IM INTERVIEW: SEVDA SARP, ERSTE-SPARINVEST

"Mangel an Strukturreformen"

Die Türkei-Expertin berät von Istanbul aus den österreichischen Vermögensverwalter - Glaubwürdigkeit der neuen Regierung hängt am Wirtschaftsteam

"Mangel an Strukturreformen"

Die Finanzmärkte haben hohe Erwartungen an eine Reformagenda der neuen türkischen Regierung. Warum es dabei auch auf die richtigen Köpfe ankommt, erläutert im Interview der Börsen-Zeitung Sevda Sarp, die für Erste-Sparinvest von Istanbul aus bei Anlagen in der Türkei berät.- Frau Sarp, die Türkei hat im September den zweiten Monat in Folge einen Leistungsbilanzüberschuss erzielt. Bedeutet das eine Trendwende für das von externer Finanzierung abhängige Land?Ja, aber die Verbesserung war auch erwartet worden wegen des starken Rückgangs der Rohstoffpreise. Die Türkei hat einen hohen Importbedarf an Öl und Gas, was zusammen mit dem eher schwachen Wirtschaftswachstum in den vergangenen Monaten die Leistungsbilanz verbessert hat. Wir erwarten eine Fortsetzung der Verbesserung in den kommenden Monaten. Wichtiger in der Leistungsbilanz ist jedoch die Finanzierungsbilanz, die Zuflüsse ausländischer Direktinvestitionen von 8,7 Mrd. Dollar in den ersten neun Monaten des Jahres ausweist. Kurzfristige Kapitalflüsse sind sehr wichtig für die Türkei.- Gilt das vor allem für die Banken?Für die türkischen Banken stellt sich die Situation etwas anders dar, weil Spareinlagen nach wie vor ihre wichtigste Finanzierungsquelle sind. Anders ist es bei den Unternehmen, die in den vergangenen Jahren zunehmend Euro-Bonds emittierten und von ausländischen Direktinvestitionen abhängig sind.- Bei den jüngsten Parlamentswahlen hat die AKP, die konservativ-islamische Partei von Präsident Recep Tayyip Erdogan, die absolute Mehrheit zurückerobert. Was bedeutet das für die türkische Volkswirtschaft?Einer der wichtigsten Punkte ist, wer die Mitglieder des Wirtschaftsteams der AKP sein werden. Ali Babacan und Mehmet Simsek sind die erfahrenen Namen, auf die sich der Markt verlassen wird. Solange sie dem Wirtschaftsteam angehören, werden die Finanzmärkte der AKP-Regierung vertrauen. Ein zweiter wichtiger Punkt ist der Pfad der Strukturreformen. Das Wachstum hat sich bereits seit drei Jahren in der Türkei abgeschwächt, seither gibt es einen Mangel an Strukturreformen sowie globale und regionale Probleme. Ich konnte kürzlich mit einigen Offiziellen in Ankara sprechen. Sie streben an, den bereits 2013 vorgelegten Reformplan nun umzusetzen. Nachdem es einige populistische Maßnahmen wie eine kräftige Anhebung des Mindestlohnes oder Subventionen für Düngemittel gab, sind diese Strukturreformen entscheidend für die Türkei in den kommenden fünf Jahren.- Was waren die Ziele des Reformplans von 2013?Er deckte einen breiten Bereich ab, aber im Kern ging es um Bildung, Gesundheitsvorsorge, die Landwirtschaft, Altersvorsorge. Zum jetzigen Zeitpunkt wissen wir nicht genau, was die Regierung plant, aber der Reformplan wird der entscheidende Punkt nach der Bildung der Regierung sein.- In welchen Bereichen sind Ihrer Einschätzung nach Strukturreformen nötig?Ein Grund dafür, dass in den zwei Jahren seit der Ankündigung nichts geschehen ist, sind die politischen Unruhen im Land, verbunden mit mehreren Wahlen. Dazu kommen die regionalen Probleme wie der Krieg in Syrien. Das hat alles zu einer Pause bei den Reformen geführt. Dieses Mal muss die AKP klarmachen, welche Reformen sie durchführen und wie sie diese implementieren will. Andernfalls wird es für die Türkei schwierig werden, auf einen normalen Wachstumspfad wie in den vergangenen rund 20 Jahren zurückzukehren. Das Potenzialwachstum für die Türkei beträgt etwa 4,5 %. Aber 2014 hatten wir nur etwa 3 %, und dieses Jahr sieht es ähnlich aus. Um das Potenzial auszunutzen, muss die AKP-Regierung die bereits 2013 angekündigten Reformen nun auch umsetzen.