GELD ODER BRIEF

Mit dem Erfolg steigt für MTU die Fallhöhe

Von Stefan Kroneck, München Börsen-Zeitung, 3.10.2019 Das, was Airbus aufgrund ihres Hauptaktienhandelsplatzes Paris verwehrt bleibt, ist dem Münchner Zulieferer des Boeing-Rivalen, MTU Aero Engines, gelungen: 13 Jahre nach seinem Debüt auf dem...

Mit dem Erfolg steigt für MTU die Fallhöhe

Von Stefan Kroneck, MünchenDas, was Airbus aufgrund ihres Hauptaktienhandelsplatzes Paris verwehrt bleibt, ist dem Münchner Zulieferer des Boeing-Rivalen, MTU Aero Engines, gelungen: 13 Jahre nach seinem Debüt auf dem Handelsparkett ist Deutschlands größter Flugzeugtriebwerksbauer in die Börsenoberliga der bedeutendsten EU-Volkswirtschaft aufgestiegen. Neben der Lufthansa gehört nun ein zweites Unternehmen der Luftfahrtbranche dem Dax an.Wer die MTU-Aktie im Juli 2006 zu einem Ausgabepreis von 21 Euro je Stück gezeichnet hatte und noch im Depot hält, kann sich über einen hohen Kursgewinn freuen. Seitdem hat sich ihr Wert fast verzwölffacht. Der Titel befindet sich seit Mitte 2016 im Höhenflug. Seit Jahresbeginn beschleunigte sich die Dynamik: Der Anteilschein gewann um die Hälfte an Wert. Zum Vergleich: Der Dax legte im gleichen Zeitraum 18 % zu. Der Nebenwerteindex MDax, dem MTU noch bis zum 20. September angehörte, gewann 19 %. Am Donnerstag notierte die Aktie bei 242 Euro (+ 2 %).Das mit einen Grundkapital von 52 Mill. Euro ausgestattete Unternehmen bringt es auf eine Marktkapitalisierung von 12,5 Mrd. Euro. Damit rangiert MTU unter den 30 deutschen Blue Chips auf Platz 28 vor Covestro (7,9 Mrd. Euro) und der Lufthansa (6,9 Mrd. Euro). Das Grundkapital befindet sich zu 99 % im Streubesitz. Davon machen mit 93 % institutionelle Investoren den Löwenanteil aus. Gut 1 % des Aktienkapitals hält MTU selbst.Der Erfolg von MTU basiert auf dem Boom in der Luftfahrtindus-trie. Die Airlines benötigen immer mehr Flugzeuge, um mit der weltweit steigenden Nachfrage Schritt zu halten. Die Globalisierung beschert der Branche einen Boom. Trotz des Handelskriegs zwischen den USA und China hält dieser an, wenngleich derzeit nicht mehr so schwungvoll wie in den vergangenen Jahren. MTU-Vorstandschef Reiner Winkler spricht von einer “Normalisierung” der Lage. Aus seiner Sicht gibt es keine Anzeichen für eine Branchenkrise. Die Nachfrage wachse um 4 bis 5 % pro Jahr.Sein ungebrochener Optimismus kann als Botschaft gewertet werden, dass das Geschäftsmodell und die Equity Story des Unternehmens intakt bleiben. Erste Zweifel an KursrallyFakt ist: Die Auftragsbücher von Airbus und Boeing sind randvoll. Der europäische Flugzeughersteller aus Toulouse verdient mit seiner Verkaufsschlagerbaureihe A320 gutes Geld. Davon profitiert MTU auch in den kommenden Jahren. Ein Beispiel: Im Rahmen eines Konsortiums unter Führung des US-Herstellers Pratt & Whitney fertigt MTU wichtige Komponenten für die Triebwerke der Mittelstreckenserie des Großabnehmers. Mit einem Auftragsbestand von 18,5 Mrd. Euro ist das Unternehmen mehr als vier Jahre voll ausgelastet. MTU erwirtschaftet vor allem hohe Margen mit dem Wartungs- und Ersatzteilgeschäft. Umsatz und Ergebnis steigen seit Jahren. Im laufenden Berichtsturnus steuert der Konzern neue firmeneigene