MARKTCHANCEN 2017

Investoren setzen auf Gezeitenwechsel am Anleihemarkt

Das Niedrigzinsumfeld ist intakt - US-Notenbank will Zinsen erhöhen - Dollar liebäugelt mit Parität - EZB kauft weiter Bonds - Politische Risiken tauchen auf

Investoren setzen auf Gezeitenwechsel am Anleihemarkt

Von Kai Johannsen, FrankfurtAuf die Ebbe folgt die Flut. Und die Flut lässt bekanntlich alle Boote steigen. Auf solch einen Gezeitenwechsel stellen sich die Akteure an den Finanzmärkten für 2017 ein: Ausgehend von steigenden Renditen der Staatsanleihen, so etwa in den USA, halten dann auch in anderen Bondmarktsegmenten steigende Renditen Einzug. Der Markt setzt sich vom historischen Renditetief ab – wieder einmal. Blickt man ein Jahr zurück, hatten ein solches Szenario viele auch für 2016 erwartet. Eingetreten ist es aber nicht. Was erwartet die Märkte 2017, was spricht für höhere Anleiherenditen und genauso wichtig: Was spricht dagegen? Immer wieder abwartenDa ist zunächst einmal die US-Notenbank Fed. Sie hat im Jahresschlussmonat nach einjähriger Zinsanhebungspause nun wieder an der Zinsschraube gedreht und den Leitzins auf 0,5 % bis 0,75 % heraufgesetzt. Das ist die zweite US-Zinsanhebung seit Ausbruch der Finanzkrise. Für 2017 stellte Fed-Chefin Janet Yellen drei weitere Zinsschritte in Aussicht. Das ist das erste Argument, warum die Marktteilnehmer von höheren Zinsen ausgehen und damit auch von höheren Anleiherenditen. Nun sind drei in Aussicht gestellte Zinsschritte aber nicht auch drei beschlossene und damit erfolgte Zinsschritte, wie die Vergangenheit lehrt. Immer wieder haben die US-Zentralbanker die Marktakteure für das jeweils anstehende Jahr oder Halbjahr darauf eingestimmt, dass man sich lieber auf eine Zinserhöhung einstellen sollte. Immer mehr Argumente – so die Fed-Verantwortlichen – sprächen dafür, dass in naher Zukunft ein Zinsschritt erfolgen könnte. Doch jedes Mal wieder entschieden sich die US-Währungshüter fürs Abwarten. Die Anzahl der Zinsschritte, die in Aussicht gestellt oder aus den Zinspfadprojektionen abgelesen wurden, wurde nicht ein einziges Mal erreicht. Zu groß waren immer wieder die Unsicherheiten entweder inner- oder außerhalb der US-Wirtschaft. Das könnte sich also durchaus wiederholen.Eine große Unbekannte und damit ein Unsicherheitsfaktor ist der neue US-Präsident Donald Trump. Trump machte im Wahlkampf durch vielerlei Drohungen und Versprechungen auf sich aufmerksam. Aber so schnell er mit diesen Ankündigungen im Wahlkampf auch jedes Mal aufwartete, so schnell ruderte er in vielen Fällen auch wieder zurück, als er erst einmal gewählt war. Nun müssen die Märkte zunächst abwarten, was von zwei sehr wichtigen Punkten seiner Konjunkturpläne noch bleiben wird. Hier geht es einerseits um die konjunkturstimulierende Fiskalpolitik und andererseits um den angekündigten Protektionismus der US-Wirtschaft. Zunächst einmal wird es darauf ankommen, welche Formen und Ausmaße die Trump’sche Fiskalpolitik erreicht. Welche Maßnahmen werden von den vollmundigen Ankündigungen letzten Endes noch angegangen bzw. was werden seine republikanischen Parteikollegen überhaupt mittragen? Wie viel kann er deregulieren, und welcher Wachstumsimpuls kommt dadurch in der US-Wirtschaft an und mit welchen Wirkungen auf die Inflation? Das Gleiche gilt für seine Vorhaben in Sachen Protektionismus: Wie stark wird die Wirtschaft der USA abgeschottet und vor allem mit welchen negativen Wirkungen für die US-Konjunktur? Das sind nur einige Fragen, auf die erst noch Antworten gefunden werden müssen. Danach lässt sich auch erst abschätzen, inwieweit die Fed diese