IM INTERVIEW: BERT FLOSSBACH, FVS

"Mit 20 Prozent Gold fühlen wir uns wohl"

Vermögensverwalter setzt in der Coronakrise auf liquide Sachwerte - Warum massiv steigende Schulden keine Angst machen

"Mit 20 Prozent Gold fühlen wir uns wohl"

Die Coronakrise wirkt für Bert Flossbach wie ein Beschleuniger bestehender Trends in vielen Bereichen wie Staatsverschuldung und Digitalisierung. Der Kölner Vermögensverwalter FvS setzt weiterhin auf liquide Sachwerte und hat den Anteil von Gold im Portfolio mittlerweile auf 20 Prozent aufgestockt. Herr Flossbach, Sie liegen mit Ihrem Flaggschiff-Fonds vergleichsweise gut. Den maximalen Verlust von 15 % haben Sie zum größeren Teil wieder aufgeholt. Wie hat die Coronakrise Ihr Weltbild verändert?Corona wirkt als Beschleuniger in vielen Bereichen. Nehmen wir die Verschuldung der Staaten, die jetzt viel schneller steigt als ursprünglich erwartet. Aber der Trend war schon da. Damit ist allerdings auch klar, dass das Tiefzinsniveau zementiert bleibt. Vor anderthalb Jahren schien für viele die Zinswende noch eine ausgemachte Sache. Es war einfach nicht vorstellbar, dass die Zinsen ewig niedrig bleiben. Das ist seit dieser Krise anders. Machen Ihnen die steigenden Schulden keine Angst?Nein. Bei Nullzinsen müssen auch Staaten keine Zinsen zahlen. Unterm Strich steigt damit die Schuldentragfähigkeit ad infinitum. In Deutschland ist es sogar so, dass zusätzliche Schulden zusätzliche Erträge bringen. Damit kann man letztlich alles finanzieren. Das mag für Deutschland gelten, aber in den USA liegen die Renditen für zehnjährige Treasuries mit 0,7 % noch über der Null.Für Amerikaner ist die unbegrenzte Verschuldung noch eine unvorstellbare Situation. Aber in der Praxis sieht es dort anders aus. Man muss bedenken, dass die Rettungsprogramme in den USA weit ausgeprägter sind als in Europa. Wenn eine All-in-Fiskalpolitik durch eine All-in-Geldpolitik begleitet wird, ermöglicht das eine extrem hohe Verschuldung. Länder mit eigener Währung wie die USA haben enorme Möglichkeiten. Bestes Beispiel ist Japan, das seit Jahren eine Schuldenquote von über 200 % des BIP hat. Und, stört das jemanden? Eine eigene Währung trifft bei der Eurozone nicht zu. Sie sind ja ohnehin ein Skeptiker der Gemeinschaftswährung. Wird aus der Coronakrise eine neue Eurokrise?Der Vorzug von Nullzinsen trifft nur auf einen Teil der Länder zu, nicht aber auf das höchstverschuldete Land Italien. Wenn die Schere weiter auseinander geht, wird das zum Problem. Ich habe immer gesagt, auf Dauer ist das mit dem Euro schwierig, das sind keine optimalen Voraussetzungen für eine Währungsunion. Keine gemeinsame Fiskalpolitik, eine starke Heterogenität und vieles mehr. Eigentlich kann das nicht klappen, aber es ist erstaunlich, wie lange das dann doch funktioniert. Wer weiß, ob wir den Euro nicht auch in 20 Jahren noch haben. Also, haben wir den Euro in 20 Jahren noch oder nicht?Die Verschuldung von Italien geht in Richtung 160 Prozent, das Land verträgt keine normalen Zinsen von 3 bis 4 % mehr. Wenn der Euro Bestand haben soll, dann müssen die Zinsen immer tief bleiben. Dann müssen Regeln fallen, zum Beispiel der Kapitalschlüssel der EZB. Wenn wir daran festhalten würden, dann gäbe es nicht genügend Käufer für italienische Staatsanleihen. Wir wissen alle, was dann passiert. Die