National Grid als sicherer Hafen mit Fragezeichen
Von Rodger Rinke *)Auf den ersten Blick hat die englische National Grid alle Eigenschaften, die im aktuellen Marktumfeld von Investorenseite gefragt sind. So verfügt National Grid als Eigentümer und Betreiber der Hochspannungsstromnetze in England, Wales und Schottland über ein Geschäftsrisiko, das im Vergleich zu anderen Unternehmen als relativ gering einzuschätzen ist. Über 90 % der Erlöse und Cash-flows des Unternehmens sind von staatlicher Seite reguliert und unterliegen keinem Wettbewerb. Damit ist die Erlössituation der kommenden Jahre übersichtlich und planbar. Neben den Stromübertragungsnetzen verwaltet der Konzern auch die britischen Gasnetze. Abseits der britischen Aktivitäten ist National Grid in den USA (Neuenglandstaaten, New York State, Long Island) tätig. Zudem konzentriert sich National Grid auf die beiden Geschäftsgebiete Großbritannien und USA, die für rund 60 % bzw. 37 % der Erträge stehen. Die damit einhergehende Risikostreuung auf zwei Länder mit unterschiedlichen Regulierungssystemen ist ein weiterer positiver Faktor. Geringes GeschäftsrisikoDeutlich wird damit auch, warum National Grid – in der aktuellen Marktphase noch mehr als sonst – der Status des sicheren Hafens verliehen wird. Das in London beheimatete Unternehmen hat aufgrund seiner Ausrichtung keine Berührungspunkte mit der Euro-Erise. Einzig die Euro-Emissionen des Unternehmens könnten für gewisse Risiken im Worst Case führen. Von Seiten National Grids wird hier aber eine konservative Strategie gefahren und sämtliche Emissionserlöse von Euro in Sterling oder Dollar getauscht.Das positive Geschäftsrisikoprofil des Unternehmens wird durch zwei Punkte etwas eingeschränkt. Zum einen weist National Grid als Netzbetreiber mit einer hohen Kapitalintensität schlechtere Finanzkennzahlen als andere Unternehmen aus. Dies wird jedoch durch die schon angesprochene Planbarkeit der Erträge teilweise mitigiert. Zum anderen werden hohe Investitionen der kommenden Jahre und die bisher recht generöse Dividendenpolitik mittelfristig zu weiterem Finanzierungsbedarf führen, da beide Ausgabenblöcke nicht aus den erwirtschafteten Mitteln zu finanzieren sein werden. Dies setzt einen dauerhaften Kapitalmarktzugang voraus, auch wenn National Grid mit Blick auf die hohen Liquiditätsbestände Neuemissionen für das laufende Geschäftsjahr weitgehend ausschloss. Das Unternehmen teilte mit, dass die Dividendenpolitik ab 2013 zwar überdacht werde, dennoch wird es auf absehbare Zeit dabei bleiben, dass National Grids vorteilhaftes Geschäftsrisikoprofil durch die Finanzkennzahlen zumindest teilweise konterkariert wird.Hinzu kommt ein weiterer wesentlicher Unsicherheitsfaktor, der Investoren aktuell Kopfzerbrechen bereitet. Regulatorisch geregelte Erträge sind nur während bestimmter Zeiträume stabil, den sogenannten Regulierungsperioden. Nach mehr als 20 Jahren wird das Regulierungssystem in England momentan umgestellt. Die zuständige Regulierungsbehörde Ofgem hat dazu seit 2011 eine neue Methodik unter dem Namen RIIO (Revenue = Incentives + Innovation + Outputs) entworfen, die sich aktuell in der Abstimmungsphase befindet. Im Rahmen der Abstimmungsphase wurden nun von der Regulierungsbehörde Vorschläge ausgearbeitet, die entsprechende Folgen auf das regulierte Geschäft von National Grid in Großbritannien haben werden. Vorweggeschickt sei, dass es sich dabei zunächst nur um Vorschläge handelt. Die finale