Kreditwürdig

Ist die Staatsverschuldung noch tragbar?

Ausufernde Schulden und steigende Zinsen sind eine explosive Mischung. Ist die Schuldenlast noch tragbar, wenn die Zinsen länger hoch bleiben?

Ist die Staatsverschuldung noch tragbar?

Kreditwürdig

Ist die Staatsverschuldung noch tragbar?

Von Christoph Rieger *)

Ausufernde Schulden und steigende Zinsen sind eine explosive Mischung. Ist die Schuldenlast noch tragbar, wenn die Zinsen länger hoch bleiben? Ein Blick auf die Sensitivitäten zeigt, dass es keineswegs unrealistischer Annahmen bedarf, um einige Länder in Schwierigkeiten zu bringen. Am beunruhigendsten sind die Projektionen für die USA, aber die Euro-Länder dürften am anfälligsten sein.

Mit jeder Krise der letzten Jahrzehnte stieg die Staatsverschuldung auf einen neuen Höchststand – und sie könnte auch ohne neue Krise weiter steigen. Nach den jüngsten Projektionen des Congressional Budget Office (CBO) wird die US-Schuldenquote bis 2029 den Höchststand des Zweiten Weltkriegs übertreffen, und das Budgetdefizit wird in den kommenden Jahren nicht unter 5% fallen – trotz Vollbeschäftigung!

Druck auf Haushalte

Diese US-Zahlen mögen extrem erscheinen, aber der Druck auf die öffentlichen Haushalte ist global. Die Regierungen brauchen mehr Geld, um die Dekarbonisierung ihrer Volkswirtschaften zu unterstützen, soziale Sicherheit für eine alternde Gesellschaft zu gewährleisten, die Ukraine im Krieg zu unterstützen und das Land danach wieder aufzubauen. Darüber hinaus wird die Zinslast weiter steigen.

Staatsschulden sind tragfähig, solange die Investoren darauf vertrauen, dass der Staat seinen Zahlungsverpflichtungen nachkommen kann. Bei inländischen Schulden kommt es nur selten zu Zahlungsausfällen, da die Zentralbank jederzeit Geld drucken kann, um die Schulden in der eigenen Währung zurückzuzahlen.

Eine weiter gefasste Definition von Schuldentragfähigkeit verlangt daher auch, dass die Schulden ohne höhere Inflation zurückgezahlt werden können. Wenn es keine fiskalische Dominanz gibt, d.h., wenn unabhängige Zentralbanken an ihren Inflationszielen festhalten, muss die Fiskalpolitik dafür sorgen, dass die Schulden nicht explodieren. Andernfalls würden die für den Schuldendienst erforderlichen Mittel irgendwann die Steuerkapazität des Staates übersteigen.

Drei Faktoren relevant

Ob die Schuldenquote aus dem Ruder läuft, hängt von drei Faktoren ab: den Zinsen, dem nominalen BIP-Wachstum und dem Primärsaldo (d.h. dem Haushaltsdefizit ohne Zinszahlungen). Sind die Zinsen höher als das nominale BIP-Wachstum, ist ein Primärüberschuss erforderlich, um die Schuldenquote zu stabilisieren, wobei die bestehende Schuldenquote als Multiplikator wirkt.

Die obigen Überlegungen zeigen, dass die größten fiskalischen Herausforderungen (oder Risiken für die Schuldentragfähigkeit) auf die Länder zukommen, deren durchschnittliche Zinskosten das nominale BIP-Wachstum übersteigen, wobei hohe Schuldenquoten die Dynamik verstärken.

Die gute Nachricht ist, dass die Inflation das nominale BIP-Wachstum erhöht. Dies hat in den letzten zwei Jahren einen weiteren Anstieg der Schuldenquoten verhindert, obwohl die Verschuldung weiter zugenommen hat. Die schlechte Nachricht ist, dass das nominale BIP-Wachstum voraussichtlich sinken wird, während die durchschnittlichen Zinsen weiter steigen werden, selbst wenn die Renditen nicht weiter steigen, da Anleihen mit niedrigen Kupons gerollt werden müssen.