Pandemie ist ein willkommener Anlass, einige Dinge über Bord zu werfen. Haben die vergangenen Wochen die Arbeit als Portfoliomanager verändert?Nein. Wir stellen uns nicht die Frage, wie wird der Dax im nächsten Monat laufen. Uns ging und geht es immer um eine langfristige Strategie, um das Investieren in Anlagen, deren Chance-Risiko-Profil attraktiv erscheint. In einem Umfeld ohne Zinsen liegt unser Fokus auf erstklassigen liquiden Sachwerten. Also allen voran Aktien und Gold – das gilt trotz oder gerade wegen Corona. Eine Anlage in Gold mag etwas tumb erscheinen, unproduktiv und als Investment wenig charmant, doch am Ende des Tages ist Gold ein wichtiger Sicherheitsanker. Eine Versicherung gegen die Risiken des Finanzsystems. Was ist zurzeit der beste Anteil für Gold?Mit 20 % Gold fühlen wir uns wohl – 14 % als Gold-ETFs und 6 % als Minenaktien. Goldminen profitieren einerseits vom steigenden Goldpreis, doch gleichzeitig haben sich die Unternehmen stark verbessert. Newmont und Barrick beispielsweise haben beide im ersten Quartal ordentliche Ergebnisse erzielt, die Bilanzen sind blitzsauber. Die Zeiten einer Nettoverschuldung in Höhe von zweistelligen Milliardenbeträgen sind vorbei. Die beiden Aktien liegen seit Jahresanfang mit fast 50 % im Plus. Gibt es angesichts der dauerhaft niedrigen Zinsen am Bondmarkt noch Opportunitäten?Aufgegeben haben wir die Assetklasse nicht. Wir haben mittlerweile einen 2,6 Mrd Euro großen Bonds Opportunities Fund. Anleihen sind wichtig, weil viele Investoren, beispielsweise Versicherungen, in Bonds investieren müssen. Geld wird man aber nur verdienen, wenn man zum Beispiel heute den italienischen Markt kauft und morgen unter Umständen short geht, man also sehr aktiv ist. Chancen bieten auch die Emissionen vieler US-Unternehmen. Aber: Buy and Hold wird bei Bonds nicht mehr funktionieren. Ihr Favorit sind weiterhin Aktien. In diesem Segment bewegen Dividendenstreichungen die Anleger. Welche Rolle spielt die Dividende bei der Aktienauswahl?Die Dividende ist nie der primäre Grund, eine Aktie zu kaufen. Sie ist eine Form der Mittelverwendung und kann disziplinierend wirken. Eine Dividende kürzt man nicht mal eben. Aber es gibt viele Firmen, die prosperieren und keine Dividende zahlen. Kritisch sehe ich manche der sogenannten Dividendenaristokraten, die auf Teufel komm raus um 0,5 Cent erhöhen, obwohl die Dividende vielleicht nicht erwirtschaftet wird. In den Top Ten Ihres Flaggschiff-Fonds scheint vor allem ein Titel zementiert zu sein: Nestlé. Haben Sie eine Vorliebe für defensive Aktien?Was heißt schon defensiv? Es gibt Unternehmen, die gelten seit jeher als defensiv, aber mit der Pandemie passt das nicht mehr, weil das Geschäftsmodell nicht breit genug ist. Defensiv heißt: Nicht nur ein Produkt, nicht nur eine Region. Nehmen wir die Versorger – die waren defensiv, aber in einem Land, mit einem Produkt und in einem regulierten Umfeld tätig; das wurde ihnen nach der Katastrophe von Fukushima zum Verhängnis. Viele Werte unter den Top Ten machen dennoch einen defensiven Eindruck. Eine ganz andere Kategorie sind Facebook, Amazon und Google, bei denen Sie stark investiert sind. Warum?Richtig, da haben wir eine ordentliche Gewichtung mit 17 % des Fonds. Dazu zählen auch E-Gaming-Titel. Im weitesten Sinne ist das Technologie. Amazon etwa ist