Rekordwerte an.Das wird von den Investoren honoriert. Die MTU-Führung ist geschickt in der Steuerung von Analystenerwartungen. Es ist eine “Tradition” des Vorstands, zur Vorlage des Halbjahresabschlusses im Sommer seine tendenziell konservativen Jahresprognosen anzuheben. So war es auch Ende Juli nach guten Quartalszahlen. Der erhöhte Ausblick trug dazu bei, dass die Aktie am Tag der Vorlage des Zwischenberichts um 1,6 % zulegte.Mit dem Höhenflug nehmen aber die Zweifel zu, dass sich die Kursdynamik fortsetzt. Manche Analysten stuften ihre Empfehlung zum “Kaufen” auf “Halten” herab. So zum Beispiel HSBC. Die britische Investmentbank hob aber das Kursziel um 7 Euro auf 253 Euro an. Der Anstieg der Gewinnerwartungen des Marktes habe nicht mit den Kursgewinnen schrittgehalten, so HSBC. Insgesamt sei MTU eine außergewöhnliche Wachstumsstory, doch gebe es für den Kurs kaum noch positive Treiber, urteilte die Bank. Ähnlich äußerte sich das Analysehaus Independent Research, welches sogar die Aktie von “Halten” auf “Verkaufen” zurückstufte, das Kursziel aber von 225 auf 249 Euro erhöhte. Die Kursdynamik habe in der Erwartung eines Dax-Aufstiegs in jüngster Vergangenheit noch an Tempo gewonnen. Der Anstieg sei “übertrieben”, meint das Analysehaus. Hohe Kurs-Gewinn-Relation Anfang September erreichte die Aktie ihren Höchststand von 257,20 Euro. Seitdem gab der Titel 6 % nach. Diese Kursentwicklung ist aber “normal” im Vorfeld einer Aufnahme in den Dax. Im vergangenen Jahr war dies bei Wirecard ähnlich. Mit jedem deutlichen Kursplus steigt aber die mögliche Fallhöhe für die Aktie. Der Kurs entspricht fast dem 24-Fachen des für 2019 erwarteten Gewinns je Aktie. Das Papier ist teuer. Zum Vergleich: Der Durchschnitt im Dax beträgt 19.Der Vorstand steht aufgrund des Erfolgs unter Druck. Winkler und seine Mannschaft müssten in der ersten Börsenliga unter Beweis stellen, dass die Kursrally gut fundiert ist. Rückschläge konnte die Branche bislang wegstecken. Deshalb hält der CEO das Risiko für gering, dass Strafzölle von US-Präsident Donald Trump die europäische Luftfahrtindustrie deutlich zurückwerfen könnten. Hält MTU ihren Wachstumskurs und ihre Versprechungen ein, könnte das Unternehmen die Aktionäre bei Laune halten. Mit einem zunehmenden Cash-flow infolge der geschäftlichen Fortschritte stellte die Konzernführung zuletzt weiter steigende Dividenden in Aussicht.Allerdings ist das Unternehmen in Bezug auf die Ausschüttungsquote noch knauserig. Für 2018 schüttete MTU mit 147 (i. V. 118) Mill. Euro gerade mal 30,7 (29,2) % des bereinigten Konzernnettogewinns aus. In einem Interview der Börsen-Zeitung kündigte Finanzvorstand Peter Kameritsch an, die Quote bis an das obere Ende der Zielbandbreite von 30 bis 40 % bei wachsenden Überschüssen sukzessive anzuheben (vgl. BZ vom 15.12.2018). Spielraum für den Rückkauf eigener Aktien bestehe “frühestens” vom kommenden Jahr an.Für Kursfantasie kann MTU unterdessen mit Übernahmespekulationen nicht sorgen. Der Vorstand verzichtet auf große Zukäufe. Zudem ist der Konzern selbst kein Übernahmekandidat. Die Branche der Triebwerkbauer ist ein Oligopol. Angesichts dieser Struktur sind Fusionen in diesem Segment unwahrscheinlich.