"Märkte könnten testen, wie willens die EZB sein wird"
Herr Wilson, es gab an den Märkten einen phänomenalen Start in dieses Jahr. Liegt das Beste nun hinter uns?Es liegen sehr gute Erträge hinter uns, das bedeutet aber nicht, dass es keine Renditen mehr gibt. Es ist durchaus möglich, dass wir weitere Prozentpunkte sehen. In den Credit-Märkten sind die Risikoprämien zusammengelaufen, aber es gibt nach wie vor attraktive Renditen, gerade im Vergleich mit Staatsanleihen oder Cash. Es muss also nicht bedeuten, dass bis Ende des Jahres nur noch negative Renditen folgen. Die Volatilität könnte aber steigen. Wie schätzen Sie das Marktumfeld ein?Die Lage ist gut, aber nicht großartig, was das Wirtschaftswachstum anbelangt. Wir liegen in der Nähe des Trendwachstums, in den USA zwischen 1,75 und 2 %, und es gibt keinen Inflationsdruck. Die Korrektur an den Märkten im zweiten Halbjahr 2018 hat die US-Notenbank deshalb zu einem Kurswechsel veranlasst und zu einer geduldigeren Strategie. Diese Lockerung der Straffungspolitik, um es so auszudrücken, hat dem Markt eine Rückversicherung gegeben. Was aber weniger Aufmerksamkeit bekommt, aber viel wichtiger ist: Die Fed hat wenig Raum für Zinssenkungen. In früheren Zyklen waren Zinssenkungen zwischen 400 bis 500 Basispunkten der Standard, das ist heute nicht mehr möglich. Die Risikomanagement-Strategie der Fed ist es, eher zu pausieren, statt die Zinsen anzuheben und sie dann wieder zu senken, wenn sich die Aktivität verlangsamt. Was erwarten Sie?Ob das der Fall sein wird, werden wir sehen. Wir erwarten keine Zinssenkung in diesem und im nächsten Jahr. Die Fed zeigt aber implizit den Willen, eine höhere Inflationsrate zu tolerieren, denn sie spricht von einem symmetrischen Inflationsziel, das auch eine gewisse Zeit lang Inflationsraten über dem Zielwert zulässt. Interessant ist die unterschiedliche Entwicklung in Europa. Die Europäische Zentralbank hat ihre Rhetorik in Richtung lockerere Geldpolitik verändert. Die Ankündigung der Langfristtender für Banken – TLTRO – ist ein Versuch von EZB-Präsident Mario Draghi, “taubenhafter” zu wirken. Dies ist Ausdruck des Problems, dass die EZB keinen Spielraum hat, um über die Zinsen die Geldpolitik weiter zu lockern. Die EZB könnte prinzipiell aber die Zinsen weiter senken?Ja, aber nach unserer Einschätzung würde dies mehr Schaden als Nutzen bringen. Der Schaden für den Bankensektor wäre größer als der günstige Effekt auf andere Sektoren. Deswegen gehen wir auch nicht von weiteren Zinssenkungen der EZB aus. Auf welchen Annahmen gründen Sie das?Es gibt kein Kreditwachstum in Europa. Das ist zwar immer eine Frage von Angebot und Nachfrage. Die Banken würden jedoch sagen, dass sie nicht genug profitable Möglichkeiten finden, um Kredite auszugeben. Das liegt an der Finanzierungssituation der Banken – sie ist herausfordernd. Negativzinsen nicht an Retail-Kunden mit Guthaben weitergeben zu können ist kostspielig. Der Bankensektor spürt den Druck und will deshalb eine höhere Risikoprämie im Kreditgeschäft. Die Unternehmen ihrerseits sagen, dass sie nicht genügend Wachstum erwarten, um zu solchen Bedingungen zu investieren. Dass es praktisch kein Kreditwachstum gibt, ist ein Hinweis darauf, dass etwas im Banksystem nicht funktioniert. Gibt es tiefere strukturelle Probleme in Europa?Die größte Herausforderung liegt in der Demografie, das ist vergleichbar mit der Situation in Japan. Das betrifft etwa die Zahl der Arbeitnehmer, die noch in Pensionskassen und Gesundheitsvorsorgesysteme einzahlen werden. Allerdings ist die Inflationsentwicklung unterschiedlich. In den vergangenen zehn Jahren betrug die Kerninflationsrate in Japan -0,2 %, in Europa lag sie bei 1,1 %. Es gibt keine Deflation, aber die Inflationsrate liegt deutlich unter den 2 %, welche die EZB anpeilt. Deflation schafft in Japan eine Menge zusätzlicher Herausforderungen. Das Inflationsproblem ist aber auch in Europa struktureller