Klimarisiken entzweien Analysten

Freiwillige Berichtsstandards in Kritik - Research-Experten weisen auf komplexe Bewertungsfragen hin

Klimarisiken entzweien Analysten

Der Finanzstabilitätsrat will Investoren mehr Transparenz über Klimarisiken geben. Dies soll die Finanzmarktstabilität erhöhen und die Kapitalallokation verbessern. Das Vorhaben stößt auf Kritik, findet unter Analysten in Deutschland aber auch Zuspruch.Von Dietegen Müller, FrankfurtMit dem Klimawandel verbundene Risiken für Investoren sollen transparenter gemacht werden und die Stabilität des Finanzsystems gestärkt werden. Dazu hat die vom Finanzstabilitätsrat (Financial Stability Board, FSB) ins Leben gerufene Task Force on Climate-related Financial Disclosures (TCFD) ein Rahmenwerk für gewisse freiwillige Standards (vgl. BZ vom 29. Juni und Box) präsentiert. Angesichts eines Sammelsuriums verschiedenster Berichtsstandards zu Fragen der Umwelt, Sozialem und Unternehmensführung – als ESG (Environment, Social, Governance) bezeichnet – kommt die Initiative wie gerufen. Keine bessere AllokationDoch gibt es Kritik. Der Analyse- und Datendienstleister IHS Markit glaubt, dass das neue TCFD-Rahmenwerk die Bemühungen des Finanzstabilitätsrats unterminiert, bessere Entscheidungen in der Kapitalallokation und ein besseres Funktionieren der Märkte zu erreichen. “Die Verbindungen zwischen klimabezogenen Indikatoren und ihrem finanziellen Einfluss sind komplex und ungewiss”, schreiben Daniel Yergin, Antonia Bullard, Nancy Meyer und Elena Pravettoni in einem Bericht.Das ambitionierteste Ziel der Task Force könne mit den erhältlichen Informationen, Kennzahlen und Methodologien nicht erreicht werden, so die Autoren. Die Aussonderung klimabezogener Risiken sei eine “radikale Abkehr von etablierten Konzepten der Wesentlichkeit”. Dies würde Finanzmärkte davon abhalten, Chancen und Risiken genau abzuschätzen, zu vergleichen und zu bepreisen. Dabei nehmen die Autoren jedoch nur Bezug auf den Öl- und Gassektor, der stark von Klimarisiken betroffen sein dürfte.Unter deutschen Analysten stößt diese Kritik auf wenig Resonanz, wie eine kleine nichtrepräsentative Umfrage zeigt. “Zahlreiche Investoren interessiert im Rahmen einer Anlageentscheidung längst nicht mehr die Frage, ob Nachhaltigkeit rein ökonomische – und damit bewertungstechnische – Auswirkungen auf ein Unternehmen hat”, sagt etwa Stefan Bielmeier, Chefvolkswirt und Leiter Research der DZ Bank, auf Anfrage. Vielmehr seien Investoren daran interessiert, welche konkreten Risiken und Chancen sich aus der Nachhaltigkeit für einzelne Unternehmen ergeben und ob diese strategisch effektiv gemanagt werden. Die Integration qualitativer und quantitativer Nachhaltigkeitsdaten in die Finanzberichterstattung sei daher “unerlässlich”.Auch Steffen Hörter, Global Head of ESG bei Allianz Global Investors (AGI), hält die Kritik “als der Sachlage nicht gerecht und zu stark verkürzend”, wie er zur Börsen-Zeitung sagt. Unternehmensinformationen, die zu einer “besseren Einschätzung von Geschäftsrisiken und Chancen” führen, stufe AGI als Anleger als “extrem wichtig” ein. Dazu gehörten auch Klimawandelrisiken, die den zukünftigen Geschäftserfolg von Branchen und einzelnen Unternehmen beeinflussen können.Roland Rapelius, Leiter Equities der Privatbank M. M. Warburg, sagt, Geschäftsberichte und andere Informationsquellen würden von der Bank nicht schwerpunktmäßig auf ESG-Kriterien hin untersucht. Für Investoren könne es aber relevant sein zu wissen, welche Unternehmen etwa strengere Emissionskriterien erfüllen müssen, damit die Entwicklung diesbezüglicher Kosten und Investitionsanforderungen besser prognostiziert werden kann. Während ESG-orientierte Investoren möglicherweise ein höheres Gewicht auf diese Kriterien legten, zähle für generalistisch orientierte Anleger eher das Gesamtbild eines Unternehmens. Entscheidend sei, “dass die Thematik ESG weit über den Komplex Klima hinausgeht und nicht auf diesen verkürzt werden sollte”. Frage der DatenlageIn einigen Bereichen arbeitet die Hamburger Privatbank laut Rapelius mit Datendienstleistern wie MSCI ESG Research zusammen – ein Partner, den auch AGI nutzt. Die DZ Bank ihrerseits setzt auf einen “Multi-Sourcing-Ansatz”, der interne und externe Daten nutzt. Allgemeine ESG-Rohdaten würden zum größten Teil von Sustainalytics stammen, einige Subindikatoren zum Thema Klima von CDP. Die ökonomische Nachhaltigkeitsdimension werde komplett “inhouse” analysiert.Eine bessere Berichterstattung von Unternehmen zu Klimawandelrisiken betrachtet AGI “als sehr sinnvolle Ergänzung des Finanzberichts”. Bisher sei die Informationslage “stark ausbaufähig”, sagt Hörter. Es sei aber fraglich, ob man Unternehmen im Detail vorschreiben sollte, wie im Rahmen einer integrierten Berichterstattung über Klimarisiken zu informieren sei. “Der Sachverhalt ist komplex, und nicht immer ist gut gemeint auch notwendigerweise gut gemacht: So beruhen etwa Szenarien oft auf vielen Annahmen. Wir sehen es daher als sinnvoller an, Guidance dazu zu geben, welche Informationen insbesondere Investoren benötigen, es aber den Unternehmen zu überlassen, was und wie detailliert sie dazu berichten.”IHS Markit empfiehlt, Unternehmen sollten “wesentliche Informationen zu ihren klimabezogenen Risiken in ihren Finanzberichten offenlegen, genauso, wie sie andere materielle Risiken für ihr Geschäft offenlegen”.Nicht alle von der Taskforce TCFD vorgeschlagenen Kennziffern könnten zur Bewertung von Wertpapieren genutzt werden. Dass ein Unternehmen in Produkte mit niedrigen Treibhausgasemissionen investiere, biete keine Gewissheit, dass es bessere Finanzresultate erzielen werde. Auch sollten Finanzaufseher und Investoren nicht nach quantifizierbaren Langzeit-Szenarioanalysen verlangen: “Solche Information bietet nicht substanzielle, objektive Information, die genutzt werden kann, um Finanzrisiken zu beurteilen.” Opportunitäten erkennenHörter setzt auf den Dialog, in dem auch Geschäftsrisiken aus dem Klimawandel angesprochen werden. Der erwartete künftige Umsatzanteil von “grünen” Produkten und Services oder geplanten Investitionen in die Minimierung von Treibhausgasemissionen im Produktionsprozess werde etwa mit dem Unternehmen besprochen. “Wir integrieren ausgewählte, für die Investment-Performance relevante, materielle ESG-Faktoren in unser Fundamental-Research.”Firmen mit hohen ESG-Risiken wie schlechte Unternehmensführung sollen identifiziert und Extremverlustrisiken in Portfolien vermieden werden. Ziel sei es auch, Unternehmen zu analysieren, die von verbesserten ESG-Faktoren sowie Geschäfts-Opportunitäten profitieren.