Megatrends geben auf Agrarmärkten die Richtung vor
Auf der nördlichen Halbkugel sind die Ernten von Getreide und Ölsaaten mittlerweile eingebracht, während auf der südlichen die Aussaat läuft. Halbzeit also im Getreidewirtschaftsjahr 2015/16 (Juli/Juni), anlässlich der sich ein Blick auf die Entwicklung der Märkte und Preise lohnt.Für die Marktteilnehmer sind die monatlichen Schätzungen des Landwirtschaftsministeriums der USA (USDA) der wichtigste Indikator für die weitere Marktentwicklung. Mitte September 2015 schätzte das USDA die weltweite Getreideerzeugung (ohne Reis) im Wirtschaftsjahr 2015/16 auf rund 2 Milliarden Tonnen. Damit bliebe die Produktion nur unwesentlich unter dem Rekord des Vorjahres. Überwiegend gute ErntenAufgrund hervorragender Witterungs- und Wachstumsbedingungen in allen wichtigen Erzeugungsländern konnten in den letzten drei Jahren überwiegend sehr gute Ernten verzeichnet werden, auch wenn es immer wieder regionale Unterschiede gab. Dies führte zu entsprechendem Bestandsaufbau mit der Konsequenz, dass weltweit zur Versorgung der Weltbevölkerung mehr als ausreichend Getreide zur Verfügung steht. Als Indikator hierfür gilt die Relation der Bestände zum erwarteten Verbrauch. Dieses Verhältnis liegt zurzeit bei rund 22 % und damit nicht nur auf Vorjahresniveau, sondern erneut deutlich oberhalb der für die Vermeidung von Versorgungsengpässen, insbesondere in den Entwicklungs- und Schwellenländern, als kritisch angesehenen Grenze von 18 bis 20 %. Bei den Ölsaaten wie Raps oder Sojabohnen zeigt sich eine ähnliche Situation. Hier wird die Erzeugung 2015/16 vom USDA aktuell auf 530 Millionen Tonnen geschätzt, ebenfalls nur leicht unter dem Rekordergebnis aus dem Vorjahr. Die Relation der Bestände zum Verbrauch bliebe danach mit 21,5 % unverändert und ließe keine Versorgungsschwierigkeiten erwarten.Bis zum Frühjahr 2015 hatten die Getreidemärkte auf die guten Ernteaussichten und die ausreichende Versorgung zunächst mit merklichen Preisrückgängen reagiert. Beispielsweise fielen die Notierungen für Weizen an der Warenterminbörse MATIF (Euronext) in Paris von Januar bis Mitte Mai 2015 um knapp 15 % auf das niedrigste Niveau seit fast einem Jahr. Neben der Aussicht auf gute Ernten haben das Ausmaß dieses Preisrückgangs sicher auch eine Reihe anderer Faktoren wesentlich mitbestimmt. Ein solcher Faktor ist das Anlageverhalten der institutionellen Anleger: Die Investoren der Agrarrohstoffmärkte waren bis Mitte Mai offensichtlich davon ausgegangen, dass die diesjährigen Ernten in Nordamerika und Europa wie in den beiden Vorjahren erneut überdurchschnittlich ausfallen. Entsprechend haben sie weiter fallende Preise erwartet und Rekord-Short-Positionen sowohl bei Getreide als auch bei Ölsaaten aufgebaut. Veränderte StimmungEnde Mai mehrten sich dann die Stimmen, die vor zu hohen Erwartungen an die neue Ernte warnten, so dass sich die Stimmung im Markt schlagartig veränderte und die Investoren sehr kurzfristig ihre Short-Positionen in erheblichem Ausmaß in Long-Positionen drehten. Die Preise zogen daraufhin kräftig an und lagen Anfang Juli an der MATIF für Weizen wieder über 200 Euro/t und damit um 25 Euro/t bzw. 15 % über den Notierungen von Mitte Mai. Bereits mit der Veröffentlichung der August-Schätzung des USDA wurde dann aber das vorläufige Ende der “bullishen Märkte” eingeleitet. Hintergrund war, dass die Ertragsausfälle in Nordamerika und Europa höchstwahrscheinlich kleiner als erwartet ausfallen werden und deshalb von einer guten Versorgungslage im Wirtschaftsjahr 2015/16 auszugehen ist. Die Investoren haben ihre Long-Positionen als Reaktion hierauf schnell wieder deutlich verringert, so dass die Preise Ende August wieder auf das Niveau von Anfang Mai fielen. 