GASTBEITRAG ZUR SERIE ANLAGETHEMA IM BRENNPUNKT (83)

Keine Zinskurve ist wie die andere

Börsen-Zeitung, 23.8.2019 Könnte dies zu einem Paradebeispiel für selbsterfüllende Prophezeiungen werden? Die amerikanische Zinskurve, insbesondere der vielbeachtete Renditeabstand zwischen zehn- und zweijährigen Staatsanleihen, ist vor kurzem...

Keine Zinskurve ist wie die andere

Könnte dies zu einem Paradebeispiel für selbsterfüllende Prophezeiungen werden? Die amerikanische Zinskurve, insbesondere der vielbeachtete Renditeabstand zwischen zehn- und zweijährigen Staatsanleihen, ist vor kurzem erstmals seit dem Jahr 2007 wieder ins negative Terrain gerutscht. Dieser Abstand pendelte bereits seit rund einem Jahr zwischen null und 0,5 Prozentpunkte, was ihm große mediale Aufmerksamkeit bescherte.Entsprechend groß war die Aufregung, als die Nulllinie dann endlich unterschritten wurde, da dies gemeinhin als Rezessionssignal gedeutet wird. Die Aktienmärkte korrigierten und die Rentenmärkte brachen immer neue Rekorde. Die Nervosität der Anleger spiegelt sich zudem in höheren Marktvolatilitäten, in der Goldpreisrally sowie in einem insbesondere gegenüber dem Euro aufwertenden Yen wider. Trotz allem notieren viele Anlageklassen nah an ihren historischen Höchstständen. Welchen Reim sollte man sich als Investor darauf machen und welche Schlüsse auf den Zustand der Weltwirtschaft kann man daraus ziehen?Fangen wir, um diesen aktuellen Themenkomplex aus dem Weg zu räumen, zunächst mit der Zinskurve an. Ja, den vergangenen neun inversen US-Zinskurven folgte seit 1956 stets eine Rezession. Nur zwei Mal ließ ihr Eintritt mehr als zwei Jahre auf sich warten. Abgesehen von dem Umstand, dass die statistische Aussagekraft von neun Beobachtungen ohnehin limitiert ist, gibt es weitere gute Gründe, sie nicht über einen Kamm zu scheren. Denn jeder dieser neun Fälle weist spezifische Merkmale auf – was wenig wundert, denn eine Übereinstimmung wirtschaftlicher, politischer, monetärer, technischer oder demografischer Gegebenheiten zu zwei verschiedenen Zeitpunkten wird es wohl nie geben. Angst oder zu viel Anlagegeld?Wie wenig eine Zinskurveninvertierung mit der anderen zu tun haben kann, zeigt schon ein Blick auf ihr technisches Zustandekommen: Erfolgte sie, weil die längerfristigen Zinsen fielen oder weil die kurzfristigen stiegen (aufgrund der entsprechenden Effekte auf die Anleihepreise wird Ersteres im Englischen “bull flattening” und letzteres “bear flattening” genannt). Teilweise damit verbunden wäre auch die Frage, in welchen Fällen der Wirtschaftszyklus, ein externer Schock (Ölpreis, Schieflage des Hedgefonds LTCM) oder, wenn man es so nennen möchte, ein interner Schock in Form eines geldpolitischen Fehlers seitens der Zentralbanken für die Zinseskapaden verantwortlich zeichneten.Alternativ könnte man auch schlicht nach dem Grund für die sinkenden längerfristigen Renditen fragen: Ist es die Rezessionsangst oder ein Überangebot an Anlagegeldern? Und dann stellt sich noch die Frage nach der richtigen Zinskurve. Hier hat jeder seinen Favoriten. Während die wohl prominenteste Kurve, die den Renditeabstand zwischen zwei- und zehnjährigen US-Staatsanleihen anzeigt, nur wenige Minuten im Minus verharrte, notiert der ebenfalls viel beachtete Abstand der Dreimonats- und Zehnjahresrenditen seit Ende Mai im Minus.Wir empfehlen daher, vorsichtig mit der Zinskurve zu hantieren und nicht allzu viele Schlüsse aus historischen Durchschnittswerten für die Zukunft zu ziehen. Nicht zuletzt, da die jetzige Inversion mit Besonderheiten nicht geizt: Erstens, sie findet im Rahmen eines Zinssenkungszyklus statt. Zweitens, sie geschieht im Anschluss an zentralbankpolitische Experimente in Form von Quantitative Easing und