J.P. Morgan rät vom Einstieg ab
J.P. Morgan rät vom Einstieg ab
Aktienstratege empfiehlt, Nutznießer steigender Zinsen zu verkaufen
hip London
Aus Sicht von J.P. Morgan ist in den aktuellen Kursen an den Finanzmärkten bereits eine Menge Optimismus enthalten. „Vor einem Jahr gab es weitverbreitete Ängste vor einer Rezession“, sagte die Nora Szentivanyi, Global Economist der US-Investmentbank, vor Journalisten in London. „Nun schließen wir das Jahr über dem Potenzialwachstum ab.“ Der Glaube an eine sanfte Landung der US-Wirtschaft nehme zu. Dafür gebe es gleich mehrere Gründe: Das nominale Wachstum sei stärker als erwartet ausgefallen, die Unternehmensgewinne höher, die Vermögen der privaten Haushalte und die Lohneinkommen ebenso. Auch in den Schwellenländern sei das Wachstum stärker als gedacht gewesen.
„Europa war der Schwächling“
„Europa war der Schwächling“, fügte sie hinzu. Die schwache heimische Nachfrage in der Volksrepublik China und der Eurozone hätten überschüssige Kapazitäten geschaffen. Dadurch habe sich die Warenpreisinflation abgeschwächt. Sie rechne für das erste Halbjahr 2024 nicht mit einer Rezession. Die Wahrscheinlichkeit, dass es im weiteren Verlauf dazu komme, sei aber relativ hoch. Das Wachstum der Weltwirtschaft werde sich bis unter ihr Potenzialwachstum verlangsamen. Die Inflation werde weiter zurückgehen.
Schwierige „letzte Meile“
Für die „letzte Meile“ auf dem Weg zu den Inflationszielen der westlichen Notenbanken sei aber eine Schwächung des Arbeitsmarkts nötig. „Wir sind noch nicht soweit, dass die Notenbanken den Sieg verkünden können“, sagte Szentivanyi. Am Markt werden für das kommende Jahr bereits fünf Zinssenkungen der US-Notenbank Fed eingepreist. Sie rechnet erst im Juli mit dem ersten Schritt. Für das zweite Halbjahr 2024 hat J.P. Morgan insgesamt Zinssenkungen der Fed von 100 Basispunkten angesetzt. Die EZB werde den Leitzins um 75 Basispunkte nach unten nehmen.
Angst, etwas zu verpassen
„Das Risiko-Ertrags-Verhältnis hat sich im Vergleich zum Vorjahr deutlich verändert“, sagte Mislav Matejka, der Aktienstratege des Instituts. Die Volatilität sei nur halb so hoch. „Leute, die zu günstigeren Kursen nicht kaufen wollten, sind zu viel höheren Preisen eingestiegen, um nichts zu verpassen“, konstatierte Matejka. Vielleicht versuche man besser, entgegengesetzte Positionen einzunehmen und nicht davon auszugehen, dass im kommenden Jahr alles einem „Goldlöckchen“-Szenario entsprechen wird.
„Kein echter Katalysator“
Small-Caps hätten sich im ablaufenden Jahr sehr schlecht entwickelt, „Value“-Aktien und Dividendentitel aus Schwellenländern ebenso. „Europa war noch nie so billig“, sagte Matejka. Aber: „Es gibt keinen echten Katalysator für eine Rotation.“ In den kommenden Monaten werde schwer einzuschätzen sein, wohin die Reise gehe. „Es wird einen besseren Einstiegszeitpunkt geben“, sagte der Aktienstratege. Er empfahl, Werte zu verkaufen, die von steigenden Zinsen profitiert haben, und das zu kaufen, was darunter gelitten hat: Immobilienwerte, Versorger und andere Aktien, die sich ähnlich wie Bonds verhalten. Europäische Banken hätten sich drei Jahre lang überdurchschnittlich gut entwickelt. Wenn die Zinsen sinken, gerieten ihre Nettozinsmargen unter Druck.
Luis Oganes, Head of Currencies, Commodities & Emerging Markets Research, rechnet mit einem potenziell volatilen Jahr. Das Basisszenario der Bank sei zwar eine weiche Landung. Doch die Wahrscheinlichkeit einer harten Landung sei nicht gering.
Große Spannbreite
Es sei schwer gewesen, eine Meinung zu formulieren, weil die Spannbreite der möglichen Entwicklungen ziemlich groß sei. „Wir sind bescheiden geworden, nachdem wir uns im Laufe des Jahres ein paar Mal die Finger verbrannt haben“, sagte Oganes. Der Markt habe bereits eine Menge vorweggenommen. An den Zins- und Devisenmärkten werde bereits eine weiche Landung eingepreist. Aus seiner Sicht sei eine erste Zinssenkung der Fed im März, die von manchen erwartet wird, nur denkbar, wenn Wachstumsängste aufkommen. „Die sinkende Inflation allein dürfte die Fed nicht so früh zu einer Senkung bewegen“, sagte Oganes.
Ölnachfrage lässt nicht nach
Die Nachfrage für Öl habe sich vergleichsweise gut gehalten, sagte Oganes. Für 2024 erwarte das Institut eine ziemlich starke Nachfrage. Das Problem sei das Angebot. Viele Nicht-OPEC-Mitglieder wie Brasilien hätten die Produktion erhöht. Das größere Angebot habe den Preis gedrückt. J.P. Morgan erwartet den Preis für ein Barrel (159 Liter) Öl der Nordsee-Marke Brent für 2024 bei 83 Dollar. Im laufenden Jahr hatte er bei 81 Dollar gelegen. Voraussetzung ist die erwartete sanfte Landung der US-Wirtschaft und die Beibehaltung der Produktionskürzungen der OPEC+.