2015 zeigt die VolatilitätDie Entwicklung in 2015 zeigt einmal mehr die Volatilität dieser Märkte. Neben Wetter, Ertragsaussichten und Anlageverhalten der Investoren bringen aber auch immer wieder makroökonomische und politische Entwicklungen Bewegung in die Märkte für Agrarrohstoffe. Wie in anderen Rohstoffmärkten auch ist hier vor allem die Entwicklung der Devisenkurse zu nennen. Der wieder erstarkte US-Dollar hat den Preisdruck an den Warenterminbörsen in den USA erhöht, da ansonsten die Wettbewerbsfähigkeit der USA im Export gefährdet wäre.Die Stärke des US-Dollar hat in den letzten Monaten dennoch zu deutlichen Verschiebungen der Warenströme geführt: Während beispielsweise Brasilien die Exporte von Mais zulasten der USA kräftig ausweiten konnte, nahm die EU den USA Marktanteile bei Weizen ab. Von der letztgenannten Entwicklung konnte übrigens auch die BayWa profitieren. Noch schwer abzuschätzenAugenblicklich noch schwer abzuschätzen sind die Auswirkungen der kräftigen Abwertung des chinesischen Yuan und die damit einhergehende Verteuerung von Importen. Während es deshalb möglicherweise zu einem signifikanten Rückgang der chinesischen Einfuhren von Kohle oder Eisenerz mit den entsprechenden Preisrückgängen auf dem Weltmarkt kommen könnte, gehen wir bei den Agrarrohstoffen von einer eher moderaten Reaktion aus. Die Nachfragesteigerung nach höherwertigen Lebensmitteln wie Milch und Fleisch ging in den letzten Jahren insbesondere von der chinesischen Mittelschicht aus, deren Einkommen es mittlerweile erlaubt, sich im Hinblick auf den Kauf von Nahrungsmitteln weniger preissensibel zu verhalten.Blicken wir auf die mögliche weitere Entwicklung in 2015, so ist mit einer Bodenbildung bei den Preisen für Getreide und Ölsaaten zu rechnen, da zum einen die Erträge bei Mais und Sojabohnen in den USA wohl doch nicht so gut ausfallen werden wie vom USDA in der September-Schätzung erwartet. Zum anderen wird das Wetterphänomen “El Niño” im letzten Quartal 2015 und über den Jahreswechsel hinaus möglicherweise zu Trockenheit in Australien und Teilen Asiens und damit zu kleineren Ernten führen, so dass es ab Anfang 2016 zu einer engeren Versorgungsbilanz mit entsprechenden Preissteigerungen kommen könnte. Zwei EntwicklungssträngeMittel- und längerfristig geben unverändert die “Megatrends” auf den Agrarmärkten die Richtung vor: 2050 müssen laut den Vereinten Nationen mindestens 10 Milliarden Menschen ernährt werden. Gleichzeitig setzt sich mit steigenden verfügbaren Einkommen in Entwicklungs- und Schwellenländern die Veränderung der Verbrauchsgewohnheiten fort. Um alle Menschen ausreichend ernähren zu können, ist deshalb bis 2050 eine Steigerung der Erzeugung von Nahrungsmitteln um mindestens 70 % notwendig, so schätzen Experten. Dies kann nur im Rahmen einer Agrar- und Ernährungswirtschaft, die gegenüber modernen Technologien und weiteren Produktivitätssteigerungen positiv eingestellt ist, erreicht werden.In diesem Kontext werden sich meiner Einschätzung nach zwei Entwicklungsstränge verstärken. Zum einen werden die im Agrarhandel tätigen Unternehmen wie die BayWa langfristig ihre Absatz- und Beschaffungsmärkte durch Internationalisierungsstrategien absichern und gleichzeitig durch die damit verbundene Diversifizierung versuchen, sich von globalen wirtschaftspolitischen Entwicklungen unabhängiger zu machen. Herausforderungen begegnenZum anderen werden die großen Agrarhandelsunternehmen in die Digitalisierung investieren: Smart Farming und damit langfristig die Vernetzung des landwirtschaftlichen Betriebs wird diesen Handels- und Dienstleistungsunternehmen nicht nur neue Märkte in den heutigen Entwicklungs- und Schwellenländern eröffnen, sondern dort dafür sorgen, dass in diesen Ländern Agrarwirtschaft zukünftig wesentlich intensiver, effizienter und nachhaltiger betrieben werden kann als bisher: Agrar 4.0 wird also eine wesentliche Antwort auf die Frage sein, wie den geschilderten Herausforderungen zur ausreichenden Ernährung der Weltbevölkerung begegnet werden soll!—Klaus Josef Lutz, Vorstandsvorsitzender der BayWa AG