IM INTERVIEW: RAINER GUNTERMANN, COMMERZBANK

"Länder dürften weiter überdurchschnittlich emittieren"

Deutsche Bundesländer vervierfachen ihre Anleiheemissionen zur Krisenbewältigung - Renditen fallen - Luft für Outperformance wird dünner

"Länder dürften weiter überdurchschnittlich emittieren"

Herr Guntermann, die deutschen Länder haben wegen der Covid-19-Pandemie einen erhöhten Mittelbedarf, den sie über die Emissionen von Länderanleihen decken. Wie hat sich das Emissionsgeschehen der Länder in diesem Jahr entwickelt: Wer ist alles aktiv gewesen, und welche Volumina sind gekommen?Mit der Coronakrise haben die Länder Programme für Soforthilfen aufgelegt, komplementär zu den Hilfen des Bundes und der KfW. Damit war die ursprüngliche Jahresplanung ab Mitte März obsolet, die aufgrund der Schuldenbremse durchweg ausgeglichene Haushalte vorsah. Allerdings gibt es erhebliche Unterschiede bei den Ausgaben und der Verschuldung. Bereits im März und April hat sich das Emissionsvolumen mit über 35 Mrd. Euro gegenüber dem Durchschnitt der Vorjahre vervierfacht und durchweg alle Bundesländer waren aktiv. In den Folgemonaten blieb das Emissionsvolumen der Länder überdurchschnittlich und seit Jahresbeginn beläuft sich das Gesamtvolumen auf 80 Mrd. Euro. Auf Nordrhein-Westfalen entfallen davon allein 22 Mrd. Euro, was aber auch den relativen Marktanteil der Vorjahre widerspiegelt. Bayern und Sachsen beispielsweise sind nach vielen Jahren Abstinenz erstmals wieder am Anleihenmarkt aktiv gewesen. Wie vergleicht sich das mit früheren Jahren wie 2019 oder 2018? Was kam da von den Ländern an Emissionen?Im Jahr 2018 ist das Emissionsvolumen auf unter 48 Mrd. Euro gefallen, den niedrigsten Stand seit vielen Jahren. Im Jahr 2019 sind die Volumen zwar auf 58 Mrd. Euro gestiegen, obwohl die Summe der Kreditermächtigungen weiter gefallen ist. Das dürfte auch mit dem Ablösen von Kassenkrediten zusammen gehangen haben. Mit der außergewöhnlichen Krisensituation sind Vergleiche mit den Vorjahren allerdings nur bedingt aussagekräftig, zumal die Schuldenbremse in fast allen Ländern vorübergehend ausgesetzt wurde. Auf jeden Fall hat sich das Emissionsvolumen seit Jahresbeginn gegenüber dem Durchschnitt der beiden Vorjahre verdoppelt. Auf welche Frequentierung können sich Bondanleger für die kommenden Wochen und Monate einstellen: Wie sind die Funding-Ziele der Länder für 2020, und was leiten Sie daraus an Emissionen ab?Mit den Nachtragshaushalten sind die gesamten Kreditermächtigungen der Länder auf über 140 Mrd. Euro gestiegen. Es zeichnet sich allerdings ab, dass wohl nicht alle Hilfsprogramme voll abgerufen werden. Gleichzeitig bleiben die konjunkturellen Belastungen insbesondere durch die Steuerausfälle weiterhin hoch. Die Länder dürften in den kommenden Monaten weiter überdurchschnittlich emittieren. Wir haben unsere Schätzung für das Gesamtjahr etwas reduziert und rechnen mit einem Volumen von 110 Mrd. Euro. Im Gegensatz zur Funding-Strategie des Bundes haben die Bundesländer ihren Refinanzierungsbedarf maßgeblich über Anleihen gedeckt, während der Bund auch Geldmarktinstrumente nutzt, um schnell große Volumen zu generieren. Für die Bundesländer bedeutet dies, zwischen kürzeren Laufzeiten mit hohen Volumen und der Präferenz für lange Laufzeiten abzuwägen. Diese Balance ist den Ländern bislang sehr gut gelungen. Die meisten Länder haben wegen der Krise Nachtragshaushalte aufgestellt und müssen das finanzieren, so eben über den Anleihemarkt. Gibt es auch Länder, die keine Neuverschuldung und Gänge an den Bondmarkt brauchen?Kein Bundesland ist ohne Nachtragshaushalt ausgekommen und mit der höheren Neuverschuldung musste in der Regel auch die Schuldenbremse vorübergehend ausgesetzt werden. Allerdings lassen sich die Nachtragshaushalte nicht über einen Kamm scheren. Einige Maßnahmen wurden direkt schuldenfinanziert geplant, während in einigen Ländern auch Rücklagen aufgelöst wurden oder an anderen Stellen eingespart wurde. In Thüringen beispielsweise kommt der Nachtragshaushalt weiterhin ohne Neuverschuldung aus. Dennoch ist auch Thüringen schon am Markt aktiv gewesen. Und wie sieht es in zeitlicher Hinsicht mit der Rückführung dieser Neuverschuldung der Länder aus?Die Schuldenbremse sieht eine Neuverschuldung nur in einer außergewöhnlichen Notsituation und mit einem entsprechenden Tilgungsplan