Mittel- und Osteuropa entziehen sich der Krise
Von Janis Hübner *)Seit mehr als drei Jahren kämpft Europa gegen die Staatsschuldenkrise. Die mittel- und osteuropäischen Staaten, die erst zwischen 2004 und 2007 der Gemeinschaft beigetreten sind (EU-10), zählen zwar noch immer zu den wirtschaftlich schwächeren Ländern der Union. Doch in dieser Krise spielen sie lediglich eine Nebenrolle. Das liegt zum Teil daran, dass die Schuldenkrise vor allem als Bedrohung für den Bestand der Währungsunion gesehen wird. Und von den EU-10 sind bislang nur die Slowakei, Slowenien und Estland dem Euro beigetreten. Die geringe Aufmerksamkeit liegt auch an der eher überschaubaren Bedeutung dieser Staaten für die Finanzmärkte. Die ausstehende Staatsschuld der EU-10 beträgt lediglich knapp 500 Mrd. Euro, während schon allein Italien auf einen Schuldenstand von mehr als 2 000 Mrd. Euro kommt. Erfolgreiche AnpassungDie EU-10 haben es vergleichsweise schnell geschafft, die Krise, in die nach der Lehman-Pleite auch Osteuropa gerutscht ist, zumindest beherrschbar zu halten. Zu einer Meisterschaft in Sachen makroökonomischer Anpassung haben es hierbei die drei baltischen Staaten gebracht, in denen der Wirtschaftseinbruch 2009 besonders groß war. Die Rezession führte dann aber zu einem unmittelbaren Umschwung in der Leistungsbilanz. Estland konnte sein Budgetdefizit in der Rezession sogar verringern und wurde 2011 mit der Aufnahme in die Währungsunion belohnt.Der Weg der raschen fiskalischen Konsolidierung wurde überall in den EU-10 beschritten, sodass die Haushalte heute unter Kontrolle sind. Mit Schuldenständen zwischen 8 % des Bruttoinlandsproduktes (BIP) in Estland und 54 % des BIP in Polen sind die öffentlichen Finanzen in fast allen Ländern der EU-10 geordnet. Die Ausnahme bildet hier Ungarn, das unter einer Schuldenlast von mehr als 80 % des BIP leidet.Dass die Staaten nicht in den Strudel der Staatsschuldenkrise hineingezogen wurden, bedeutet aber nicht, dass sie die Krise gut verdaut hätten. Nur in Polen und der Slowakei hat die Wirtschaftsleistung das Vorkrisenniveau wieder erreicht. Und die Perspektiven sind nicht rosig. Die EU-10 sind wirtschaftlich eng mit dem Rest der EU verflochten. Die EU ist der Hauptabsatzmarkt für die wichtigen Exportindustrien, und aus der EU fließt der Großteil der Investitionen nach Mittel- und Osteuropa. Hinzu kommt, dass in vielen Fällen die Bankensysteme eng miteinander verbunden sind. Da die EU jedoch auf Jahre hinaus mit strukturellen Anpassungen zu kämpfen haben wird, die sich negativ auf die Wachstumsdynamik auswirken dürften, erweist sich eine wichtige Stütze des osteuropäischen Geschäftsmodells als sehr schwach. Und auch der private Konsum, der vor der Krise durch Kredite kräftig angeheizt wurde, dümpelt nun vor sich hin. Da ist es kein Wunder, dass sich auch die Investitionstätigkeit schwach entwickelt. Soziale ProblemeDoch mit der wirtschaftlichen Schwäche wachsen die sozialen Probleme, die wiederum die politische Stabilität eines Landes in Gefahr bringen können. Und es ist die politische Stabilität und Berechenbarkeit, die für die Bonitätseinschätzung in Mittel- und Osteuropa heute entscheidend ist. Nach diesem Kriterium kann man die Länder in zwei Gruppen unterteilen. In der ersten Gruppe finden sich die sechs Staaten, deren Regierungen eine enge Kooperation mit den EU-Partnern ins Zentrum ihrer Politik rücken und deren