Negativzinsen, in deren Folge nunmehr Anleihen weltweit im Wert von mehr als 16 Bill. Dollar negativ rentieren – mithin die Hälfte aller ausstehenden Anleihen mit Investment-Grade-Status außerhalb der USA.Dass dies letztlich auch die US-Zinsen nach unten drückt, ist ein weiterer Grund für die reduzierte Aussagekraft der Zinskurve. Drittens, nicht zu vergessen, diese Inversion findet vor dem Hintergrund eines Handels-, Währungs- und Technologiekonflikts, kurz gesagt, eines umfassenden politischen Streits zwischen den zwei größten Volkswirtschaften der Welt statt. Dessen Ende ist nicht abzusehen, was viertens wiederum dazu beitragen dürfte, dass China anders auf die jetzige Konjunkturabkühlung reagiert als auf die vorigen. Nämlich mit einem deutlich höheren Fokus auf die Stimulierung der heimischen Wirtschaft, insbesondere Konsum und Dienstleistung. Rohstoffexporteure wie Australien und Maschinen- und Autoexporteure wie Europa bekommen dies bereits zu spüren.Diese vier Punkte unterstreichen zwar, warum wir die inverse Zinskurve nicht als zwingendes Rezessionssignal sehen. Doch zur Entwarnung taugen sie auch nicht, da sie erhebliches Risikopotenzial bergen. Dazu kommen andere Entwicklungen, die unseres Erachtens ebenfalls für erhöhte Unsicherheit und gegen allzu großen Marktoptimismus in Form hoher Bewertungen sprechen.Nennen wir nur drei Aspekte: Die Unbekümmertheit, mit der vor allem in den USA, aber auch in anderen Teilen der Welt die Staatsverschuldung in die Höhe getrieben wird. Die Zunahme populistischer Regierungen, die eine protektionistische Wirtschaftspolitik zu Lasten multinationaler Handelsabkommen verfolgen. Die Art und Weise, wie diese populistischen Regierungen und Regenten bereits in wirtschaftlich guten Zeiten, nahe Vollbeschäftigung, agieren. Wir wollen uns gar nicht ausmalen, wie sie in Krisenzeiten oder in einem ausgemachten Bärenmarkt reagieren. Keine richtige KriseVon einer richtigen Krise kann man derzeit trotz dieser negativen Entwicklungen nicht sprechen. Dafür gibt es zu viele positive Daten, was wiederum ein Merkmal dieses nun bereits rekordlangen Aufschwungs ist: Er sparte bisher die realwirtschaftlichen Extreme aus und zog sich auch dadurch immer mehr in die Länge. Ein Grund dafür dürfte auch der stetig wachsende Dienstleistungssektor sein, der keine Lager- und Investitionszyklen im Ausmaß der Industrie kennt.Die Arbeitsmärkte entwickeln sich trotz nachlassender Dynamik weiterhin erfreulich, weshalb auch die Konsumenten ausgabefreudig bleiben. Die Konzernbilanzen und -gewinne sind weiterhin robust, die Kreditausfallraten immer noch historisch niedrig. Nicht zuletzt droht dank der wirtschaftlichen Abkühlung keine Überhitzung mehr. Das erlaubt den Zentralbanken, marktfreundlich zu bleiben. Und nun macht sich auch noch Hoffnung breit, dass eine weitere Wirtschaftsabkühlung in den Industrieländern mit Fiskalpaketen begegnet werden könnte.Was machen wir daraus? Wir unterschätzen das negative Signal der inversen US-Zinskurve auf den Risikoappetit der Anleger nicht, doch weigern wir uns gleichzeitig, historische Muster einfach fortzuschreiben. Allerdings sind wir aufgrund der wirtschaftlichen und politischen Gemengelage, in Verbindung mit den Bewertungen vieler Märkte, schon länger etwas defensiver aufgestellt.Um etwa auf Aktien insgesamt positiver zu werden, müssten die makroökonomischen Daten auf breiter Front mehr als eine Bodenbildung aufweisen. Derzeit sind die Signale noch zu widersprüchlich, auch wenn unser Kernszenario für die Weltwirtschaft optimistisch bleibt. Zuvor erschienen: Der Weg zur Kreislaufwirtschaft (82), BNP Paribas Asset Management Von einer alternden Bevölkerung profitieren (81), Berenberg —-Stefan Kreuzkamp, Chefanlagestratege DWS