Makroökonomisches Risiko für Ölmarkt im Blick behalten

Steigende Realverzinsung könnte sich auf wirtschaftliche Entwicklung und globale Nachfrage auswirken

Makroökonomisches Risiko für Ölmarkt im Blick behalten

Im vergangenen Jahr entwickelte sich der Ölpreis für viele Marktteilnehmer überraschend. In der zweiten Jahreshälfte 2014 brach er um mehr als 50 % ein. Jahrelang konnten sich die Marktteilnehmer darauf verlassen, dass der Ölpreis bei über 100 US-Dollar pro Barrel notiert. Die neue Volatilität beeinflusst vor allem die Planungen von Unternehmen und Regierungen mit einer hohen Abhängigkeit vom Öl. Dabei ist der neue Preis von unter 50 US-Dollar für ein Fass Öl nicht bei allen unbeliebt. Für die Weltwirtschaft bedeutet er einen willkommenen Konjunkturschub. Neue SchieferölanbieterZu dieser Entwicklung auf dem Ölmarkt haben mehrere Faktoren beigetragen, manche wurden sogar bewusst herbeigeführt. Besonders hervorzuheben sind die neuen Anbieter von Schieferöl. Die neue Technologie zur Förderung von Schieferöl wird vor allem in den USA angewandt. Das Land ist damit zum größten Ölförderer weltweit aufgestiegen. Um über 1,6 Mill. Barrel am Tag konnte die USA ihre Produktion auf über 11,6 Mill. Barrel am Tag steigern. Damit überholten die USA sogar Saudi-Arabien und erzielen mittlerweile einen Weltmarktanteil von über 12 %. Laut BP Statistical Review ist es das erste Land, das in drei aufeinander folgenden Jahren die Produktion jeweils um mehr als 1 Mill. Barrel am Tag steigern konnte. Deshalb wurde die Schieferölindustrie von Marktbeobachtern auch als Hauptkonkurrent und primäres Verdrängungsziel der Opec ausgemacht. Diese hatte im November trotz fallender Preise beschlossen, die Förderung nicht zu drosseln, sondern bei mehr als 30 Mill. Barrel am Tag zu erhalten. Analysten sahen ein Reduktionspotenzial von über 1 Mill. Barrel am Tag. Seither ließ die Opec, dominiert von der Regierung Saudi-Arabiens als größtem Produzenten, die Schleusen offen und setzte den Ölpreis immer stärker unter Druck.So stark war der Verfall, dass sich die Ölförderung nicht mehr überall lohnt. Zwar produzierten die USA, Kanada und Brasilien Rekordmengen, für viele andere Länder außerhalb der Opec hingegen ist der Preis zu niedrig, um kostendeckend wirtschaften zu können. Um über 22 % ist die Anzahl der Ölbohrungen seit Juli 2014 in den Nicht-Opec-Staaten gefallen. Aus diesen Märkten sind in Zukunft auch keine Angebotsimpulse mehr zu erwarten. Die Schieferölindustrie fand keine schnelle Antwort auf die niedrigen Preise und muss kostengünstiger fördern. Entsprechend ist in den USA die Anzahl der Bohranlagen von 1 800 auf 884 zurückgegangen, konnte sich aber nun bei dieser Menge stabilisieren. KonkurrenzverdrängungOffensichtlich ist die Opec derzeit noch bereit, die Strategie der Konkurrenzverdrängung aufrechtzuerhalten. Die niedrigen Ölpreise hinterlassen auch dort wirtschaftlich ihre Spuren. Trotz der immensen Währungsreserven von 672 Mrd. US-Dollar leidet Saudi-Arabien unter dem niedrigen Ölpreis. Allein in diesem Jahr sind diese um 50 Mrd. US-Dollargesunken. Das Haushaltsdefizit der Regierung wird sich laut IWF dieses Jahr auf über 20 % belaufen.Ein weiterer Unsicherheitsfaktor kommt mit dem Iran auf die Ölpreisentwicklung zu. Das Abkommen mit dem Iran über das Atomprogramm dürfte auch Einfluss auf die Wirtschaftssanktionen im Land haben. Der Iran produziert derzeit über 2,8 Mill. Barrel Öl am Tag, wovon 1,1 Mill. Barrel für den Export bestimmt sind. Dies ist bereits ein sehr niedriger Wert für das Land mit den weltweit viertgrößten Ölreserven. Vor den letzten Sanktionen im Jahr 2012 lag die Produktion noch bei über 3,5 Mill. Barrel am Tag und das Land exportierte über 2,2 Mill. Barrel. Unsicherheitsfaktor IranNoch ist nicht bekannt, wann die Sanktionen gelockert werden. Offiziell hat der Iran jedoch angekündigt, dass sie kurzfristig ihre Produktion um über 600 000 Barrel am Tag erhöhen könnten. Die Weltbank geht sogar davon aus, dass der Iran das Weltangebot stärker erhöhen und den bereits niedrigen Ölpreis um über 10 US-Dollar pro Barrel weiter drücken könnte.Die Nachfrage war bemerkenswert gering im vergangenen Jahr. Mit 0,8 Mill. Barrel am Tag stieg die Nachfrage nur halb so stark wie im Vorjahr. Insbesondere in den Industrieländern ging der Ölverbrauch zurück. Dieser Abwärtstrend, der seit einer Dekade anhält, hat sich im vergangenen Jahr sogar verstärkt. In Japan fiel der Verbrauch auf das Niveau von 1971, in den USA auf das von 1997 und ist besonders stark zurückgegangen.Hier machen sich das hohe Umweltbewusstsein und die konsequent