TECHNISCHE ANALYSE

Konstellation für den Dax bleibt prekär

Von Stephen Schneider *) Börsen-Zeitung, 22.5.2019 Von dem letzten markanten Tief am 27. Dezember bis zum (bisher) letzten Hoch Anfang Mai hat der Dax etwa 20 % zugelegt. Dabei rangiert der Index in einem Trendkanal, dessen untere Gerade aktuell...

Konstellation für den Dax bleibt prekär

Von Stephen Schneider *)Von dem letzten markanten Tief am 27. Dezember bis zum (bisher) letzten Hoch Anfang Mai hat der Dax etwa 20 % zugelegt. Dabei rangiert der Index in einem Trendkanal, dessen untere Gerade aktuell bei etwa 11 900 Punkten und die obere Begrenzung bei knapp 12 700 Zählern verläuft. Mit einer Schwankungsbreite von rund 7 % dürften zukünftige Korrekturen – sofern der Trend bestätigt wird – also im Rahmen bleiben. Hieraus lässt sich eine gewisse Stabilität ableiten.Für eine neue übergeordnete Aufwärtstendenz spricht auf den ersten Blick auch das Übertreffen der 200-Tage-Linie. Da der Ausbruch nun als signifikant bezeichnet werden kann, wird eine Bullenfalle, wie sie in der Vergangenheit bei einem nur marginalen Überwinden regelmäßig zu beobachten war, unwahrscheinlich. Trotz dieser offensichtlich positiven Konstellation können wir mit Blick auf das nun anstehende mittel- bis langfristige Geschehen nicht bedenkenlos “grünes Licht” geben. So fällt auf, dass die 200-Tage-Linie immer noch leicht abfällt. Üblicherweise besitzt sie in solchen Phasen nochmals eine gewisse “Anziehungskraft”. Ein erneuter Rücksetzer über mehrere Wochen würde uns daher nicht überraschen. Eine solche eigentlich nur kurze Kursschwäche hätte aber weitreichende Folgen: Eine wichtige und aussagekräftige Unterstützung bei 11 820 Punkten würde unterboten. Diese Unterstützung bekommt eine zusätzliche Bedeutung durch eine Anfang April gerissene Kurslücke. Das aus diesem Gap entstandene kurzfristige Aufwärtspotenzial wurde abgearbeitet und dann wieder nahezu komplett aufgezehrt. Der Kurs zeigte damit eine eher typische Reaktion. Nun sorgt der untere Rand dieser Lücke aber für eine zusätzliche massive Unterstützung. Bullen müssen liefern Knapp darunter, bei 11 720 Zählern, befindet sich ein weiterer Support aus dem Frühjahr 2018. Bei einem Bruch dieses signifikanten Bereichs müsste dem daraus resultierenden Verkaufssignal eine ebenso hohe Aussagekraft zugebilligt werden. Auch die 200-Tage-Linie stünde in diesem Fall erneut im Fokus. Die Bullen dürfen sich also nicht auf ihrem Erfolg ausruhen, sondern müssen die Nachfrage konstant hochhalten. Dies wird auch an der Konstellation der Indikatoren deutlich. Dabei spielt das Verkaufssignal des oben abgetragenen Stochastik-Oszillators nur eine untergeordnete Rolle. Seine Hinweise sind eher in einer zyklischen Seitwärtsbewegung zu beachten. Aktuell handelt es sich aber um eine Trendsituation. Der besser geeignete MACD sendet ebenfalls negative Signale und lässt durch sein Histogramm auf einen deutlichen Dynamikverlust schließen. Dieser Struktur folgt meist ein nicht nur kurzer Rücksetzer.Problematisch werden diese Anzeichen auch mit Blick auf die anderen Methoden der technischen Analyse. Dabei wollen wir zunächst auf die Zyklik eingehen: Nach einer Faustformel, die sich in der Vergangenheit sehr oft bewahrheitet hat, dauern Korrekturen bzw. Erholungen meist etwa ein Drittel der vorangegangenen Tendenz an. Die zurückliegende Baisse startete Anfang 2018 und hielt nahezu exakt ein Jahr an. Eine idealtypische Erholung sollte also bis Ende April andauern. Tatsächlich markierte der Dax am 3. Mai einen zyklischen Hochpunkt, aktuell ist aber nicht klar, ob es sich tatsächlich um das Ende der Erholungsbewegung handelt. Ebenso möglich wären die Folgen der saisonalen Einflussfaktoren, denn bekanntermaßen ist der Mai traditionell durch nachgebende Kurse geprägt. Weitere WarnhinweiseDennoch lassen sich auch andere Warnhinweise für die langfristige Tendenz des Dax finden, so z.B. die Entwicklung der Schwellenländer, denn der MSCI EM hat zuletzt deutlich nachgegeben. Dabei war es nicht nur die schwergewichtige Börse in China, insgesamt fehlte es an der breiten Unterstützung durch die einzelnen Börsen. Besonders die osteuropäischen Börsen, etwa in Prag oder Warschau, fallen hier negativ auf. Da der MSCI EM eine Vorreiterrolle innehat und die Indizes der Industrieländer dieser Tendenz nicht selten folgen, beobachten wir das Geschehen in den kommenden Handelstagen genauer.Darüber hinaus hat sich die Stimmung in Deutschland signifikant verbessert. Eine übertriebene Euphoriephase ist momentan zwar noch nicht erkennbar, dennoch sicherten zuletzt unüblich wenige Investoren bestehende Positionen durch entsprechende Hedgingaktivitäten an der Eurex ab. Hier lauert eine Gefahr, denn ein negativer Impuls könnte einen Kaskadeneffekt auslösen, der dann in einer übergeordneten Tendenz mündet.All diese Zweifel können die Optimisten aber ausräumen, indem sie die aktuell prekäre Situation durch einen steigenden Dax entkräften. Dabei muss der Index nicht sofort anziehen, deutlich länger als bis zum Monatswechsel sollte die Konsolidierung aber auch nicht dauern. Beruhigend würde sich das Übertreffen des letzten Hochs bei 12 435 auswirken, denn dann ließe sich nochmals kurzfristiges Potenzial auf 12 800 bis 13 000 Punkte berechnen. Wichtiger als die aus diesem Impuls resultierenden Gewinne wäre aber die Tatsache, dass der Einfluss der hier genannten negativen Anzeichen deutlich verblassen würde. Insofern verweisen wir nochmals auf den eingangs erwähnten Trendkanal. Solange dieser in den kommenden Wochen nicht nach unten verletzt wird, besteht kein Handlungsbedarf. *) Stephen Schneider ist technischer Analyst bei der DZ Bank.