Natur. Obwohl der Arbeitsmarkt so robust ist, sind beispielsweise in Deutschland kaum deutlich steigende Löhne zu sehen. Dies liegt zum Teil am Wettbewerb und an der Möglichkeit der Unternehmen, Arbeitsplätze oder Fertigung in Regionen mit niedrigeren Löhnen zu verschieben. Angesichts der niedrigen Arbeitslosenquote hätten wir höhere Lohnzuwächse erwartet. Gibt es ein Problem in der Messung der Produktivitätsentwicklung, wird diese unterzeichnet?Es ist sicher die Frage, wie sich Produktivität messen lässt. Wird der Output erhöht, weil man digitale Geräte unterwegs benutzen kann? In einem reinen Produktionsumfeld lässt sich zählen, wie viel produziert wird. In anderen Bereichen ist dies schwieriger. Etwa im Gesundheitssektor, das sind manuelle Tätigkeiten, aber wie lässt sich das messen? Aber dort werden Stellen geschaffen, während in der industriellen Produktion Menschen durch Roboter ersetzt werden. Noch einmal auf den Vergleich mit Japan zu kommen, was ist sonst noch anders?Das Wachstumspotenzial ist in Europa mit etwas mehr als 1 % noch höher als in Japan, wo es bei 0,2 % bis 0,3 % liegt. In einigen Bereichen gibt es leichte Inflation, das hilft. Aber es gibt auch die EZB mit ihren unglaublich niedrigen Leitzinsen und den offensichtlich fehlenden Möglichkeiten, ihr Ziel einer Inflationsrate von unter, aber nahe 2 % mit geldpolitischen Mitteln zu erreichen. In Japan verfolgt die Zentralbank die Steuerung der Zinskurve. Sie kauft Staatsanleihen, die neu auf den Markt kommen. Die Bilanz der Bank of Japan und das Volumen der gekauften Staatsanleihen ist inzwischen größer als die Wirtschaftsleistung des Landes. Die EZB hält dagegen nur 40 % der ausstehenden Staatsanleihen in der Eurozone. Die EZB hat also Spielraum, um mehr zu tun. Aber dies ist politisch sehr schwierig umsetzbar, in Europa sind viele verschiedene Länder beteiligt. Eine weitere Zinssenkung durch die EZB dürfte unserer Einschätzung nach aber wie gesagt nicht das Wirtschaftswachstum ankurbeln. Unsere Sorge ist, welche Optionen die EZB noch hat. Das hängt auch mit der Diskussion um fiskalische Austerität zusammen. Was meinen Sie damit?Wird die europäische Politik weniger stark auf die Kriterien im Maastricht-Vertrag fokussiert sein? Gibt es eine Bewegung weg von einer strengen hin zu einer etwas lockereren Fiskalpolitik? Vielleicht nicht formal, sondern informell? Indem die Maastricht-Kriterien nicht verändert werden, aber diese Regeln flexibler interpretiert werden? Ich denke, in diese Richtung könnte es gehen. Da sind die Regierungen der großen EU-Mitgliedsländer entscheidend.Richtig, und besonders die Regierung in Berlin, die als die strikteste betrachtet wird, was das Einhalten von Verschuldungsregeln betrifft. Falls die deutsche Regierung weiter zurückhaltend bliebe, was die Aufweichung der Verschuldungsregeln anbelangt, müsste die EZB neue geldpolitische Instrumente erwägen, mit denen sie glaubt, das Wachstum ankurbeln zu können?Es ist ein ziemlich schwieriger Job für die EZB, da werden politische Aufgaben auf die Zentralbank verschoben. EZB-Chef Mario Draghi hat bereits erklärt, dass die Regierungen sich darum bemühen sollten, fiskalpolitische Konsequenzen zu ziehen. Wer auch immer auf Draghi an der Spitze der EZB folgen wird, findet sich in einer schwierigen Position wieder, da er sich dann mit Themen auseinandersetzen muss, um die sich eigentlich die Politik kümmern müsste. Wird die EZB in eine Situation geraten, wo sie gezwungen sein wird, etwas zu tun?Ihre Hoffnung dürfte sein, dass es nicht dazu kommt. Aber als Draghi im August 2012 gesagt hat, dass die EZB alles tun würde, was auch immer es koste, kam dies am Markt gut an. Die EZB ist dazu in der Lage. Die Märkte könnten durchaus testen, ob ein neuer EZB-Chef und der EZB-Rat dasselbe Bekenntnis noch einmal abgeben würden und in welchem Umfang und wie willens die EZB sein wird, flexibel und kreativ in ihrer Politik zu sein. Um damit