hohen Investitionen in erneuerbare Energien bemerkbar. Wind und Sonne gewinnen immer mehr Anteil am Energieverbrauch, je kostengünstiger die Herstellung wird. Das Wachstum der letzten Jahre in der grünen Energie war rasant. Hinzu kommen die Demografie und hohe Produktivität. Die höchste Verbrauchsreduktion konnte durch energieeffizientere Fahrzeuge im Transportwesen erzielt werden. In den nächsten zehn Jahren ist nicht mit einer Umkehr des Trends in den Industrieländern zu rechnen. Der Ölverbrauch dürfte auf Jahre hin weiter fallen.Allein durch die Nachfrage der Schwellenländer ist der Ölverbrauch überhaupt gestiegen. So hat China zwar wieder den größten Konsumbeitrag geleistet, jedoch blieb dieser aufgrund der Wachstumsschwäche in der Volksrepublik unterdurchschnittlich. Dieses Jahr dürften es noch etwa 3 % Wachstum werden. Dies reicht, um die USA als größten Importeur abzulösen. China und Indien allein dürften über die Hälfte des Wachstumsbeitrags leisten. Stagnation in ChinaWährend jedoch in Indien aufgrund solider Wirtschaftsdaten die Nachfrage weiter anzieht, zeichnet sich in China eine künftig schwächer wachsende Nachfrage ab. Die wirtschaftliche Dynamik leidet unter der Immobilienblase und dem Aktienmarktcrash. Die Regierung versucht seit Jahren, einen wirtschaftlichen Systemwechsel herbeizuführen, weg von der energieintensiven und exportorientierten Schwerindustrie, hin zur modernen Konsum- und Dienstleistungsgesellschaft. Diese Entwicklung und ähnliche demografische Probleme mit einer alternden Gesellschaft, wie im Westen und in Japan, dürften auch in China zu einer stagnierenden Nachfrage in der nächsten Dekade führen.In den kommenden Jahren wird die Stärke der US-Konjunktur die treibende Kraft bei der Ölnachfrage bleiben. Zumindest vorerst, denn der günstige Ölpreis wirkt wie ein globales Konjunkturprogramm. Durch stärkeres Wirtschaftswachstum wird mit Verzögerung eine wieder steigende Ölnachfrage erwartet. Sehr hohe ErwartungenDer niedrige Preis treibt die Nachfrage auf ein Fünfjahreshoch. Die Erwartungen der wichtigsten Organisationen sind entsprechend sehr hoch. So erwartet die Internationale Energiebehörde einen Anstieg des Ölverbrauchs um über 1,6 Mill. Barrel am Tag. 2016 soll es mit einem Wert von mehr als 1,4 Mill. Barrel am Tag aufwärts gehen. Die Opec bestätigt diesen Trend mit ähnlichen Schätzungen. Das Angebot hingegen wird wohl weniger stark zulegen. Die Schätzungen belaufen sich auf etwa 1 Mill. Barrel für 2015. 2016 soll das Angebot sogar um 0,2 Mill. Barrel schrumpfen.Der Angebotsüberschuss wird sich demnach von derzeit über 2 Mill. Barrel halbieren. Die starke Nachfrage bedeutet auch neuen Preisschub für den Ölpreis. Wir gehen von einem durchschnittlichen Preis per Barrel Brent von 62 US-Dollar in 2016 aus. Beim WTI (West Texas Intermediate) schätzen wir über 56 US-Dollar per Barrel.Einen höheren Preis in der Zukunft nehmen die Terminmärkte bereits vorweg. So steigen die Kontrakte mit Laufzeiten bis 2016 um über 10 Dollar im Preis. Das wirkt sich auch negativ für Anleger auf Öl-Partizipationsprodukte aus. Denn diese klassischen Partizipationsprodukte bilden die aktuellen Terminkontrakte auf Öl ab und müssen sie derzeit mit teureren Kontrakten ersetzen. Kurz bevor diese fällig werden, wird der aktuelle Kontrakt in der Regel mit dem nächstlaufenden, derzeit deutlich teureren Kontrakt ersetzt. Bei diesem sogenannten Rollvorgang erleiden Anleger Verluste, wenn der Preis für Öl weniger stark steigt als der Preis für den nächsten Kontrakt. Rolloptimierte IndizesAnders als diese klassischen Ölinvestments können rolloptimierte Indizes, wie der RICI Enhanced Index auf Brent oder WTI, den negativen Einfluss durch den Rollvorgang minimieren, indem sie die Investitionen über verschiedene Laufzeiten diversifizieren. Insbesondere in der aktuellen Konstellation der Terminkontrakte für Öl kann die Rolloptimierung vermeiden, dass stetig der teurere Kontrakt mit der nächstfälligen Laufzeit gekauft wird, sondern der für den Anleger günstigste Kontrakt.Trotz der fundamental aussichtsreichen Faktoren sollten Anleger ein bedeutendes makroökonomisches Risiko für den Ölmarkt im Blick behalten. Die Federal Reserve hat angekündigt, dass sie bald die Zinsen erhöhen könnte. Das könnte dem US-Dollar möglicherweise noch mehr Auftrieb geben. Der Ölpreis ist zum US-Dollar negativ korreliert und ist davon sicher beeinflusst. Zudem könnte sich eine steigende Realverzinsung auf die wirtschaftliche Entwicklung und die globale Ölnachfrage auswirken.—Kemal Bagci, Product Manager Exchange Traded Solutions bei BNP Paribas Deutschland