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Kapitalmärkte der Türkei im Sog der Politik

Von Mauro Toldo *) Börsen-Zeitung, 23.1.2014 Das Jahr 2013 ist sicherlich kein gutes Jahr für Türkei-Investments gewesen. Lange Zeit war das Land ein Vorbild für stabilitätsorientierte Politik und erkämpfte sich nach zwei Jahrzehnten die Rückkehr...

Kapitalmärkte der Türkei im Sog der Politik

Von Mauro Toldo *)Das Jahr 2013 ist sicherlich kein gutes Jahr für Türkei-Investments gewesen. Lange Zeit war das Land ein Vorbild für stabilitätsorientierte Politik und erkämpfte sich nach zwei Jahrzehnten die Rückkehr ins Investment Grade. Doch im Sommer überschatteten die Straßenproteste um den Gezi-Park die Regierungszeit von Ministerpräsident Erdogan, und zum Jahreswechsel folgten Korruptionsvorwürfe gegen wichtige Anhänger der Regierungspartei AKP, die zu einer Regierungskrise führten.Die Krise hat die türkischen Märkte in ihren Sog gezogen. Die Lira (TRY) wertete ab, und die Kurse für türkische Anleihen und Aktien fielen. Der Spread des von J.P. Morgan berechneten EMBIG Index für türkische US-Dollar-Anleihen weitete sich von 269 Basispunkten (BP) am Tag vor der Enthüllung (16. Dezember) auf 317 BP am 2. Januar aus. Die Währung hat in dieser Zeit gegenüber dem Dollar 6 % verloren und fiel in den vergangenen Tagen weiter auf mehr 2,20 TRY/USD. Nach der Kabinettsumbildung Ende Dezember hat sich die Lage wieder etwas stabilisiert. Die Spreads sind zeitweise unter die Marke von 300 BP gefallen und lagen zuletzt bei 302 BP. Allerdings ist es eine unbehagliche Ruhe, die gegenwärtig am Bosporus herrscht. Denn die Glaubwürdigkeit der AKP ist beschädigt, und die gewaltsame Niederschlagung der Proteste hat das politische Klima vergiftet. Große VerunsicherungDer Ausgangspunkt der politischen Spannungen im Dezember waren die Korruptionsvorwürfe der Staatsanwaltschaft gegen namhafte Geschäftsleute mit Beziehungen zur AKP. Unter den Angeklagten befinden sich u.a. die Söhne von drei mittlerweile zurückgetretenen Ministern. Erdogan beschuldigte die Staatsanwaltschaft, von Anhängern der Bewegung des in den USA lebenden islamischen Predigers Fethullah Gülen unterwandert zu sein. Der Bewegung wird eine große Nähe zur Justiz und Polizei nachgesagt. Die Korruptionsvorwürfe sollen Teil eines Machtkampfs zwischen Erdogans Anhängern und den Gülenisten sein. Von Anfang an hatte Erdogan die Korruptionsermittlungen als Putschversuch gegen seine demokratisch gewählte Regierung interpretiert, obwohl er die Gülenisten nicht explizit erwähnte.Erdogan hat daraufhin die Entfernung oder Versetzung vieler Mitglieder der Justiz und der Polizei angeordnet. Dies wurde bereits als ein Schritt gegen die Gülenisten interpretiert. Es ist hervorzuheben, dass die Gülenisten lange Zeit im Bündnis mit der AKP-Regierung waren, bevor es zwischen den Gruppierungen im vergangenen Jahr zu Spannungen kam. Am 25. Dezember kündigte Erdogan eine Regierungsumbildung an, woraufhin sechs Abgeordnete die Regierungspartei AKP verließen. Dies gefährdete allerdings nicht die solide Mehrheit der AKP im türkischen Parlament. Insgesamt scheint Erdogan die Kontrolle über die Partei und das Land wieder erlangt zu haben, aber die Verunsicherung unter den Anlegern bleibt groß.Ende März finden Kommunalwahlen in der Türkei statt. Sie sind ein erster großer politischer Stimmungstest, bevor im Sommer dann erstmals die Direktwahl des türkischen Präsidenten nach der Verfassungsänderung stattfinden wird. Trotz der Korruptionsvorwürfe scheint die Regierungspartei gute Chancen zu haben, die führende politische Kraft im Land zu