Korrekturpotenzial beim Ölpreis

Brent-Notierung könnte auf 35 Dollar sinken - Unterversorgung des Marktes zu erwarten

Korrekturpotenzial beim Ölpreis

Die Nachfrage nach Rohöl ist wegen der Coronavirus-Krise stark eingebrochen, das Angebot wurde allerdings auch deutlich reduziert – per saldo ist für das dritte und vierte Quartal mit einer Unterversorgung zu rechnen. Da aber noch die gigantischen Lagerbestände abzubauen sind, könnte der Ölpreis sinken.ku Frankfurt – Vor wenigen Tagen hat das Produzentenkartell “Opec plus” beschlossen, die derzeit noch sehr umfangreichen Produktionskürzungen teilweise rückgängig zu machen. Bis Ende dieses Monats halten sich die Mitglieder um 9,7 Mill. Barrel pro Tag (bpd) zurück. Ab Anfang August sollen es nur noch 7,7 Mill. bpd sein. Damit würden also 2 Mill. bpd wieder auf den Markt kommen – und das zu einer Zeit, in der ein Teil der Staaten wie die USA sich als unfähig erweist, die erste Welle der Covid-19-Epidemie zu besiegen, und viele Menschen eine zweite Welle fürchten. Gleichwohl hielten sich die Preisreaktionen am Ölmarkt in sehr engen Grenzen. Uneinigkeit im BündnisMit knapp unter 43 Dollar je Barrel befindet sich die Nordseesorte Brent Crude in etwa dort, wo sie auch vor Bekanntgabe der Entscheidung der “Opec plus” stand. Dies ist im Wesentlichen auf zwei Faktoren zurückzuführen. Erstens war am Markt damit gerechnet worden, dass es nicht zu einer weiteren Verlängerung der Kürzungen von 9,7 Mill. bpd kommt. Dazu war und ist die Uneinigkeit in dem Bündnis zu groß. Von den großen, einflussreichen Staaten war es nur Saudi-Arabien, das auf einen höheren Ölpreis und damit auf eine möglichst hohe Reduzierung der Förderung pocht. Russland ist hingegen mit Blick auf den Zustand der Ölquellen an einer höheren Produktionsmenge interessiert, um auf diese Weise für sich das Optimum aus der aktuellen Situation herauszuholen.Zweitens scheinen, wie die Rohstoffanalysten der Commerzbank anmerken, die Marktteilnehmer derzeit von der Disziplin der Mitglieder der “Opec plus” überzeugt zu sein. Vor ein paar Monaten hatte die Disziplin zwischenzeitig nachgelassen, nun scheint diese Phase wieder überwunden. Bei der Vorstellung der Opec-Beschlüsse in der vergangenen Woche versäumte es der saudi-arabische Ölminister Abdulaziz bin Salman daher nicht, darauf hinzuweisen, dass die Kürzung ja mit 8,1 Mill. bpd eigentlich größer ausfällt als die offizielle Zahl von 7,7 Mill. bpd, weil einige Mitglieder des Kartells für die Sünden der vergangenen Monate Buße tun müssen und ihre Förderung stärker zurückfahren.Die Disziplin der “Opec plus” kann sich sehen lassen, die Nachfrage ist jedoch weiter schwach. Wie dem jüngsten Monatsbericht der Internationalen Energieagentur IEA zu entnehmen ist, brach sie im zweiten Quartal enorm um 16,4 Mill. bpd ein. Im Juni fiel sie um weitere 2,4 Mill. bpd auf 86,9 Mill. bpd, damit auf den niedrigsten Stand seit neun Jahren. Für das Gesamtjahr 2020 wird jetzt von der Agentur ein Rückgang gegenüber Vorjahr um 7,9 Mill. bpd auf 92,1 Mill. bpd erwartet. Allerdings soll ein Großteil davon 2021 wieder aufgeholt werden, wenn sich die Nachfrage wieder um 5,3 Mill. bpd beleben soll. Damit würde die Nachfrage immer noch um 2,6 Mill. bpd unter dem Wert von 2019 liegen. Allerdings, so merken die Ökonomen der IEA an, gibt es mittlerweile eine größere Unsicherheit, ob sich dieses Szenario realisieren lässt, da die Zahl der Covid-19-Neuinfektionen weltweit steigt und einige Länder wieder neue Lockdown-Maßnahmen ergreifen. Gleichwohl rechnen die Futures-Märkte nach wie vor damit, dass sich der Ölüberschuss des ersten Halbjahres in der zweiten Hälfte in ein Defizit verwandelt. Angebot deutlich gesunkenAuf diese Nachfrageschwäche hat das Angebot reagiert. Im Juni lag die weltweite Ölproduktion um 13,7 Mill. bpd unter dem Wert vom April, vor allem dank der “Opec plus”, die ihre Beschlüsse aktuell zu 108 % umsetzt, aber auch der amerikanischen Schieferölindustrie, die gemäß den neuesten Zahlen nur noch auf 180 Ölförderinstallationen kommt, was den niedrigsten Stand seit Juni 2009 darstellt.Nicht übersehen werden sollte auch, dass die Ölproduktion in Venezuela, dem Land mit den weltweit größten Ölreserven, wegen der amerikanischen Putschversuche und Sanktionen im Juni auf nur noch 356 000 bpd gefallen ist. Dies ist der niedrigste Stand seit mehreren Jahrzehnten. 2017 kam das Land noch auf einen Durchschnittswert von 1,9 Mill. bpd. Allerdings erwartet die Energieagentur, dass in der zweiten Jahreshälfte die weltweite Ölproduktion wieder deutlich zunimmt. Sie veranschlagt die Steigerung bei der “Opec plus” mit 2 Mill. bpd. Hinzu komme, dass die US-Schieferölindustrie die Talsohle durchlaufe. Bis zum Jahresende könne auch Libyen trotz des dort tobenden Kriegs wieder 0,9 Mill. bpd mehr produzieren.Die Analysten der Commerzbank gehen davon aus, dass es im dritten und im vierten Quartal gemäß dem Saldo von Angebot und Nachfrage zu einer Unterversorgung des Marktes um durchschnittlich 4 Mill. bpd kommen könnte. Damit würde aber der enorme Lageraufbau des zweiten Quartals im zweiten Halbjahr nicht vollständig rückgängig gemacht. Die Experten der Bank rechnen daher mit einer Korrektur des Brent-Preises bis auf 35 Dollar und einer Erholung zum Jahresende bis auf rund 40 Dollar je Barrel.