Märkte von Lagarde und Co. ferngesteuert
Die positiven Daten der Einkaufsmanager-Umfrage sollten nicht darüber hinwegtäuschen, dass das öffentliche Leben und damit die wirtschaftliche Aktivität in Deutschland derzeit wieder auf ein reduziertes Maß gestutzt werden. Andere Länder Kerneuropas gehen einen ähnlichen Weg. Das Winterhalbjahr 2020/2021 wird wohl bestenfalls eine stagnierende Wirtschaftsleistung mit sich bringen. Wenig Planungssicherheit gibt es für die europäischen Unternehmen auch bei den Handelsbeziehungen nach Großbritannien. Selbst wenige Tage vor Ablauf der Übergangsfrist konnten sich die EU und Großbritannien noch nicht auf irgendeine Entscheidung verständigen. Keine Seite möchte offenbar den Schwarzen Peter für sich reklamieren, am Ende für den Abbruch der Verhandlungen verantwortlich gewesen zu sein. Ebenso wenig ausgeprägt ist die Bereitschaft, frühzeitig nachzugeben und als politischer Verlierer dazustehen. Stoische RuheDennoch reagieren die Kapitalmärkte äußerst gelassen. Mit fast schon stoischer Ruhe bewegen sich die führenden Aktienindizes innerhalb einer engen, aufwärtsgerichteten Bandbreite dem Jahresende entgegen, während die Risikoaufschläge von Unternehmensanleihen und die Verzinsung von Staatsanleihen der Euro-Peripherie täglich geringer werden.Dass die Verhandlungen zwischen Großbritannien und der EU bis zur allerletzten Minute andauern werden – damit konnte gerechnet werden. Am Ende könnte es noch immer für eine Minimalvereinbarung reichen, aber auch das No-Deal-Szenario hat an Schrecken verloren. Die erneuten verschärften wirtschaftlichen Einschränkungen in Deutschland und Kerneuropa waren so bis vor wenigen Wochen aber noch nicht in den Drehbüchern der meisten Kapitalmarktakteure enthalten. Dennoch kam es bislang zu keiner Neuorientierung in den Anlageportfolien. Der Cocktail aus Impfstoffhoffnungen und Vertrauen auf Notenbankliquidität und expansive Fiskalpolitik wirkt weiter. Lagarde & Co. haben offensichtlich die Fernsteuerung an den Kapitalmärkten übernommen. Die im Rahmen der jüngsten EZB-Sitzung gewählte Zielvorgabe, dass günstige Finanzierungsbedingungen auch weiterhin durch die EZB sichergestellt werden sollen, wirkt als Rückversicherung für risikoorientierte Anleger. Verstärkt durch die Schutzschirmmentalität der Finanzpolitiker scheint selbst die Stimmung der Unternehmen dadurch positiv beeinflusst zu sein.Die Schere zwischen Marktbewertung einerseits und auf Basis fundamentaler Entwicklungen abgeleiteter “fairer” Niveaus geht dadurch aber noch weiter auseinander. Das gilt für Unternehmensanleihen, wo enge Spreads kaum mehr als das inhärente Ausfallrisiko kompensieren, dies gilt aber auch im Aktienbereich. Der Anteil der Investoren, der dabei ein Grummeln in der Magengegend verspürt, dürfte zunehmen. Die Allokation und Ausrichtung der Portfolien zugunsten von mit positiven Ertragsaussichten versehenen Anlagen bleibt dennoch bestehen. Rotation in ZyklikerDennoch macht es Sinn, die Portfolien zu durchforsten und unter der Oberfläche Anpassungen vorzunehmen. Zwischen Regionen und Währungsräumen, zwischen Sektoren, Faktoren und Stilattributen der Einzelwerte sind die Bewertungsunterschiede erheblich. Selbst wenn von der gigantischen Tech-Rally des laufenden Jahres abstrahiert wird, ist die Differenzierung zwischen den einzelnen Marktsegmenten massiv – und die Voraussetzungen sprechen für eine Fortsetzung der zuletzt begonnenen Sektorrotation zugunsten zyklischer Sektoren. Die Gewinnaussichten für die nächsten 24 Monate gehen zwischen den Sektoren stark auseinander. Während die Erwartung unter den Analysten zementiert ist, dass einige Branchen gestärkt aus der Corona-Pandemie hervorgehen werden (z. B. Technology), sind andere Bereiche, bspw. der Automobilsektor, durch eine zyklische Erholung der Gewinne charakterisiert. Hier dürften auch die Einsparungen und Investitionskürzungen der letzten 24 Monate ihre Früchte abwerfen.Zwar sind die Weichen gestellt, für eine weitere Wertaufholung der “old Economy”, die Chancen für positive Überraschungen liegen aber unseres Erachtens eher woanders. Unseres Erachtens werden aber wohl insbesondere die Unternehmen den vollen Schwung der zyklischen Erholung nutzen können, die gleichzeitig auch die langfristig kaum weniger relevanten Aspekte des Klimawandels und des Übergangs zu einer CO2-ärmeren Wirtschaft bedienen können. Sich transformierende Unternehmen könnten also im kommenden Jahr die großen Gewinner am Kapitalmarkt sein, denn der Trend zu verstärkt auf Nachhaltigkeit achtenden Konsumenten und Investoren hält ungebrochen an bzw. wird sich durch die regulatorischen Veränderungen im kommenden Jahr weiter beschleunigen. Klimaziele im FokusIn diesem Zusammenhang lohnt es, den Blick zu weiten und von fundamentalen Bewertungskennziffern zur nichtfinanziellen Berichterstattung zu schwenken. Die Zahl der Unternehmen, die sich klimabezogene Ziele setzen und den Pfad zur Zielerreichung auf Basis wissenschaftlich fundierter Modelle nachweisen können, wächst stetig. In Europa kamen dieses Jahr quer durch die Sektorlandschaft rund zwei Dutzend Unternehmen hinzu, die im Euro Stoxx 300 gelistet sind und sich der “Science based Targets Initiative” angeschlossen haben. Ein gleichgewichtetes Portfolio dieser Unternehmen hätte seit Ende Juli mehr als 4 % Outperformance gegenüber dem breiten Aktienmarkt erwirtschaftet. Neben grundsätzlich gestützten Aktienmärkten infolge der Geldpolitik dürfte sich auch dieser Trend, dank regulatorischer Rahmenbedingungen und wachsendem Klimabewusstsein der Investoren im kommenden Jahr, fortsetzen. Bernhard Grünäugl, Leiter Investment Strategy und ESG Research, BayernInvest