DEVISENWOCHE

Libra - ein Weckruf für die Zentralbanken

Von Sören Hettler *) Börsen-Zeitung, 14.1.2020 Das von Facebook initiierte Projekt zur Etablierung einer globalen Einheitswährung namens Libra mag zwar ins Stocken geraten sein. Zu groß ist der Widerstand insbesondere von Seiten politischer Akteure...

Libra - ein Weckruf für die Zentralbanken

Von Sören Hettler *)Das von Facebook initiierte Projekt zur Etablierung einer globalen Einheitswährung namens Libra mag zwar ins Stocken geraten sein. Zu groß ist der Widerstand insbesondere von Seiten politischer Akteure gegen die private Kryptowährung, so dass weiterhin in den Sternen steht, ob die Pläne überhaupt annähernd in der angestrebten Form umgesetzt werden können.Dennoch hat Libra schon heute einen bleibenden Eindruck hinterlassen. Zum einen hat der Stable-coin Zentralbanken weltweit aufgeschreckt. Diese vertraten zuvor die Ansicht, Kryptowährungen hätten keinerlei Chancen, mit dem etablierten Geld- und Finanzsystem zu konkurrieren. Die durchaus vielversprechende technische Herangehensweise beim Aufbau von Libra sowie die immense Nutzerbasis und die Finanzkraft der an Libra beteiligten Unternehmen haben diese Einschätzung jedoch schlagartig geändert. Zum anderen haben die Pläne vor Augen geführt, woran es dem existierenden Geld- und Währungssystem momentan fehlt und was unter der Verwendung neuer Technologien heutzutage möglich ist. Damit hat Libra den Finger in eine Wunde der etablierten Finanzwelt gelegt. Geänderte AnspruchshaltungZu berücksichtigen ist in diesem Zusammenhang zunächst eine geänderte Anspruchshaltung der Bürger mit Blick auf das, was Geld leisten können soll. Bezahlen muss komfortabel sein, also möglichst einfach, schnell und per Klick am Smartphone erfolgen. Für viele ist es schlichtweg nicht mehr nachvollziehbar, dass ein Foto in Sekundenschnelle und mit vernachlässigbaren Kosten über den gesamten Globus verschickt werden kann, während eine einfache Überweisung in der Regel bis zum Folgetag auf sich warten lässt und grenzüberschreitende Transaktionen teils mit erhöhtem Zeit- sowie Kostenaufwand verbunden sind.Hinzu kommen Forderungen aus der Wirtschaft, Währungen “programmierbar” zu machen. Gemeint ist hiermit, den Zahlungsverkehr und Smart Contracts (automatisierte Verträge, die innerhalb einer Blockchain nach einem vorgegebenen Prozess automatisch abgearbeitet werden) kombinieren zu können. Damit ist die Hoffnung verbunden, dass aufwendige, teils manuell vorzunehmende Vorgänge mit umfangreichem Papieraufkommen, wie sie beispielsweise bei Zug-um-Zug-Geschäften im internationalen Handel immer noch an der Tagesordnung sind, künftig vermieden werden können. EZB wird aktivAuf der Suche nach der richtigen Reaktion der Währungshüter, sowohl auf Libra als auch auf die bestehenden Herausforderungen, ist eine intensive Debatte über digitale Zentralbankwährungen (Central Bank Digital Currencies oder CBDC) entbrannt. Auch die Europäische Zentralbank scheint unter Führung von Christine Lagarde die Zeichen der Zeit erkannt zu haben. Nicht nur ließ die Französin Ende 2019 innerhalb der EZB eine Arbeitsgruppe einrichten, um die Vor- und Nachteile digitaler Zentralbankwährungen zu untersuchen und eine Position zu erarbeiten. Lagarde machte zudem klar, dass die Zentralbank bei diesem Thema eine Vorreiterrolle einnehmen will. Dies dürfte angesichts der Erfahrungswerte anderer Zentralbanken, darunter die Riksbank aus Schweden oder die People’s Bank of China, sicherlich keine einfache Aufgabe werden. Allerdings