ja Dank des Cloud-Geschäfts mehr als ein Online-Einzelhändler. Generell gilt, dass das Stay-at-Home-Thema nächstes Jahr nicht vorbei ist. Außerdem haben viele der genannten Firmen gute Bilanzen – auch wenn der Begriff “great balance sheet” inzwischen inflationär verwendet wird. Ich verstehe darunter eine Nettokassenposition oder eine sehr niedrige Verschuldung. Apropos Qualität: Eine Aktie, die den Markt stark bewegt, ist Tesla. Was halten Sie von dem Unternehmen und der Autobranche?Als normaler Investor, der auf KGV schaut, können Sie die Aktie kaum als aussichtsreich ansehen. Natürlich sind das Bewertungsexzesse. Da ist schon sehr viel drin in dem Kurs. Aber Tesla ist auch der ganz große Gewinner dieser Entwicklung, das Produkt ist einzigartig, und keiner der großen Hersteller hat eine nennenswerte Alternative zu bieten. In dem High-End-Bereich ist die Firma fast Monopolist, hat eine extrem starke Marke und keine Altlasten. Wer sich mit den großen Autokonzernen auseinandersetzt, muss feststellen, dass die sehr viele Altlasten wie zum Beispiel alte Technologien und riesengroße Werke haben. Verglichen damit ist Tesla lean und clean – und wird eben wie ein Technologieunternehmen bewertet. Zu teuer?Woher wollen wir wissen, ob die zu teuer ist? Es ist viel eingepreist, aber es kann besser kommen als erwartet. Gutes Beispiel dafür ist Amazon, ein Unternehmen, das immer wieder Innovationen aus dem Hut zaubert. Das wird vielen klassischen Autobauern nicht gelingen; deren Altlasten hängen wie ein Mühlstein um den Hals des Managements. Die aktuelle Krise wird die Probleme für sie verschärfen, da sie Altlasten wie hohe Pensionsversprechen besitzen. Jetzt ist Flexibilität gefragt. Welche Rolle spielen Schwellenländer?Mal mehr, mal weniger. Erwähnen kann man Alibaba. Hier haben wir die Schwäche genutzt, um eine Position aufzubauen. Das Unternehmen profitiert von der Entwicklung, ist liquide und ein Krisengewinner. FvS hat die UNPRI unterzeichnet. Welche Rolle spielen ESG-Kriterien für Sie?ESG ist ein fundamentaler Bestandteil unseres Researchprozesses. Wobei das G bei uns im Vordergrund steht. Weil die Governance alles andere bedingt – das E und das S. Eine schlecht geführte Solarpanel-Firma taugt nichts. Ohne ein gutes G kann man noch so grün sein – es bleibt immer schlecht. Wir definieren Nachhaltigkeit im Sinne des klassischen Begriffs, der aus der Forstwirtschaft stammt und die Langfristigkeit des unternehmerischen Handelns in den Mittelpunkt stellt. Das muss der Kern von ESG sein. Jeder Umweltschützer denkt langfristig. Was halten Sie von externen ESG-Analysen und passiven ESG-Investments?Auch wir beziehen ESG-Research, etwa von MSCI. Aber wir machen unsere eigene Analyse, denn auf externe Analysen können wir uns nicht verlassen. Und wenn Sie das Thema schon ansprechen: ESG und passiv widersprechen sich von A bis Z. Der schlimmste Greenwasher ist für mich Larry Fink, weil BlackRock als größter passiver Investor zwangsläufig auch massiv in jede Skandalbude investiert. Man muss ihm aber das Kompliment machen, sich mit viel Geschick eine grüne Weste überzustreifen und den größten Investor in Kohle, Atomstrom oder Waffen als ESG-Musterschüler zu verkaufen. Was da im ESG-Dschungel betrieben wird, da sträuben sich einem die Nackenhaare. Das Interview führte Wolf Brandes.