konjunkturstimulierende Fiskalpolitik von Trump mit Zinserhöhungen begleiten wird bzw. muss oder eben gar nicht begleiten kann. In der Tendenz lässt sich bis hierher aber folgende Aussage zur Zinsentwicklung ableiten: Die Tendenz der Fed zu höheren Zinsen, die sie zwar nur sehr zögerlich umsetzt, und eine schwungvolle Fiskalpolitik Trumps, die sich letzten Endes auch in höherer Inflation niederschlägt, sprechen zusammengenommen für höhere Zinsen bzw. Renditen. Belastung für UnternehmenWie so oft im Leben gibt es aber auch ein Aber. Und dieses erste Aber findet sich in der Dollar-Stärke wieder. Die Tendenz der Fed, die Zinsen immer weiter aus dem historischen Tief hinausbefördern zu wollen, stärkt den Dollar gegenüber anderen wichtigen Währungen wie dem Euro. Sollte der neue Präsident Trump einen recht bedeutenden fiskalischen Impuls für die US-Konjunktur bewerkstelligen können, wird das auch am Devisenmarkt honoriert: Eine solide Wirtschaftsentwicklung geht nämlich mit einer Aufwertung der eigenen Währungen einher. Der Dollar sollte somit weiter zulegen. Manche Bank prognostiziert für 2017 die Euro-Parität. Auguren, die sich ein wenig weiter aus dem Fenster lehnen, stellen aber auch schon ein Abtauchen des Dollar unter die Parität in Aussicht, d.h. dass für einen Euro nicht mehr genau ein Dollar zu bezahlen ist, sondern weniger.Aber es ist genau diese Dollar-Stärke, die den Zinssteigerungen der Notenbank entgegensteht. Anders ausgedrückt: Der starke Dollar wirkt irgendwann wie Zinsanhebungen. Zusätzliche Anhebungen der Notenbank würden den Dollar nur noch stärker machen, als er ohnehin schon ist. Der starke Greenback schadet ab einem gewissen Punkt aber auch der amerikanischen Wirtschaft, d.h. den dortigen Unternehmen, denn ihre Waren werden im Ausland gemessen in der ausländischen Währung, zum Beispiel dem Euro, teurer. Die Exporte der US-Industrie werden tendenziell durch die Dollar-Stärke belastet. Wenn der Präsident Trump die heimische Wirtschaft noch mit protektionistischen Zügen versieht, die ihrerseits im Ausland vermutlich nicht immer unbeantwortet bleiben, also ebenfalls Aktionen wie Strafzölle hervorrufen, dann werden die Exporte der Amerikaner weiter unter Druck gesetzt. Ob die Fed bei einer Dollar-Stärke und einer dadurch unter Druck geratenen Exportindustrie noch weitere Zinssteigerungen vornehmen möchte, die die Unternehmen dann auch noch auf der Refinanzierungsseite (über höhere Zinsen bei der Fremdkapitalaufnahme) belasten, darf zumindest bezweifelt werden. Der stärkere Dollar und die Folgewirkungen für die heimische Industrie in Verbindung mit protektionistischer Wirtschaftspolitik bremsen eine Bewegung hin zu höheren Zinsen eher ab. Bis Ende 2017 ausgeweitetIn der Tendenz weisen die US-Zinsen in den genannten Zusammenhängen somit eine stabile bis leicht aufwärtsgerichtete Tendenz auf, was auch in der Eurozone die Zinsen bzw. Bondrenditen eher ein Stück weit mit nach oben ziehen sollte. In der Eurozone wirken aber auch andere Kräfte. Die Europäische Zentralbank (EZB) ist noch mitten in ihrem Kaufprogramm. Die europäischen Währungshüter haben erst im Dezember beschlossen, das Kaufprogramm zeitlich bis Ende 2017 auszuweiten. Über die Zeit hinweg betrachtet fällt das Anleihekaufvolumen der EZB insgesamt auch noch höher als erwartet aus. Diese höher als zuvor angenommen ausfallenden Käufe der EZB halten die Renditen der gekauften Anleihen auf einem niedrigen Niveau. Somit zeigt der Trend zu höheren amerikanischen Zinsen am europäischen Markt nur eingeschränkt Wirkung.Nicht außer Acht gelassen werden darf der sogenannte Crowding-out-Effekt. Durch die