- Und was würde passieren, wenn das alte Wirtschaftsteam nicht weitermachen würde?Es wäre der Worst Case, falls die genannten vertrauenswürdigen Namen nicht dem Wirtschaftsteam angehören würden. Die Märkte wünschen sich Leute, die geradeaus sind und das Wachstum ankurbeln. Denn auch wenn wir eine Verbesserung in der Leistungsbilanz sehen, die Finanzierung bleibt ein Problem.- Die Notenbank stand vergangenes Jahr unter politischem Druck, als sie zur Inflationsbekämpfung die Leitzinsen erhöhen wollte. Wie ist die Situation aktuell?Die Verbraucherpreise steigen derzeit um rund 8 %, während das Inflationsziel der Notenbank bei 5 % liegt. Sie hatte vor den Wahlen Signale für eine Zinserhöhung ausgesendet. Neben der Inflation sorgte auch die Abwertung der Lira für Druck. Nach den Wahlen wertete die Lira auf, so dass die Notenbank wohl keinen unmittelbaren Handlungsbedarf für eine Zinserhöhung sieht. Allerdings kann ich mir vorstellen, dass die türkische Zentralbank Anfang 2016 ihre Politik großzügiger Liquiditätszuteilung beendet. Solange aber die Federal Reserve ihren Leitzins unverändert lässt, wird es in der Türkei auch keine Zinserhöhung geben. Sehr intensiv wird im Markt auch die Nachfolge von Notenbank-Gouverneur Erdem Basci diskutiert, dessen Amtszeit im April ausläuft. Dies kann Auswirkungen auf die Geldpolitik haben, nachdem Basci sehr unkonventionell gehandelt hat mit einem Zinskorridor und verschiedenen Zinssätzen. Eine Vereinfachung wäre geboten.- Nun gilt eine US-Zinserhöhung für Dezember als durchaus möglich. Was würde das für die Lira bedeuten?Der Markt orientiert sich anders als noch zu Jahresbeginn wieder an den Fundamentaldaten. Ausländische institutionelle Investoren zeigen wieder Interesse an der Türkei. Die Bildung einer neuen Regierung sollte den mittelfristigen Ausblick verbessern, wir sehen dies bereits an einem verbesserten Geschäftsklima. Der türkische Aktienmarkt und der Kurs der Lira sind ja direkt nach der Wahl gestiegen. Am Aktienmarkt sollte sich dies fortsetzen.- Welche Sektoren wären die Gewinner einer aufgehellten Wirtschaftsstimmung in der Türkei?Mit einer steigenden Währung und fallenden Anleiherenditen sollten die Banken der größte Profiteur sein. Sinkende Renditen schlagen sich unmittelbar in steigenden Margen und damit in der Rentabilität der Banken nieder. Sie machen rund 40 % der Marktkapitalisierung aus und bewegen folglich den Markt. Auf Unternehmensseite profitieren solche Firmen von der Lira-Aufwertung, die hohe Auslandsschulden haben. Dies gilt vor allem für die Telekommunikationsbranche, aber auch für einige Konsum- und Transportwerte. Viele der Konsum-Unternehmen sind in Europa aktiv und profitieren zusätzlich von der Verbesserung der wirtschaftlichen Lage dort.- Wie sieht es mit den großen türkischen Bauunternehmen aus?Nun, viele von ihnen sind sehr aktiv in Russland und der Ukraine und leiden unter den Unruhen und der Rezession dort. Einige der Firmen haben ihr Geschäft in den Irak und den Iran ausgeweitet.- Wie schätzen Sie die politischen Risiken ein für die Türkei, einerseits mit dem Krieg im Nachbarland Syrien, aber auch mir der wieder aufkommenden Gewalt im Südosten des Landes?Unglücklicherweise wurden durch terroristische Aktionen in den vergangenen fünf Monaten mehr als 250 Menschen getötet. Dies ist ein Problem der Türkei seit mehr als drei Jahrzehnten, aber wir haben in diesem Jahr einen neuen Höhepunkt erlebt. Die Regierung hatte ja einen Friedensprozess mit den Kurden angekündigt, der wegen der zahlreichen Wahlen im vergangenen Jahr ebenfalls unterbrochen wurde. Das Risiko des Terrorismus, aber auch von sozialen Unruhen bleibt hoch, und der Lösungsansatz der AKP wird sehr bedeutsam sein. Wir haben noch von keinen Plänen gehört, aber die Regierung wird sicherlich mit Plänen kommen. In der kommenden Zeit wird auch die Entwicklung in Syrien sehr wichtig für die Türkei sein. Es gibt hier ja Meldungen in den Medien, wonach die türkische Armee mit Unterstützung der US-Luftwaffe nach Syrien einmarschieren will, was von der Regierung aber noch nicht bestätigt ist. Die außenpolitischen Herausforderungen werden für die Türkei fortbestehen, und es wird keine schnelle Lösung geben.—-Das Interview führte Stefan Schaaf.