sicherzustellen, dass es nicht zu Brüchen in der Eurozone kommt. Wie viel von dieser Bürde wird bei der EZB liegen, und wie viel bei der Politik? Darin wird die Herausforderung der nächsten zwei bis drei Jahre liegen. Wird sich die Dynamik in der deutschen Regierung verändern? Wir wissen die Antwort nicht. Die EZB wird sicher tun, was sie kann, um die Eurozone zusammenzuhalten. Angenommen, ansonsten ändert sich nichts – kann es sein, dass das Inflationsziel, dass die EZB ausgegeben hat, angesichts der veränderten Geldpolitik der Bank of Japan und der Fed eines Tages obsolet wird?Das ist möglich. Die US-Notenbank Fed hat ein duales Mandat, das auf Wachstum und Inflation achtet, die EZB hat ein einzelnes Mandat, wie auch die Bank of Japan, allerdings gibt es in Japan eine größere Einflussnahme durch die Regierung. Die EZB ist eindeutig ziemlich unabhängig von politischem Einfluss. Aber das Inflationsziel könnte als zu hoch betrachtet werden. Ich vermute, dass vielleicht Nuancen für eine veränderte Geldpolitik möglich sind. Solange das Inflationsziel nicht erreicht ist, stellt sich die Frage, wie das Rahmenwerk aussehen könnte, um es überhaupt zu erreichen. Dürfte eine Abschwächung des Wirtschaftswachstums in den USA die europäische Wirtschaft in eine Rezession ziehen?Das Wachstum in Europa befindet sich in der Nähe des Trends. Es gibt eine Reihe an Dingen, die das Wachstum in Europa in Schieflage bringen könnten. Es ist mit 1 % niedrig, also gibt es wenig Puffer, bevor die Wirtschaft in eine technische Rezession fällt. Isoliert betrachtet ist aber anzunehmen, dass es dazu einen Schock brauchen würde. Etwa eine deutliche Aufwertung des Euro – was unwahrscheinlich ist. Wir halten auch eine Rezession in den USA, die das Wachstum in Europa zum Erliegen bringen würde, für sehr unwahrscheinlich. Sicherlich nicht in diesem Jahr, vermutlich auch nicht 2020 – nicht zu vergessen ist auch, dass 2020 ein Wahljahr in den USA ist. So ist eine Rezession eher 2021 möglich. Die Risiken sehen wir eher in einer Eskalation des Handelskonflikts zwischen den USA und Europa, etwa was die Automobilzölle anbelangt, über die bis spätestens Mitte November von Trump entschieden werden soll. Das könnte bedeutende Wachstumseffekte haben. Auch ein Ölpreisschock ist denkbar. Zudem könnte eine Abschwächung des Wachstums in China ein Faktor sein, allerdings halten wir dies mit Blick auf die jüngsten Wachstumszahlen für eher unwahrscheinlich. Die wahrscheinlichsten Gründe für eine europäische Abschwächung dürften extern sein. Ist eine Eskalation des Handelskonflikts mit Europa in den Märkten vorweggenommen?Ich denke nicht. Mit Blick auf die Verhandlungen zwischen den USA und China nimmt der Markt eine weichere Haltung der chinesischen Seite wahr. So dürften die Investoren auch davon ausgehen, dass es zwischen den USA und Europa nicht zu einer aggressiven Auseinandersetzung kommt. Das wird an den Märkten derzeit nicht antizipiert. Es würde sich nur um eine Phase erhöhter Marktvolatilität handeln und nicht zu strukturellen Problemen für die europäische Wirtschaft in gewissen Sektoren führen?Die Volatilität wird dann steigen. Derzeit ist sie sehr niedrig. In einigen Assetklassen liegt sie implizit sogar unter dem Tief von 2014. Warum? Das liegt daran, dass das Wirtschaftswachstum keine große Volatilität zeigt – es entwickelt sich ordentlich. Auch die Zentralbanken sind in ihrer Geldpolitik zurückhaltend. Sie haben den Fuß zumindest etwas auf das Gaspedal gesetzt. Risikoreiche Assets entwickeln sich in einem Umfeld mit vernünftigem Wachstum und ohne straffere Notenbankpolitik ziemlich gut. Als Resultat fällt die Volatilität. Was hat es mit möglichen langfristigen Auswirkungen einer Eskalation des Handelskonflikts zwischen den USA und Europa auf sich?Längerfristige Handelskonflikte schaden im Allgemeinen beiden Parteien, so dass es in ihrem beiderseitigen Interesse liegt, eine geeignete Lösung zu