politischer Kurs als verlässlich betrachtet werden kann. Dieser Gruppe sind Polen, die Tschechische Republik, die Slowakei, Litauen, Lettland und Estland zuzurechnen. Gemessen an den 5-Jahres-CDS-Spreads gehören Tschechien (59 Basispunkte (BP)) und Estland (64 BP) mittlerweile zu den europäischen Top-Bonitäten, deren Länderrisiko geringer eingeschätzt wird als das Frankreichs (84 BP). Die Slowakei (91 BP), Polen (96 BP), Lettland (111 BP) und Litauen (114 BP) folgen mit einigem Abstand.Die zweite Gruppe bilden Ungarn (CDS-Spread: 320 BP), Slowenien (261 BP) und Rumänien (217 BP). Ungarn, der einstige Musterschüler unter den osteuropäischen Transformationsländern, ist mittlerweile das größte Sorgenkind. Die schwache Finanzlage wurde bereits erwähnt. Schwerer noch wiegt der politische Kurs der Fidesz-Regierung unter Viktor Orbán, die nach dem grandiosen Sieg bei der Parlamentswahl 2010 die Konfrontation an vielen Fronten gesucht hat. Die Regierung ist unablässig bemüht, ihre Kontrolle über Medien, Notenbank und Justizapparat auszuweiten, was massive Kritik seitens der EU heraufbeschworen hat. Da die Regierung gleichzeitig einen wirtschaftspolitischen Kurs verfolgt, der vom Internationalen Währungsfonds nicht gestützt wird, ist eine Einigung über ein neues Hilfsprogramm nicht in Sicht. Die erfolgreiche Rückkehr auf den internationalen Anleihemarkt könnte es Ungarn jedoch nun erlauben, zumindest in diesem Jahr auf öffentliche Hilfen zu verzichten. Der fehlende Druck zum Kompromiss kann aber dazu führen, dass sich Ungarn innerhalb der EU noch weiter isoliert. Schwere KritikEbenfalls schwer in die Kritik geraten ist die sozialdemokratische Regierung Rumäniens unter Ministerpräsident Victor Ponta. Deren Versuche, Präsident Traian Basescu aus dem Amt zu entfernen und dabei die Befugnisse des Verfassungsgerichts zu beschneiden, nahmen Züge eines Staatsstreichs an. Auf Druck der EU ruderte Ponta zwar zurück. Das Vertrauen der europäischen Partner in die rumänische Regierung ist aber beschädigt.Ähnlich wie in Ungarn ist in Slowenien eine einstmals sehr erfolgversprechende Entwicklung zum Stillstand gekommen, und seit einigen Jahren sind vor allem Rückschritte zu verzeichnen. Das gilt auf wirtschaftlichem wie politischem Gebiet. Die Regierung unter Ministerpräsident Janez Jansa ist vor wenigen Wochen zerbrochen, nachdem Jansa Korruptionsvorwürfe nicht ausräumen konnte. Das Land steuert nun auf Neuwahlen zu, obwohl eigentlich eine ganze Reihe wichtiger Gesetzesinitiativen zur Verabschiedung ansteht. Die Rekapitalisierung des Bankensektors könnte angesichts der Handlungsunfähigkeit der Politik ein Hilfeersuchen beim europäischen Rettungsfonds ESM notwendig machen.Bulgarien zählte bis vor wenigen Wochen zur Gruppe der politisch stabilen Länder. Nun ist die Regierung unter dem Eindruck von Massendemonstrationen zurückgetreten. Wir erwarten zwar ein Festhalten am Stabilitätskurs, und auch die Finanzmärkte (CDS-Spread: 177 BP) sind noch nicht ernstlich beunruhigt. Doch die weitere Dynamik der Straßenproteste ist schwer einzuschätzen. In Mittel- und Osteuropa ist es gelungen, das Abgleiten in eine Schuldenkrise zu verhindern. Wieder zu nachhaltigem Wirtschaftswachstum zurückzukehren und das Vertrauen in die Politik zu erhalten bzw. wieder herzustellen, dürfte allerdings noch schwieriger werden.—-*) Janis Hübner ist Volkswirt im Bereich Makro Research der DekaBank.