Fassung der Methodik wird für Dezember erwartet und soll im April 2013 für acht Jahre in Kraft treten. Bis dahin könnten sich folglich noch Änderungen ergeben.Auf Basis der jetzigen Vorschläge ist aber klar, dass sich für National Grid einige Änderungen und neue Herausforderungen ergeben werden. Grundsätzlich sieht die neue Regulierungsverordnung vor, dass die betroffenen Netzbetreiber durch Anreize in Form von zusätzlichen Erträgen zu effizienterem Arbeiten gebracht werden. Dabei geht der Regulator davon aus, dass ein gut geführtes Unternehmen zweistellige Renditen auf das regulierte Eigenkapital einfahren kann. Was zunächst einmal gut klingt, birgt dennoch Belastungen im Detail. Zum einen fallen die Investitionsausgaben um fast 20 % geringer aus als bisher angenommen. Der Regulierer sieht hierbei die Notwendigkeit von bestimmten Projekten und die damit verbundenen Investitionen anders als bisher und geht davon aus, dass die Netze die benötigte Kapazität auch mit weniger Investitionen erreichen können. Für National Grid bedeutet dies ein geringeres Wachstum der regulierten Assetbasis und damit geringere Erlöse in Zukunft. Ferner geht Ofgem davon aus, dass an der operativen Kostenschraube weiter gedreht werden kann und erwartet Einsparungen von 8 % gegenüber den bisherigen Plänen. Sollte National Grid diese Einsparungen nicht erreichen können, droht dies die zukünftige Ertragsentwicklung negativ zu beeinflussen.Die Regulierungsbehörde wird aber auch direkt in die Ertragslage der Netzbetreiber eingreifen. So sehen die Pläne eine Senkung der zugestandenen Eigenkapitalkosten auf einen Bereich von 6,7 % bis 7 % vor – je nach Netzart. Dies wird sich insbesondere zum Ende der Regulierungsperiode negativ auswirken. Für Anleiheinvestoren noch interessant ist eine Erhöhung des angenommenen Gearings, also des Verschuldungsgrades. Dieser liegt nun um 5 % höher bei 60 bis 65 %, was ebenfalls die Ertragslage reduzieren und zudem das Rating (“BBB +”/”Baa 1”) in Gefahr zu bringen droht. Negative Folgen möglichNoch halten sich die Ratingagenturen zwar mit finalen Aussagen zurück, aber negative Maßnahmen können nicht ausgeschlossen werden, schließlich wird schon die Änderung der Regulierungsmethodik an sich negativ gesehen. Zudem stehen, abhängig von den Sparbemühungen und der Effizienz von National Grid, Ertragskürzungen bevor. Die Regulierungsbehörde konnte Befürchtungen zwar mit der Aussage dämpfen, dass nach ihren Berechnungen ein Rating im “komfortablen” Investment Grade weiterhin möglich sei. Die Vorschläge seien außerdem ausreichend, um Investitionen in Netze zu ermöglichen und den Kapitalmarktzugang für die Unternehmen weiterhin offen zu halten, hieß es von Behördenseite.Entspannung auf Konzernebene könnte das lange schwächelnde USA-Geschäft bringen, das von unterschiedlichen Regulierern überwacht wird. Hier zeigt der Ertragstrend eher nach oben als nach unten und dürfte damit Belastungen auf dem englischen Heimatmarkt teilweise ausgleichen können.Dennoch dürfte die Kombination aus geringeren Erlösen, geringeren anrechenbaren Kosten und einem höheren Verschuldungsgrad zusammen mit der allgemeinen Unsicherheit für Druck auf die Bonds von National Grid sorgen. Den Status als sicheren Hafen wird National Grid dadurch aus unserer Sicht noch nicht abgeben müssen, die kurzfristigen Fragezeichen bleiben aber zumindest bis Dezember bestehen.—-*) Rodger Rinke ist Credit Analyst bei der Landesbank Baden-Württemberg.