Kreditwürdig

Zurückhaltung der staatlichen Emittenten für das zweite Halbjahr

Die Forderungen nach einem beschleunigten Abbau der Anleihebestände der EZB dürften noch lauter werden. In einem Umfeld, in dem die Kurveninversion Extremwerte erreicht, die Spreads eng bleiben und die Emittenten ihren Finanzierungsbedarf reduzieren, gibt es gute Argumente, €QT weiter zu forcieren.

Zurückhaltung der staatlichen Emittenten für das zweite Halbjahr

Kreditwürdig

Zurückhaltung der staatlichen Emittenten für das zweite Halbjahr

Von Christoph Rieger*)

Die Forderungen nach einem beschleunigten Abbau der Anleihebestände der EZB dürften noch lauter werden. In einem Umfeld, in dem die Kurveninversion Extremwerte erreicht, die Spreads eng bleiben und die Emittenten ihren Finanzierungsbedarf reduzieren, gibt es gute Argumente, €QT weiter zu forcieren. Es ist allerdings fraglich, ob sich im EZB-Rat eine Mehrheit dafür findet.

Nicht genug Anleihen im Angebot?

Befürchtungen, dass es dem Markt schwerfallen könnte, das Angebot dieses Jahr zu absorbieren, haben sich nicht bewahrheitet. Trotz der Rekordemissionen in der ersten Jahreshälfte, der Zinserhöhungen um 150 BP und des Bilanzabbaus der EZB sind die Renditen am langen Ende gefallen, die Spreads haben sich eingeengt und die Kurven verflacht. Für das zweite Halbjahr haben einige staatliche Emittenten ihre Prognosen nach unten korrigiert, vor allem bei den sogenannten Kernmärkten, sprich Staaten, Supras und Agencies mit höchster Bonität.

Allen voran überraschte die EU mit einem Emissionsvolumen von nur 40 Mrd. Euro im zweiten Halbjahr. Wir gehen davon aus, dass die Kürzungen ausschließlich über Anleihen vorgenommen werden. In Verbindung mit der langen Duration der EU-Emissionen ist die Reduzierung des durationsgewichteten Angebots noch viel ausgeprägter – insbesondere im Vergleich zu den vergleichbaren Staatsanleihen. Neben dem Hinweis der EU auf eine „vorübergehende Verlangsamung des Auszahlungsbedarfs“ – welcher im nächsten Jahr wieder steigen dürfte – wollte die EU wahrscheinlich ein Signal setzen, nachdem die erhöhten Spreads die Wirtschaftlichkeit gemeinsamer Anleihen am Jahresanfang in Frage gestellt hatten.

Bei anderen staatsnahen Emittenten (SSAs) dürfte der Angebotsdruck im zweiten Halbjahr ebenfalls verhalten sein. Das gesamte SSA-Funding im Euroraum beläuft sich seit Jahresbeginn auf umgerechnet 340 Mrd. Euro, ein Anstieg um 13% gegenüber dem Vorjahr. Dies entspricht zur Jahresmitte 67% der von uns für das Gesamtjahr erwarteten SSA-Emissionen. Das „Frontloading“ in der ersten Jahreshälfte ist damit etwas ausgeprägter als im letzten Jahr, als zur Jahresmitte 60% des Funding abgeschlossen waren.

In Deutschland hat die Finanzagentur (DFA) ihr Funding für das dritte Quartal um 14 Mrd. Euro gekürzt. Das klingt im historischen Vergleich viel, macht aber nur 9% des ursprünglichen Nettofinanzierungsziels aus. Außerdem werden 10 Mrd. Euro bei den Geldmarktpapieren (Bubills) gekürzt, gegenüber 4 Mrd. Euro über Anleihen. Dies deckt sich mit unserer Einschätzung, wonach eine starke Reduzierung des DFA-Nettofundings für das Energiepaket des Wirtschaftsstabilisierungsfonds beträchtliche Kürzungen impliziert, allerdings eher im vierten Quartal. Wir erwarten dann eine weitere Abwärtskorrektur um 20 Mrd. Euro, wenn es nicht zu einer tiefen Rezession und potenziellen fiskalischen Maßnahmen kommt. Wir gehen jedoch davon aus, dass sich auch diese Kürzung auf Bubills konzentrieren wird, während Anleihen nur zu einem wesentlich geringeren Teil betroffen wären, und auch hier der Schwerpunkt auf kürzeren Laufzeiten liegen dürfte.