Italien vor Herausforderungen

Im kommenden Jahr können sich die großen Länder des Euroraums immer noch Primärdefizite leisten, ohne ihre Schuldenquoten in die Höhe zu treiben, da sich der starke Zinsanstieg nur allmählich auf die durchschnittlichen Zinskosten auswirken wird, während das nominale BIP-Wachstum aufgrund der anhaltenden Inflation hoch bleiben wird. Längerfristig steht Italien vor den größten Herausforderungen, da die durchschnittlichen Zinsen wahrscheinlich über das nominale BIP-Wachstum steigen werden. Angesichts der gestiegenen Schuldenquote seit der Pandemie wird dann ein höherer Primärüberschuss als in der Vergangenheit erforderlich sein, um die Schuldenquote bei einem gegebenen Abstand zwischen Zinsen und nominalem BIP-Wachstum zu stabilisieren.

Positiv zu vermerken ist, dass Italien bis 2019 außerhalb von Rezessionen Primärüberschüsse erzielt hat. Dies war auch notwendig, da die durchschnittlichen Zinsen das nominale BIP-Wachstum überstiegen. Somit ist die Schuldenquote vor allem im Zuge der großen Finanzkrise, der Staatsschuldenkrise und der Pandemie gestiegen. Im Ergebnis bedeuten die obigen Überlegungen, dass keine größeren Probleme zu erwarten sind, sofern sich die Marktzinsen im Einklang mit den Forwards entwickeln und Italien nach dem nächsten Jahr wieder Primärüberschüsse erzielt. Für die USA steigt die Schuldenquote in der CBO-Projektion nur aufgrund der anhaltenden Primärdefizite, die sich bei unveränderter Gesetzgebung ergeben würden, während die Zinsen im Durchschnitt leicht unter dem nominalen BIP-Wachstum erwartet werden.

Diese Annahmen sind jedoch mit Risiken behaftet, die zu weniger günstigen Ergebnissen führen könnten: Höhere Zinsen könnten für einen längeren Zeitraum erforderlich sein, um die Inflation nachhaltig wieder auf 2% zu bringen. Die realen zehnjährige Swap-Sätze liegen derzeit bei etwa 0,6%. Dies liegt zwar nur knapp unter dem von uns unterstellten Potenzialwachstum, doch könnten in den kommenden Jahren höhere Zinsen erforderlich sein, um dem strukturellen Inflationsdruck zu begegnen, der von Arbeitskräftemangel, der Deglobalisierung und dem Übergang zur Klimaneutralität ausgeht (“höheres r*”).

Hohe Schuldenquote

Für Italien könnte es schwieriger werden, in den kommenden Jahren die zur Stabilisierung der Schuldenquote erforderlichen Primärüberschüsse zu erzielen, wenn das nominale BIP-Wachstum wieder unter den durchschnittlichen Zinssatz fällt. Bei einem enttäuschenden Wirtschaftswachstum könnte der politische Wille zur Umsetzung der notwendigen Sparmaßnahmen und Strukturreformen auf die Probe gestellt werden (“fiscal fatigue”). Angesichts der historisch hohen Schuldenquote ist der Spielraum für Fehler gering.

Da Italien strukturell höhere Finanzierungskosten hat, ohne ein strukturell höheres BIP-Wachstum zu verzeichnen, ist der finanzpolitische Spielraum begrenzt, auch angesichts der hohen Schuldenquote. Italienische Anleihen bleiben daher anfälliger für Stimmungsschwankungen der Investoren.

Weitere Diskussionen erwartet

Seit vorigem Sommer haben italienische Papiere von der bewährten Entschlossenheit der EZB profitiert, einer “ungerechtfertigten Fragmentierung” entgegenzuwirken. Die Möglichkeit flexibler PEPP-Reinvestitionen (die “erste Verteidigungslinie” der EZB) läuft jedoch in absehbarer Zeit aus. Da wir in den kommenden Monaten weitere Diskussionen über ein früheres Ende der vollständigen PEPP-Reinvestition erwarten, dürfte sich der zehnjährige Spread von Italien gegenüber Bunds in Richtung des oberen Endes der Spanne von 150 bis 200 Basispunkten bewegen.

*) Christoph Rieger leitet bei der Commerzbank das Zins- und Credit-Research.

*) Christoph Rieger leitet bei der Commerzbank das Zins- und Credit-Research.

BZ+
Jetzt weiterlesen mit BZ+
4 Wochen für nur 1 € testen
Zugang zu allen Premium-Artikeln
Flexible Laufzeit, monatlich kündbar.