finden. Das ist auch meistens der Fall. Kurzfristig, möglicherweise über einen Zeitraum von zwei bis drei Jahren, besteht jedoch das reale Risiko, dass die USA Zölle erheben, und Europa seinerseits Maßnahmen ergreift. Das würde beiden Seiten wirtschaftlichen Schaden zufügen. Wenn sich aber Gewinner und Verlierer eines Konflikts zeigen und der politische Druck im eigenen Land zu stark wird, bringt das die Parteien in der Regel wieder an den Verhandlungstisch. Eine kurzfristige Eskalation des Handelskonflikts bleibt eines der Hauptrisiken für die Beziehung zwischen den USA und Europa, das möglicherweise das Wachstum auf beiden Seiten des Atlantiks beeinträchtigt, wobei das Ausmaß von der Höhe und dem Umfang der Zölle abhängt. Was impliziert die Haltung der Fed, mehr Inflation zu tolerieren, für einige Assetklassen?Typischerweise reagiert der Markt für Staatsanleihen am empfindlichsten auf die Möglichkeit, dass die Inflation auf einem höheren Niveau liegen darf. Allerdings hat der amerikanische Anleihemarkt kaum reagiert. Das könnte daran liegen, dass nach wie vor der Eindruck herrscht, die Inflation steigt nicht. Solange das der Fall ist, ist der Bondmarkt recht entspannt. Investoren sagen sich, wir haben Wachstum und niedrige Arbeitslosigkeit, warum sollte die Fed etwas tun, oder sogar die Zinsen senken? Der Markt geht implizit von einer Zinssenkung in diesem Jahr und einer weiteren innerhalb von zwei Jahren aus. Das ist wiederum günstig für Risikoaktiva im Allgemeinen, sei es für Unternehmens- oder Schwellenmarktanleihen. Die Blasenbildung im Bondmarkt scheint kein Thema mehr zu sein, weshalb nicht?Solange es kaum Inflation gibt, ist es schwierig, zu argumentieren, dass es eine Blase im Bondmarkt gibt. Es sieht nicht danach aus, dass die Inflation anzieht. Der Konsumdeflator, und auch die Wachstumsdaten oder die Güterpreisentwicklung deuten nicht darauf hin. Es müsste erst eine höhere Inflation geben, bis der Bondmarkt in Gefahr gerät. In Bezug auf das weltweite Wirtschaftswachstum dürfte auch in den kommenden Jahren Asien-Pazifik und vielleicht Afrika vorne liegen. Was bedeutet das für die Asset Allocation?Die Schwellenländerwirtschaften werden sicher stärker wachsen. Wir sind bezüglich China ziemlich zuversichtlich. Auch die Entwicklung in Indien sieht relativ stabil aus. Wir beobachten zudem in einigen Ländern in Afrika ordentliches Wachstum. Die dortige Bevölkerungszahl steigt und es ist durchaus möglich, dass die Wirtschaftsexpansion über dem Trend liegen könnte. Damit ist das Potenzial insgesamt hoch, dass das künftige Weltwachstum aus dieser Region kommt. Aus der Perspektive ist Afrika ein besserer Ort als Europa, das gilt aber nicht unbedingt für eine Geldanlage. Was raten Sie einem europäischen Investor, sagen wir einem Pensionsfonds, der einen längerfristigen Anlagehorizont hat?Dieser Investor wird länger laufende Euro-Verbindlichkeiten haben. Eine Diversifikation macht Sinn, auch in Schwellenländer-Assets. Die Kosten für die Währungsabsicherung sind jedoch ziemlich hoch, dadurch wird ein Teil der Zusatzrendite aufgefressen. Uns gefallen hochverzinsliche Anleihen in Schwellenländern, wo es höhere Erträge gibt. Aber diese Allokation muss auch risikogewichtet sein, da das Risikoprofil höher ist. Wir würden deshalb Assets in geringen Mengen in Schwellenländern und Hochzinsanleihen halten. Die Bereiche Information und Datenwissenschaften sowie Plattformtechnologien sind interessante Anlagegebiete. Vorsichtiger sind wir bei konsumnahen Sektoren, wo es eine Disintermediation gibt, etwa im Einzelhandel. Bei den Schwellenländern würden wir Lateinamerika wie Brasilien, Argentinien, Mexiko, gegenüber Asien bevorzugen. Die Bewertung ist hier ausschlaggebend. Auch ist Asien stark von Chinas Wachstum abhängig. Osteuropa bietet hingegen aus unserer Sicht relative Wertmöglichkeiten, aber wir bevorzugen hier keine einzelnen Länder.—-Das Interview führte Dietegen Müller.