Übernahmen

M&A in unsicheren Zeiten

Selbst wenn sich die düsteren Prognosen für das M&A-Geschäft etwas aufhellen, bleiben die Zeiten unsicher. Dies stellt hohe Anforderungen an Transaktionspartner: Sie müssen unwahrscheinliche Entwicklungen antizipieren und kreative Lösungen entwickeln.

M&A in unsicheren Zeiten

Von Ingo Strauss und Heiko Gotsche *)

Nach dem Rekordjahr 2021 schien sich das Geschäft mit Fusionen und Übernahmen auch 2022 zunächst auf hohem Niveau einzupendeln. Doch mit dem Einmarsch russischer Truppen in der Ukraine verschlechterte sich die Situation erheblich. Geopolitische Risiken stiegen ebenso wie Energiepreise, Inflationsraten und Zinsen. Auch heute noch sind in vielen Branchen verlässliche Prognosen kaum möglich; historische Zahlen und Business-Pläne haben an Aussagekraft verloren.

Mangels echter Planbarkeit und Verlässlichkeit, den zentralen Faktoren für einen erfolgreichen M&A-Markt, haben Unternehmen und Finanzinvestoren zahlreiche Transaktionen gestoppt, weitere stehen noch immer auf Messers Schneide. Banken zeigen sich nach wie vor zurückhaltend bei Finanzierungen und auch die typischerweise risikobereiteren Debt-Fonds agieren vorsichtiger. Doch die vergangenen Monate haben auch gezeigt: Wer bereit ist, neue Wege zu beschreiten, kann M&A-Deals trotz aller Widrigkeiten zum Erfolg führen und Chancen nutzen, die sich in Krisen regelmäßig eröffnen.

Angesichts der vielfältigen Unwägbarkeiten, mit denen Zielgesellschaften aktuell konfrontiert sind, ist für Unternehmenskäufer das Spektrum potenzieller Gefahren größer geworden. Dies kann eine komplexe Lieferkettensituation genauso betreffen wie mögliche Risiken aus einer bevorstehenden Refinanzierung, die (Nicht-)Behandlung von Preissteigerungen in den Kunden- und Lieferantenverträgen oder die Auswirkungen der volatilen Energiepreise auf den Betrieb und die Vertragssituation der Zielgesellschaft.

Häufig ergeben sich dabei mögliche Risiken erst aus dem Zusammenspiel unterschiedlicher Themenfelder, was eine enge Verzahnung der Due-Diligence-Workstreams und „Outside-the-box“-Denken erforderlich macht. Ebenso wichtig ist es, denkbare Risikoszenarien für das Zielunternehmen gemeinsam zu antizipieren und durchzuspielen.

Eine zielgenaue, interdisziplinäre Due Diligence, die kritische Themenfelder in der vielschichtigen Gesamtsituation identifiziert und sachgerecht bewertet, ist deshalb im aktuellen Marktumfeld von zentraler Bedeutung.

Das Streitpotenzial ist in Krisenzeiten deutlich größer, was auch fundamentale Aspekte des Unternehmenskaufs betreffen kann. Entsprechend wichtig ist eine saubere und durchdachte Gestaltung des Unternehmenskaufvertrags, wobei die regelmäßig verwendeten Standardklauseln das veränderte Risikoprofil häufig nicht vollständig abbilden.

Dies betrifft insbesondere den Garantiekatalog, der zum Teil um Klauseln ergänzt werden muss, die den Käufer vor neuen Risiken schützen. Ähnlich wie bei der Garantie für Datenschutz-Compliance nach der Einführung der Datenschutzgrundverordnung dürften sich auch hier bald neue Standards entwickeln.

Allerdings ist bei neu eingeführten Klauseln Vorsicht geboten. Denn die „Warranty & Indemnity“-Versicherungen, die die Parteien vor den Konsequenzen von Garantieverletzungen schützen, sehen Neuerungen zum Teil kritisch. Das kann dazu führen, dass Transaktionspartner die vertragliche Haftung nicht wie geplant an die W&I-Versicherung auslagern können.

Wegen der Unsicherheit über die Bewertung identifizierter Risiken kommen auch Freistellungen durch Verkäufer wieder verstärkt zum Einsatz. Häufig eröffnet erst diese vertragliche Einstandspflicht dem Käufer die Möglichkeit, die Transaktion aus Risikogesichtspunkten durchzuführen. Freistellungsklauseln können somit ein wichtiges Gestaltungsmittel sein, um Transaktionen trotz kritischer Themen erfolgreich zum Abschluss zu bringen.

Die Preisvorstellungen der Verhandlungspartner liegen immer häufiger weit auseinander: Während Verkäufer gerne auf bisherige Gewinne und langfristig gute Aussichten auf Basis historischer Annahmen verweisen, stellen Kaufinteressenten die verschlechterten wirtschaftlichen Rahmenbedingungen und Unwägbarkeiten mit Blick auf künftige Erträge in den Mittelpunkt.