machten die Frankfurter Währungshüter zuletzt mit zwei Diskussionspapieren zur möglichen Ausgestaltung von digitalen Zentralbankwährungen auf sich aufmerksam.Die Europäische Zentralbank scheint begriffen zu haben, dass die Chance, beim Thema CBDC auch auf globaler Ebene mitgestalten zu können, vor allem denjenigen offensteht, die frühzeitig dabei sind. Dies ist ein erster und wichtiger Schritt. Der zweite besteht für die Währungshüter darin, die Vorgaben für die digitale Zentralbankwährung so zu präzisieren, dass die noch selbst festzulegenden Ziele erreicht werden können. Denn: Die eine, perfekte CBDC gibt es nicht! Sowohl die technische Basis (Zentralbankkonten versus Blockchain-Ansatz) als auch die Eigenschaften (unter anderem Grad der Anonymität, Obergrenzen, möglicher Zinssatz) einer digitalen Zentralbankwährung entscheiden darüber, wofür diese verwendet werden kann und welche potenziellen Auswirkungen damit für das bestehende Geld- und Währungssystem einhergehen. Zusätzlicher SpielraumDie Möglichkeiten, die mit der Etablierung einer digitalen Zentralbankwährung verbunden sind, gehen weit über eine bloße Reaktion auf Libra oder die geänderte Anspruchshaltung der Öffentlichkeit hinaus. Zu nennen ist in diesem Zusammenhang vor allem die Kernaufgabe von Notenbanken, die darin besteht, einen reibungslosen Zahlungsverkehr zu gewährleisten, selbst wenn Zentralbankgeld in Form von Bargeld irgendwann nicht mehr zur Verfügung stehen sollte. Darüber hinaus kann eine CBDC zusätzlichen geldpolitischen Spielraum bieten, gerade im aktuellen Niedrigzinsumfeld (beispielsweise effektivere Steuerung des Geldmarktsatzes oder Bereitstellung von Helikoptergeld). Erhebliche RisikenJe nach Ausgestaltung gehen die Chancen mit nicht zu vernachlässigenden Risiken für das etablierte Geld- und Finanzsystem einher. So stünde eine digitale Zentralbankwährung unter Umständen in Konkurrenz zu den Einlagen bei Geschäftsbanken. Eine Schwächung der Profitabilität von Finanzinstituten sowie ein Rückgang der Kreditvergabe könnten die Folge sein. Besondere Schlagkraft erfährt die Konkurrenzsituation zwischen CBDC und Buchgeld in einem möglichen Krisenszenario, das mit einem raschen Abzug von Einlagen von Banken verbunden ist. Dabei wird unterstellt, dass im Zuge eines “digitalen Bank Run” verglichen mit den aktuellen Rahmenbedingungen sehr viel mehr Volumen in kürzerer Zeit, quasi per Mausklick, in das sichere Zentralbankgeld umgeschichtet würde. Tatsächlich ist diese Gefahr in der bisherigen Debatte eines der zentralen Argumente der Zentralbanken gegen die Einführung von CBDCs.Fortschritt lässt sich nicht aufhalten, und die Digitalisierung macht auch vor den Zentralbanken und ihren Währungen nicht Halt. Gerade mit privaten Initiativen wie Libra, Forderungen von Seiten der Privatwirtschaft, Bestrebungen von Notenbanken anderer Länder, darunter China, zeitnah eine CBDC einzuführen, und nicht zuletzt der perspektivisch nachlassenden Bargeldnutzung, wie sie mittlerweile auch von Vertretern der Deutschen Bundesbank offen eingeräumt wird, müssen sich auch andere etablierte Zentralbanken wie die EZB oder die Federal Reserve über eine angemessene Antwort auf die bestehenden Herausforderungen Gedanken machen. Es dürfte nur eine Frage der Zeit sein, bis sich eine oder mehrere digitale Währungen etablieren. Der Wettlauf sowohl zwischen privaten Anbietern und Notenbanken als auch unter den Zentralbanken selbst hat bereits begonnen. *) Sören Hettler ist als Senior-Devisenanalyst bei der DZ Bank tätig.