vor. Die geplante Tilgungsdauer beträgt wie beim Bund in der Regel nicht mehr als 20 Jahre. In Brandenburg und Bremen sind längere Tilgungsfristen von 30 Jahren und in NRW sogar von 50 Jahren eingeplant. In Sachsen und Sachsen-Anhalt sollen die neuen Kredite innerhalb von zehn Jahren zurückgeführt sein. Bei der Mehrheit der Länder beginnt der Tilgungsplan in 2024. In Niedersachsen und Hessen soll mit der Tilgung bereits 2021 begonnen werden. Gibt es Länder, die besonders auffällig sind, weil sie hohe Nachtragshaushalte haben und viel refinanzieren müssen? Wer fällt nicht so stark auf?Die Nachtragshaushalte und Kreditermächtigungen sind in Bayern mit 40 Mrd. Euro am stärksten gestiegen. Danach folgt NRW mit 25 Mrd. Euro. Im Vergleich dazu sind die Landeshilfen in zahlreichen Ländern unter 1 Mrd. Euro geblieben. S&P hat die Bonität des ersten Landes heruntergestuft, und zwar von Baden-Württemberg. Das Rating wurde von “AAA” auf “AA+” zurückgenommen. Sind weitere Downgrades oder gar eine Welle von Downgrades im Länderbereich zu befürchten?Die Herabstufung von S&P kam überraschend. Da dies mit der nun ungünstigeren Finanzlage durch die Covid-19 bedingten Hilfsprogramme und Steuerausfälle begründet wurde, besteht das Risiko, dass sich Ratings oder die Ratingausblicke auch bei den anderen von S&P bewerteten Ländern verschlechtern. In den kommenden Wochen stehen Überprüfungen von NRW, Bayern, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Hessen an. Einen breit angelegten Herabstufungszyklus halten wir allerdings für unwahrscheinlich. Denn das Solidarprinzip der Bundestreue innerhalb des föderalen Systems bietet unverändert eine starke Absicherung der hohen Bonität. Da die beiden anderen großen Ratingagenturen Fitch und Moody’s dem Solidarprinzip eine höhere Bedeutung geben, dürften diese Ratings nicht ändern. Fitch bewertet die Bundesländer mit “AAA” und einem stabilen Ausblick. Welche Laufzeitenpunkte bedienen die Länder auf der Kurve?Grundsätzlich werden die gesamten Kurven von 2 bis 30 Jahren bedient. Die meisten Länder haben es bislang vermieden, sich generationenübergreifend zu verschulden. Im anhaltenden Niedrigzinsumfeld ist es für die Emittenten jedoch zunehmend attraktiv, die günstigen Finanzierungskonditionen möglichst lange festzuschreiben. Im vergangenen Jahr wurden 21 Mrd. Euro mit einer Laufzeit von mehr als zehn Jahren begeben, wodurch der Anteil an den gesamten Emissionen auf ein Rekordniveau von 40 % gestiegen ist. In diesem Jahr beläuft sich das Langläufer-Volumen bereits auf 14 Mrd. Euro. Nordrhein-Westfalen setzt diesen Ansatz am ausgeprägtesten um, mit Laufzeiten von 100 Jahren, die aktuell Renditen von knapp über 1 % abwerfen. In anderen Ländern könnte ebenfalls ein Umdenken einsetzen und Laufzeiten von über 30 Jahren ins Auge gefasst werden. Die Swapkurve liefert zumindest liquide Referenzpunkte bis 50 und 60 Jahre. Wie haben sich die Renditen und Spreads der Länderanleihen im Vergleich zum Bund durch die Bank weg entwickelt, und wie ist es um das Investorensentiment bestellt?Der Markt differenziert bei vergleichbaren Laufzeiten nur wenig zwischen den einzelnen Ländern. Die Renditedifferenzen zu Bundesanleihen schwanken jedoch. So sind mit Beginn der Coronakrise nicht nur die Renditen gestiegen, sondern auch die Renditeaufschläge von Länderanleihen gegenüber Bunds; im zehnjähren Bereich beispielsweise von knapp 30 auf über 60 Basispunkte. Denn Bundesanleihen wurden nur kurz von den Sorgen über steigende Defizite belastet und konnten von der globalen Liquiditäts- und Sicherheitsnachfrage profitieren. Seit Mitte April fallen die Renditen von Länderanleihen aber wieder schneller als die von Bundesanleihen, und die Renditedifferenzen sind auf die tiefsten Stände seit Anfang 2016 gefallen. Und wie geht es weiter?Die Luft für weitere Outperformance wird dünner. Einen merklichen Anstieg der Renditen oder Risikoaufschläge erwarten wir gleichfalls nicht, da Aussichten für Wachstum und Inflation gedämpft bleiben und die Notenbank weiter stetig Länderanleihen kauft. Im strukturellen Niedrigzinsumfeld dürften Investoren die verbleibenden Renditeaufschläge weiterhin als relativ attraktiv ansehen. Positive Renditen werfen die Anleihen von Bundesländern allerdings erst bei Laufzeiten von mehr als zwölf Jahren ab. Das Interview führte Kai Johannsen.