In den Niederlanden senkte das Schatzamt seinen Finanzierungsbedarf um 13,3 Mrd. Euro, bestätigte aber das Fundingziel bei Anleihen von 50 Mrd. Euro. Somit werden ausschließlich die Emissionen von Geldmarktpapieren reduziert. In Italien impliziert das Quartals-Update des Tesoro ein jährliches mittel- und langfristiges Fundingziel von 320 Mrd. Euro, was am oberen Ende der Anfang des Jahres kommunizierten Spanne von 310 bis 320 Mrd. Euro liegt.

Unterm Strich schätzen wir, dass sich die Nettoemissionen unter Berücksichtigung des vollständigen Stopps der EZB-Reinvestitionen im APP-Programm ab diesen Monat (d.h. der Anleiheemissionen, für die neue Käufer gefunden werden müssen) und der Kupons im zweiten Halbjahr auf 121 Mrd. Euro belaufen wird. Die Zahlen sind jedoch von Emittent zu Emittent sehr unterschiedlich. Während das Nettoangebot an italienischen Anleihen dank umfangreicher Rückflüsse wie üblich im zweiten Halbjahr negativ sein wird, müssen Bunds ein beträchtliches Nettoangebot von fast 55 Mrd. Euro verkraften, was mehr als 50% des gesamten Nettoangebots an Bunds im Jahr 2023 entspricht.

Was macht die EZB?

Die Aussichten auf ein geringeres Angebot haben die Kurven- und Spread-Dynamik verstärkt, wenngleich wir der Meinung sind, dass die bis letzte Woche zu beobachtende Verflachung der Euro-Kurve hauptsächlich durch Makrofaktoren getrieben wird. Die Euro-Swapkurve, die weniger vom Angebot beeinflusst wird, invertierte Anfang Juli auf ein neues Rekordniveau, da die Forwards am kurzen Ende bei 4% verharren, während das lange Ende befürchtet, dass die wirtschaftliche Abschwächung ausgeprägter werden könnte. Unsere Schätzung der swapbasierten 10j.-Euro-Laufzeitprämie bleibt negativ. Die veränderten Angebotsaussichten zeigen sich am deutlichsten bei den EU-Spreads, die sich vor allem am ultralangen Ende besser entwickelt haben.

Die stabilen Spreads bei den Staatsanleihemärkten waren ausschlaggebend für die Entscheidung der EZB, den Abbau des APP-Portfolios zu beschleunigen, und die EZB dürfte die EGB-Kurven und -Spreads im Auge behalten, wenn sie in den kommenden Monaten ihren geldpolitischen Kurs kalibriert: Im Vorfeld des vollständigen Stopps der APP-Reinvestitionen in diesem Monat ist dann auch die 2–30j.-Kurve in Frankreich zum ersten Mal seit den frühen 1990er Jahren invertiert. Die italienischen Anleihespreads sind trotz der aggressiveren geldpolitischen Straffung in diesem Jahr reingekommen, so dass sich der 10j.-BTP-Bund Spread dem Niveau nähert, das laut Gouverneur Visco „gerechtfertigt wäre“.

Damit stellt sich die Frage: Wenn nicht jetzt, wann dann? Das Marktumfeld scheint günstig, um den nächsten Schritt zur Bilanznormalisierung einzuleiten. Mehrere EZB-Falken haben sich für einen schnelleren Bilanzabbau ausgesprochen, und EZB-Quellen zufolge sind einige Ratsmitglieder offen für direkte Anleiheverkäufe, während andere das Enddatum für die vollständigen PEPP-Reinvestitionen von Ende 2024 vorziehen wollen. Der EZB-Rat scheint jedoch gespalten zu sein, was durch einen weiteren Bericht unterstrichen wird, in dem sich drei Quellen gegen eine Änderung der PEPP-Guidance aussprechen.

Weiter steigende Spreads erwartet

Was ist am wahrscheinlichsten? Der Ruf nach einer weiteren Beschleunigung des Bilanzabbaus dürfte zwar lauter werden. Wir gehen jedoch nicht davon aus, dass sich hierfür auf absehbare Zeit eine Mehrheit im EZB-Rat finden wird. Ein vollständiger Stopp der PEPP-Reinvestitionen würde bedeuten, dass die EZB ihre flexiblen PEPP-Reinvestitionen aufgibt. Diese Möglichkeit soll eine gleichmäßige Transmission der Geldpolitik sicherstellen und war entscheidend für die Eindämmung der BTP-Spreads im Vorfeld der italienischen Wahlen im vergangenen Jahr. Die bearishe Kurvenversteilung in der ersten Juli-Woche mit weiteren Spreads in Italien wird dabei als Warnsignal gesehen, und wir rechnen u.a. durch die PEPP-Diskussion mit weiter steigenden Spreads.

*) Christoph Rieger ist Head of Rates and Credit Research bei der Commerzbank.

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