobil erledigen, ist mittlerweile auf stattliche 60% geklettert. In anderen Worten punkten die Niederländer vor allem bei einer jungen, technologieaffinen Kundschaft. Die Sorgen, dass neue und modernere Anbieter am Markt für Einlagen Kunden streitig machen, dürfte daher nicht so groß sein wie bei herkömmlichen Filialbanken. Schließlich dürfte risikoaverse Investoren beruhigen, dass sich die Einnahmen der Bank einerseits auf mehrere Regionen verteilen, was das Risiko streut, sowie andererseits auf Retail- und Großkunden.

Vor einem Monat ist die Aktie übrigens auch für Index-Tracker attraktiver geworden. Anfang September hat ING den Clubausweis für den Stoxx Europe 50 erhalten – jenen Index, in dem die 50 marktschwersten Werte sowohl aus Euroland als auch aus Großbritannien, der Schweiz und anderen europäischen Staaten gelistet sind. Gemeinsam mit Munich Re hat der niederländische Allfinanzkonzern den Zahlungsabwickler Ayden und den Luxusgüterhersteller Kering, die Mutter von Gucci und Yves Saint Laurent, aus dem Index verdrängt.

Abwärtsrisiken für die Aktie der Großbank sehen Analysten, falls es tatsächlich zu einer höheren Bankenabgabe in den Niederlanden kommen sollte. Die Schätzungen lauten auf Einbußen beim Gewinn pro Aktie in der Größenordnung von 2% bis 4%. Auch Vorschläge für eine Steuer auf Aktienrückkäufe wirken als Belastungsfaktor für die Kreditinstitute in den Niederlanden. Und selbstverständlich wird in den nächsten Monaten die Entwicklung der Leitzinsen in der Eurozone Einfluss auf das Geschäft der ING nehmen – ebenso wie der konjunkturelle Verlauf. Hier dürften die Risiken größer sein als die Chancen, da sich angesichts vergleichsweise trüber Konjunkturprognosen mittelfristig höhere Wertberichtigungen abzeichnen.