Um dennoch zusammenzufinden, sind kreative Kaufpreisgestaltungen gefragt, die die Interessen beider Vertragsparteien zu einem angemessenen Ausgleich bringen. Dazu zählt das gesamte Spektrum an „Earn-out“-Klauseln, bei denen variable Kaufpreiskomponenten an die zukünftige (Ertrags-)Entwicklung des Zielunternehmens geknüpft werden. Bei einem Verkauf an einen Finanzinvestor kann aber auch eine Beteiligung des Verkäufers am Exit-Erlös nach einem späteren Verkauf in Betracht kommen.

Die zugrundeliegenden Kaufpreisklauseln so zu gestalten, dass sie das wirtschaftliche Verständnis der Parteien zutreffend abbilden und alle denkbaren Szenarien erfassen, kann sehr herausfordernd sein und verlangt eine enge Abstimmung zwischen Anwalt, Prinzipal und der beratenden Investmentbank.

Die bestehenden Unsicherheiten haben auch erhebliche Auswirkungen auf den Vollzug (Closing) von Transaktionen. Wenn bei Unternehmenskäufen ein langer Zeitraum zwischen Vertragsschluss und Closing liegt, etwa wegen der Einholung regulatorischer Freigaben oder der Durchführung eines Carve-out, können sich die Marktverhältnisse erheblich ändern, was dann möglicherweise nicht oder nicht vollständig im Unternehmenskaufvertrag reflektiert ist. Das kann zu gravierenden Verwerfungen führen. Hier müssen sich die Parteien mit der Frage beschäftigen, ob die Transaktion unverändert vollzogen werden soll oder etwa eine Anpassung des Kaufpreises in Betracht kommt.

Bei laufenden Transaktionen erkennt man ferner eine klare Tendenz, dass Käufer nicht mehr bereit sind, eine Abwälzung aller Vollzugsrisiken auf sie mittels sog. „Hell-or-High-Water“-Klauseln zu akzeptieren. Vielmehr versuchen Käufer, die Rahmenbedingungen, unter denen die Transaktion vollzogen werden soll, möglichst präzise festzulegen. Deswegen werden zunehmend auch wieder sog. „Material Adverse Change(MAC)“-Klauseln diskutiert, die dem Käufer im Fall unvorhergesehener negativer Entwicklungen Rücktritts- oder Anpassungsmöglichkeiten gewähren.

Zudem empfiehlt sich mehr denn je eine frühzeitige und intensive Einbindung der Experten aus dem Wettbewerbs- und Außenwirtschaftsrecht. Denn die geopolitische Lage sorgt für erhebliche regulatorische Vollzugsrisiken, die Transaktionspartner unvermittelt treffen können – nicht nur bei Käufern aus China.

Das vergangene Jahr hat gezeigt, wie schnell sich der scheinbar stabile M&A-Markt aufgrund unvorhergesehener Entwicklungen ändern kann. Unternehmenskäufer (wie auch Fremdkapitalgeber) agieren heute zurückhaltender und sind nicht mehr bereit, einseitige vertragliche Risikoverteilungen ohne Weiteres zu akzeptieren. Dies hat Auswirkungen auf die Verhandlung und Gestaltung des Unternehmenskaufvertrags und lässt vermuten, dass sich der seit Jahren bestehende Verkäufer-Markt wieder mehr zu einem Käufer-Markt entwickeln könnte.

Es ist aber nicht davon auszugehen, dass der M&A-Markt – wie während der Finanzkrise 2008 – einbrechen wird, weil den negativen Effekten auch mehrere positive Faktoren gegenüberstehen: Zahlreiche Unternehmen stehen nach wie vor unter einem hohen Innovations- und Transformationsdruck und sind deshalb vielfach auf Zukäufe angewiesen. Daneben verfügen Private-Equity-Investoren über erhebliches Kapital, das investiert werden muss. Zudem bietet die derzeitige Krise auch im M&A-Markt interessante Chancen, die viele Entscheider nutzen wollen, etwa der Erwerb von Unternehmen, die wegen aktueller Turbulenzen in Schieflage geraten, aber langfristig gut aufgestellt sind.

Es gibt keine Pauschalrezepte, wie man die Herausforderungen des aktuellen M&A-Umfelds am besten meistert. Die neuen Realitäten anzuerkennen und Lösungen jenseits etablierter Marktstandards zu entwickeln, ist derzeit allerdings sicher der Schlüssel, um den Widrigkeiten zu trotzen und Transaktionen erfolgreich abzuschließen.

*) Dr. Ingo Strauss und Dr. Heiko Gotsche sind Partner im Düsseldorfer Büro von .