IM INTERVIEW: EMIL WOLTER, COMGEST

"Lockere Geldpolitik stützt die Emerging Markets"

Bewertungsabschlag zu Industrienationen von 30 Prozent - Marktöffnung wichtiger Länder bringt frischen Wind in die Assetklasse

"Lockere Geldpolitik stützt die Emerging Markets"

Einst wie eine todsichere Wette gehandelt, sind Schwellenländer-Aktien nach ihrer jahrelangen Underperformance für viele Investoren tot. Doch sind die Aussichten wirklich so schlecht, wie es die mäßige Kursentwicklung glauben machen könnte? Ergeben sich vielleicht sogar attraktive Anlagemöglichkeiten? Die Börsen-Zeitung hat Emil Wolter, bei Comgest als Portfoliomanager und Analyst für Aktien aus Asien und den Schwellenländern verantwortlich, zu seiner Einschätzung der Emerging Markets befragt.- Herr Wolter, warum entwickeln sich die Aktienmärkte der Schwellenländer so enttäuschend?Im Jahr 2010 war es beinahe schon Konsens, dass man praktisch gar nicht anders könne, als 100 % seines Portfolios in den Emerging Markets zu investieren, die Bewertungen befanden sich auf dem Niveau der entwickelten Volkswirtschaften. Damals erreichte der Zyklus der Schwellenländer den Zenit. Seither ist ihr Wachstum deutlich zurückgegangen. Zudem führten eine nachlassende Wettbewerbsfähigkeit beziehungsweise steigende Kosten zu einer Verschlechterung der Profitabilität der Unternehmen. Die Underperformance im Vergleich zu Industrienationen, die bis Anfang 2014 30 Prozentpunkte betrug, ist auf eine enttäuschende Wachstums- und Gewinnentwicklung zurückzuführen.- Und wie stellt sich die Lage Ihrer Einschätzung nach aktuell dar?Man muss nun eingestehen, dass die entwickelten Aktienmärkte sehr gut abgeschnitten haben. Sie sind dadurch jetzt auch deutlich teurer als die Emerging Markets. Es ist damit jetzt auch nicht mehr so eindeutig richtig, die Schwellenländer unterzugewichten. Aber es bleibt nach wie vor die Frage, welche absoluten Anlageerträge in den Emerging Markets erwirtschaftet werden können. Schwellenländer haben jetzt einen Bewertungsabschlag im Vergleich zu den Industrieländern von 30 %, aber die Aussichten für das Wachstum in den Schwellenländern sind auch herausfordernd.- Wie sehen denn die Aussichten auf eine Wende aus?Das Wachstum der Schwellenländer hat sich deutlich verlangsamt, aber das bedeutet nicht zwangsläufig, dass es sich sehr schnell wieder erholen wird. Die Emerging Markets sind weniger wettbewerbsfähig geworden. Ihre Aussichten hängen von den in den jeweiligen Ländern ergriffenen Maßnahmen zur Verbesserung der Lage ab, und in dieser Hinsicht ergibt sich ein gemischtes Bild. In China, Mexiko und Indien sind vielversprechende Maßnahmen ergriffen worden, andere wie Brasilien, Indonesien und Südafrika haben sich noch nicht zu geeigneten Reformen durchgerungen.- Wie erklären Sie die Tatsache, dass sich zwar die ökonomische Entwicklung in diesem Jahr eingetrübt hat, die Schwellenländeraktienmärkte sich aber stabil gehalten haben?Die Korrelation von Konjunktur und Aktienkursen ist in der Tat aufgehoben worden. Unserer Meinung nach hängt das mit dem Kreditzyklus, das heißt der ultralockeren globalen Geldpolitik zusammen. Die lockere Geldpolitik stützt die Emerging Markets. Aber wir haben in dieser Hinsicht auch schon das Beste gesehen. Ein Problem ist die mit der geldpolitischen Wende in den USA einhergehende Dollar-Stärke. Werden amerikanische Assets attraktiver, führt dies üblicherweise zur Repatriierung, das heißt zu Kapitalabflüssen aus den Emerging Markets. Dies wird wahrscheinlich zu noch mehr Phasen erhöhter Volatilität in den Emerging Markets führen.- Stellt Sie das als Fondsmanager nicht vor erhebliche Probleme?Emerging Markets sind generell eine volatile und hochriskante Asset-Klasse. Aus unserer Sicht stellen Phasen erhöhter Volatilität jedoch keine Bedrohung dar, sondern schaffen Gelegenheiten, in die besten Unternehmen zu investieren. Das ist unser Ansatz. Auch wenn in Rechnung gestellt wird, dass außerdem von geringeren Anlageerträgen als in der Vergangenheit auszugehen ist, gibt es gute Möglichkeiten, in guten Unternehmen anzulegen. Es ist nicht unser Ansatz, auf kurzfristige Makrotrends zu wetten, sondern Qualitätsunternehmen zu identifizieren. Wir glauben auch, dass es in einem Umfeld niedrigen Wachstums noch notwendiger geworden ist, einen Bottom-up-Ansatz zu fahren, als dies in den ersten zehn Jahren des Jahrtausends war. Nichtsdestotrotz gibt es aber durchaus makroökonomische Faktoren, die langfristig für die Emerging Markets insgesamt sprechen.