Mid und Small Caps ziehen bei ESG nach
Die Berücksichtigung von Nachhaltigkeitskriterien bei Anlageentscheidungen ist keine junge Disziplin. Der erste Fonds mit einem solchen Themenschwerpunkt wurde bereits 1928 aufgelegt. In den 1960er Jahren wurde Nachhaltigkeit erstmals systematisch in Investitionsentscheidungen berücksichtigt.Seit rund fünf Jahren durchläuft die Branche eine dynamische Wandlung. Begünstigt durch einen rasanten Anstieg in der Nachfrage nach Anlageprodukten, die Umwelt, Soziales und gute Unternehmensführung (ESG: Environmental, Social, Governance) als Leitplanken für ihre Investitionsentscheidungen berücksichtigen, haben sich die Anforderungen in der Auswahl von Aktien und Anleihen innerhalb dieses Segments deutlich erhöht. Integration auf dem VormarschWaren es vor zehn Jahren hauptsächlich Ausschlusskriterien (insbesondere Waffen, Drogen, Pornografie), die – je nach Assetmanager – zu unterschiedlichen Universen investierbarer Unternehmen geführt haben, gewinnen in jüngster Zeit integrative Ansätze an Stellenwert.Mit ESG-Integration wird dabei der systematische Prozess der Einbeziehung von ESG-Kriterien in die Risikoanalyse eines Wertpapiers beschrieben. Der für die Anlage verantwortliche Portfoliomanager soll damit bei seiner Einschätzung der finanziellen (Langzeit-)Auswirkungen von Veränderungen ESG-relevanter Daten unterstützt werden, ohne dass sein Anlageuniversum im Vorhinein eingeschränkt wird.Daten des European Sustainability Investment Forum (Eurosif) belegen, dass der Markt für nach ESG-Kriterien verwaltete Vermögen in Europa in den letzten zehn Jahren mit durchschnittlich über 20 % pro Jahr gewachsen ist. Anfänglich wuchsen Anlagestrategien auf Basis von Normen und Ausschlusslisten am schnellsten, absolut nehmen sie auch heute noch den größten Volumenanteil in diesem Segment ein. In jüngster Vergangenheit ist der Mittelzufluss in Produkte, die auf ESG-Integration basieren, deutlich dynamischer gewachsen. Für den Zeitraum zwischen 2016 und 2018 errechnet Eurosif hier ein Wachstum von 60 %. Es ist zu erwarten, dass der Marktanteil derartiger Produkte in Europa von derzeit rund 40 % weiter auf einen Marktanteil ähnlich wie in Nordamerika ansteigt. Dort liegt er bereits bei über 50 %.Parallel zu dieser Entwicklung nimmt laut einer jüngsten Studie des Internationalen Währungsfonds die Zahl an Fonds mit ESG-Schwerpunkt zu, die besser abschneiden als vergleichbare klassische Portfolien. Und jene, die sich “nur” ähnlich entwickeln, weisen zumindest eine geringere Volatilität auf. Ihre Sharpe Ratio als Risikomaß ist also vergleichsweise vorteilhaft. Allein dies rechtfertigt in den Augen der Buy Side den Aufwand und lässt erwarten, dass Integration von ESG-Kriterien in Zukunft noch wichtiger wird. Mit der Nachfrage auf Anlegerseite steigen auch die Anforderungen an die Analyse der Unternehmensreportings. Während nichtfinanzielle Berichte noch vor wenigen Jahren üblicherweise aus einigen eher deskriptiven Seiten im Geschäftsbericht bestanden, sind daraus bei den Unternehmen des Dax 30 und einigen großen MDax-Titeln eigenständige Nachhaltigkeitsberichte mit mehr oder weniger umfassenden quantitativen ESG-Informationen erwachsen. Für sie wirkt sich das schon heute positiv auf die Kapitalkosten aus. Informationen noch heterogenIn der Breite des Marktes unterhalb des Dax sind Umfang und Gehalt der veröffentlichten ESG-relevanten Informationen derzeit noch sehr heterogen. In der Regel gilt die Faustformel, dass der Informationsgehalt mit fallender Marktkapitalisierung deutlich abnimmt. Die Analyse zu Berichterstattungen von ESG-Daten durch Unternehmen des TecDax, SDax und darunter deutet darauf hin, dass die relevanten Daten in diesen Segmenten bisher kaum oder gar nicht erhoben wurden – aber das ändert sich aktuell. Aufgrund des gestiegenen Drucks seitens der Anleger ist bereits in der diesjährigen Berichtsphase ein deutlicher Fortschritt zu erwarten. WettbewerbsfaktorESG-Kriterien werden zunehmend zu Standardparametern im Rahmen der Risikobewertung, auch für Mid und Small Caps. Ihre Nachhaltigkeitsbemühungen werden derzeit von globalen Anbietern von Nachhaltigkeitsdaten aber nur punktuell umfassend analysiert und abgebildet. Hier können lokale Broker ihre Nähe zu den kleineren Unternehmen nutzen. Der Auf- und Ausbau der unternehmensspezifischen relevanten Daten und eine kontextuale Einordnung können sich damit zu einem wichtigen Wettbewerbsfaktor für sie entwickeln – und Investoren dabei unterstützen, attraktive nachhaltige Anlagen in Small und Mid Caps zu identifizieren. Zuletzt erschienen: Realistischer Blick auf nachhaltiges Investieren nötig (109), DWS Coronavirus eine Bedrohung für die Weltwirtschaft (108), M.M. Warburg Die US-Wahlen dürften für Volatilität an den Märkten sorgen (107), Berenberg Bank Volker Braun, Stellvertretender Leiter Research beim Bankhaus Lampe