EZB-Käufe werden die Anleiherenditen der betreffenden Bonds niedrig gehalten, in weiten Laufzeitenbereichen (im Schnitt bis zu den mittleren Laufzeiten) liegen die Sätze meist im Minus oder knapp an der Nulllinie. Anleger, die noch Rendite wollen oder brauchen, sind damit gezwungen, in längere Laufzeiten oder schlechtere Bonitäten zu gehen, sie werden durch die EZB-Käufe verdrängt, d.h. in andere Laufzeiten- bzw. Bonitätssegmente getrieben. Diese Käufe, die nun in Anleihen mit längeren Laufzeiten oder bei Emittenten mit schlechteren Ratings erfolgen, drücken in diesen Bereichen nun wieder die Renditen nach unten. Diese durch das EZB-Bondkaufprogramm ausgelösten und seit geraumer Zeit am Markt bestehenden Verdrängungseffekte haben die Renditen der Anleihen nach unten gedrückt und wirken auch im kommenden Jahr noch dämpfend auf etwaige Renditeanstiege.Hinzu kommt ein weiterer Faktor, der 2017 für Gesprächsstoff sorgen wird. Die EZB kann die unkonventionelle Geldpolitik – auch Quantitative Easing genannt – nicht ewig fortführen. Sie wird zu einem gewissen Zeitpunkt den Ausstieg finden müssen, also die Anleihekäufe allmählich zurückfahren müssen – ein Aspekt, der Tapering genannt wird. Genau dieses Tapering wird irgendwann Diskussionsgegenstand am Markt. Die Erfahrung mit der Tapering-Debatte in den USA hat gezeigt, dass dies renditesteigernd wirkt. Ein Tapering in der Eurozone, das vermutlich frühestens in der zweiten Hälfte 2018 auf die Märkte zukommt, hätte in der Tendenz renditesteigernde Effekte. Die EZB wird einen derartigen Trend Experten zufolge aber sicherlich abfedern, denn sprunghaft höhere Renditen, also Kursverluste der Anleihen, könnten vielen Marktakteuren erheblich zusetzen.2017 ist auch verbunden mit zahlreichen politischen Unsicherheiten. In den Niederlanden, Frankreich und Deutschland stehen Wahlen an. Die entscheidende Frage ist, ob die populistischen Parteien weiteren Zulauf erhalten und damit eine weitere Abkehr der Wähler von den etablierten politischen Kräften zum Tragen kommt. Damit einher gehen häufig auch Forderungen nach mehr Unabhängigkeit von der EU. Viele sorgen sich, dass es verstärkte Rufe nach EU-Austritten und damit entsprechende Abstimmungen gibt. Für die Eurozone wäre das eine Schwächung. Sichere Häfen gefragtUnsichere wirtschaftliche Folgen würde die EZB sicher nicht mit Zinssteigerungen begleiten wollen. Außerdem werden die Anleger auch die Brexit-Verhandlungen weiter verfolgen. Diese politischen Unwägbarkeiten, der Brexit mit all seinen noch nicht abschätzbaren ökonomischen Konsequenzen und die geopolitischen Risiken halten die Unsicherheit an den Märkten hoch. In Phasen der Unsicherheit war bisher immer Sicherheit gefragt; die Anleger steuerten die sicheren Häfen der Bundesanleihen an mit renditensenkenden Wirkungen auf die Papiere.Ein letzter Punkt bei Renditesteigerungen wird häufig übersehen. Steigen die Renditen, freuen sich die sogenannten Real Money Accounts wie Versicherer und Pensionsfonds über genau diese höheren Zinsen/ Bondrenditen. Liegen sie in vielen Laufzeitenbereichen auf einmal sogar wieder im Plus und nicht mehr im Minus, was schon ein halbes Jahrzehnt bei den Bundeswertpapieren zu beobachten ist, greifen sie zu. Diese Käufe bremsen Renditeanstiege ab, und die Kaufvolumina, die von diesen Adressen dann zu erwarten sind, sollten nicht unterschätzt werden. Alles in allem wird die große Zinsflut 2017 wohl ausbleiben, nur leicht werden die Renditen nach oben befördert. Im historischen Vergleich bleiben die Niveaus aber niedrig, so dass das Niedrigzinsumfeld als weiterhin intakt angesehen werden kann.