IM INTERVIEW: ADAM BOTHAMLEY UND INGO NOLDEN, HSBC

"Markt funktioniert auch ohne EZB"

Kapitalmarktmanager: Hohe Aufnahmefähigkeit stützt - Platzierungen auch ohne Rating möglich

"Markt funktioniert auch ohne EZB"

Trotz Coronakrise funktioniert der Anleihemarkt nicht nur reibungslos. Er erlebt einen in seinem Ausmaß noch nie gesehenen Boom. Dazu trägt bei, dass die Investoren eine sehr hohe Aufnahmekapazität haben, erläutern Adam Bothamley, Global Co-Head of DCM von HSBC, und Ingo Nolden, Leiter Fremdkapitalmarkt und Strategic Capital Advisory bei HSBC Deutschland. Herr Bothamley, wie beurteilen Sie die Entwicklung des Anleiheprimärmarktes inmitten der Coronakrise?Bothamley: Wir erleben eine phänomenale Entwicklung. Zur Jahreswende wurden nach den Rekordemissionsvolumina des Vorjahres noch eine moderate Entwicklung und günstige Konditionen erwartet. Das hat sich mit der Coronakrise dramatisch verändert. Das betrifft nicht nur die Emissionsvolumina, sondern auch die Art und Weise, wie Transaktionen ausgeführt werden. Schließlich arbeiten viele Kollegen und Kunden im Homeoffice. Welche Regionen und Segmente treiben den Anleiheprimärmarkt?Bothamley: Die Explosion des Angebots begann in den USA, Europa folgte. In Asien hat die Aktivität noch nicht so stark angezogen, was daran liegt, dass viele Unternehmen dort stark auf Bankenkredite fokussiert sind. Allerdings hat das Volumen in den vergangenen Wochen angezogen. Nach Segmenten sind zwei Bereiche hervorzuheben. Der erste sind Investment-Grade-Unternehmensanleihen. Viele Unternehmen sind bestrebt, angesichts der Unsicherheiten ihre Liquidität zu erhöhen und ihre Finanzierung durch Banken zu ergänzen. In Europa hat sich das Emissionsvolumen ab März deutlich erhöht, in den Monaten März, April und Mai war es drastisch höher als im Vorjahr. Das Emissionsvolumen des Investment-Grade-Bereichs ist in diesem Jahr um rund 70 % höher als im zurückliegenden Jahr. Der zweite Treiber ist der öffentliche Sektor. Auch dies ist eine Folge der Coronakrise. Die steigenden Finanzierungserfordernisse haben für im Vorjahresvergleich signifikant höhere Emissionsvolumina gesorgt. Welche Segmente hinken hinterher?Bothamley: Wir haben noch keinen starken Emissionsanstieg des Finanzsektors gesehen. Die Branche hat ihr regulatorisches Kapital in den zurückliegenden Jahren deutlich erhöht. Ferner sind hier die Spreads, verglichen mit anderen Liquiditätsquellen, relativ weit gewesen. Nicht zuletzt stehen der Branche attraktive Finanzierungsprogramme wie die TLTROs (langfristige Refinanzierungsgeschäfte) der EZB zur Verfügung. Zuletzt haben wir aber einen Anstieg der Emissionen von Banken und Versicherern gesehen. Sie nutzten den Appetit des Marktes und den Rückgang ihrer Spreads. So ein explosionsartig gestiegenes Angebot muss von Investoren angenommen werden. Nach Lehman war der Markt phasenweise eingefroren. Was ist dieses Mal auf der Investorenseite anders?Bothamley: Die Investoren haben eine deutlich höhere Aufnahmekapazität als zu Zeiten der globalen Finanzkrise. Die Ausweitung der Spreads zu Beginn der Krise hat weiterhin zu erheblichen Mittelzuflüssen geführt. Hinzu kommt das Kaufprogramm der EZB, das die Nachfragemenge, die der Markt aufnehmen muss, reduziert. Bislang war regional betrachtet die asiatische Nachfrage nicht besonders hoch. Zuletzt sind aber auch asiatische Investoren an den Markt zurückgekehrt. Davon profitieren auch europäische Emittenten. So gab es zuletzt etwa eine sehr erfolgreiche Dollar-Transaktion von Phoenix Insurance, die von asiatischen Investoren gut nachgefragt wurde. Auch die jüngste Tier-2-Emission der Commerzbank traf auf eine gute Nachfrage aus Asien. Wie sieht es im Bereich niedrigerer Bonitäten aus?Bothamley: Zuletzt kam es zur Wiedereröffnung des Hybrid-Marktes. So stieß eine Hybrid-Anleihe der spanischen Repsol auf eine außergewöhnliche Nachfrage. Im Unternehmensanleihebereich laufen nicht mehr nur die Investment-Grade-Emissionen gut, sondern mittlerweile auch die niedrigeren Bonitäten.Nolden: Wir haben sogar schon erste Emissionen von ungerateten Unternehmen gesehen. Dazu zählt Ferrari. Solche Anleihen werden nicht von der EZB gekauft. Das zeigt: Der Markt funktioniert auch ohne EZB-Unterstützung. Außerdem sehen wir jetzt auch eine Wiederbelebung des Schuldscheinmarktes, der für den deutschen Mittelstand wichtig ist. So gab es bemerkenswerte Transaktionen von Bosch und Aurubis. Aber auch internationale Emittenten wie der französische Supermarktbetreiber Auchan und der Schweizer Schokoladehersteller Barry Callebaut sind hier bereits aufgetreten. Der Turnaround im Risk Sentiment ist beachtlich. In einer derartigen Krise würde man eigentlich erwarten, dass es länger dauert, bis sich die Marktteilnehmer adjustieren. Aber der Markt wurde technisch begünstigt, unter anderem durch die EZB-Käufe, durch die Spread-Ausweitung, die den Markt attraktiv machte bei gleichzeitig hohem Anlagebedarf auf der Investorenseite. Könnte die bemerkenswerte Entwicklung des Primärmarktes nachhaltige Folgen für die Herangehensweise hiesiger Unternehmen haben, was den Kapitalmarkt betrifft?Nolden: Die Coronakrise, aber auch zuvor der Handelskonflikt sowie die damit einhergehende Volatilität zeigen, dass es künftig wichtig sein wird oder eigentlich schon ist, eine diversifizierte Finanzierungsbasis zu haben. Das ist ein Kernelement des Risikomanagements. Die Krise wird die Art und Weise verändern, wie Treasurer, Finanzvorstände und CEOs auf ihre Finanzierungsinstrumente schauen. Durch die Pandemie ist das zuvor dominierende Nachhaltigkeitsthema etwas in den Hintergrund geraten. Droht es aus der Mode zu kommen?Nolden: Covid-19 wird den Fortschritt im Nachhaltigkeitsbereich nicht rückgängig machen. Im Gegenteil: Die Krise wird möglicherweise zu einem Beschleuniger. Derzeit ist eine stärkere Diversifizierung des stark vom Klimathema dominierten Segments zu beobachten, das heißt ein verstärkter Trend hin zu Social Bonds. Das Interview führte Christopher Kalbhenn.