bleiben. Und Erdogan dürfte nach den aktuellen Umfragen erfolgreich ins Amt des Staatspräsidenten wechseln können. Für die internationalen Anleger ist allerdings die Kontinuität in der Politik nicht mehr Garant für Stabilität. Es hat sich gezeigt, dass es die AKP trotz der wirtschaftlichen Reformen nicht geschafft hat, unabhängige Institutionen aufzubauen – wie die Unterwanderung der Justiz nun zeigt. Zudem hat Erdogan in den vergangenen Jahren immer mehr Macht in seiner Person vereint, was zu einem stärkeren politischen Risiko führt. Rating-Trend gebrochenDas gestiegene politische Risiko sollte dem positiven Rating-Trend der vergangenen zehn Jahre ein Ende bereitet haben. Die Türkei wurde zuletzt am 16. Mai 2013 von Moody’s auf “Baa 3” heraufgestuft. Kurz darauf setzte die Rede von Fed-Chef Bernanke über das mögliche Ende der ultralockeren Geldpolitik die Emerging Markets unter Druck. Im November 2012 hatte Fitch als erste der großen Ratingagenturen den Schritt über die Schwelle zum Investment Grade gewagt und das Land auf “BBB-” heraufgestuft. Standard & Poor’s, die als letzte Ratingagentur im Junk-Bereich verharrt, hatte die Türkei Ende März immerhin auf “BB +” heraufgestuft. Alle drei Ratingagenturen haben die Ratings mit einem stabilen Ausblick versehen. Allerdings haben diese auch die ersten Warnungen ausgegeben: So gab Fitch am 7. Januar bekannt, dass eine Fortsetzung oder gar eine Zuspitzung der politischen Krise negative Auswirkungen auf die Ratings haben könnte.Bei den jüngsten Heraufstufungen haben die Ratingagenturen ohne Ausnahme die geringere Anfälligkeit der Türkei gegenüber externen Schocks hervorgehoben. Die Türkei hat in den vergangenen Jahren große Erfolge beim Schuldenabbau erzielt. Die öffentliche Verschuldung, die noch im Jahre 2001 fast 75 % des Bruttoinlandsprodukts betrug, ist kontinuierlich auf zuletzt 35 % zurückgegangen. Die größere fiskalische Stabilität hat sich auch auf die Inflationsentwicklung positiv ausgewirkt. Die zweistelligen Inflationsraten gehören der Vergangenheit an. Land bleibt anfälligTrotzdem bleibt das Land in vielerlei Hinsicht anfällig. Insbesondere der hohe externe Finanzierungsbedarf stellt eine Herausforderung dar. Die Türkei ist auf Portfolioinvestitionen angewiesen, um das Leistungsbilanzdefizit und die kurzfristige Auslandsverschuldung zu finanzieren. Die Zurückhaltung der internationalen Anleger angesichts der anhaltenden politischen Unsicherheit erschwert diese Finanzierung. Die Kapitalabflüsse im Verlauf des Jahres haben zu einer deutlichen Abwertung der türkischen Lira von über 20 % gegenüber dem Dollar geführt. Obwohl diese Abwertung helfen dürfte, das Leistungsbilanzdefizit abzubauen, ist sie nicht nur positiv zu werten. Die Abwertung der türkischen Lira führt bei vielen türkischen Unternehmen und Banken, die stark in ausländischer Währung verschuldet sind, zu einer Verteuerung des Schuldendienstes. Die Währungsschwäche schlägt sich zudem in höheren Importpreisen nieder. Die hohe Währungsvolatilität führt zu einer Verunsicherung der Unternehmen und Konsumenten und trübt den Wachstumsausblick ein.Um aus der negativen Spirale herauszukommen, braucht die Türkei institutionelle Reformen. Diese sind im Moment nicht auf der Tagesordnung, denn die Regierung hat ihren Fokus auf die Kommunal- und Präsidentschaftswahlen gesetzt. Die Verzögerung der Reformen erhöht die Anfälligkeit der Türkei für Schocks auf Sicht der kommenden Monate. Der Spielraum für Spread-Einengungen dürfte daher sehr gering bleiben.—-*) Mauro Toldo ist Leiter Emerging Markets/Länderrisikoanalyse im Makro Research der DekaBank.