- Und das wären?Die alten Argumente sind immer noch gültig. Die Schwellenländer wachsen schneller als die etablierten Industrienationen. Sie haben einen hohen Nachholbedarf und deutlich bessere demografische Aussichten. Zudem ist ihr Anteil an der globalen Marktkapitalisierung relativ zu ihrem wirtschaftlichen Gewicht immer noch sehr gering. Bedeutende Länder wie China, Nigeria und Saudi-Arabien sind im Begriff, ihre Aktienmärkte internationalen Investoren besser zugänglich machen. Das wird frischen Wind in die Emerging Markets als Asset-Klasse bringen.- Nach welchen Kriterien verfahren Sie bei der Suche nach Qualitätsunternehmen?Unternehmen, in die wir investieren, müssen einen eindeutigen Wettbewerbsvorteil mit hohen Markteintrittsbarrieren haben. Das können verschiedene Dinge sein wie etwa ein monopolartiges Asset, eine Technologie, sehr hohe Marktanteile, einzigartige Produkte, starke Vertriebsnetze, ein First-Mover-Vorteil, starke Marken et cetera. Wir suchen ein stetiges Ergebniswachstum und ausgeprägte Ergebnisvisibilität. Eine führende Marktstellung und Wettbewerbsvorteile sowie Preissetzungsmacht sind gerade in einer Zeit, in der sich die Nachfrage nicht so stark entwickelt, sehr wichtig.- Welche Rolle spielen bei Ihnen die großen strukturellen Schwellenländerthemen?Aufgrund unseres Ansatzes spielen sie eine große Rolle. Wir suchen etwa nach Qualitätsunternehmen, die gut positioniert sind, vom starken Wachstum der Mittelschichten in den Schwellenländern zu profitieren. Dazu zählen beispielsweise Unternehmen, die Zugang zum Massenkonsum haben oder in Themen wie der zunehmenden Abkehr von der Bargeldwirtschaft und dem Zugang zu modernen Kommunikationsmitteln aktiv sind.- Ist denn das früher hoch gehandelte Infrastrukturthema noch relevant?Das ist in der Tat ein weiteres wichtiges Wachstumsthema, die Verbesserung der Infrastruktur. Dieses Thema ist aufgrund der Wachstumsabschwächung in den Emerging Markets etwas aus der Mode gekommen. Jeder, der Reisen in den Schwellenländern macht, kann jedoch unschwer den nach wie vor enormen Ausbaubedarf erkennen. Interessante Beispiele sind der indische Stromnetzbetreiber Power Grid mit einem Marktanteil von 76 % und der brasilianische Autobahnbetreiber CCR. Ferner setzen wir auf große, global aufgestellte Unternehmen aus den Emerging Markets, aber auch aus den Industrieländern mit hohem Geschäftsanteil in den Schwellenländern. Unsere größte Position im Konsumbereich ist der niederländische Brauereikonzern Heineken, der zwischen 60 % und 70 % seines operativen Ergebnisses in den Emerging Markets erwirtschaftet.- Welcher Titel ist die größte Einzelposition in Ihrem Fonds?Die größte Position ist der Halbleiterhersteller Taiwan Semiconductor Manufacturing Company. Dieses Unternehmen ist mit einem Marktanteil von 30 % weltweit der größte Halbleiterhersteller und ungefähr dreimal so groß wie sein größter Wettbewerber. Es hat im Bereich der High-End-Chips sogar einen Marktanteil von 70 % und ist in der Lage, jedes Jahr 7 Mrd. Dollar zu investieren, um seine technologische Führung zu behaupten. Dennoch erwirtschaftet TSMC einen beachtlichen freien Cash-flow.- Was für Unternehmen repräsentieren bei Ihnen das Thema der Abkehr von der Bargeldwirtschaft?Da setzen wir insbesondere auf Lebensversicherer wie beispielsweise China Life Insurance. Das ist der größte Lebensversicherer Chinas mit einem Marktanteil von 40 %. Die Branche hat angesichts eine Anteils der Versicherungsprämien am Bruttoinlandsprodukt von nur 1,8 %, der sich mit 4,2 % in den USA und 7,5 % in Japan vergleicht, ein sehr hohes langfristiges Wachstumspotenzial. Dieses Unternehmen zeichnet sich unter anderem durch ein sehr großes Vertriebsnetz aus, das es ihm ermöglicht, auch Märkte außerhalb der Großstädte zu erschließen.—-Das Interview führte Christopher Kalbhenn.