National Grid bietet attraktiven Spread
Von Erkan Ayçiçek *)Der Versorgersektor ist bisher nur gering von der Corona-Thematik betroffen. Ein Großteil des operativen Geschäftes (Erzeugung, Netze, Handel, Vertrieb) ist national, und es gibt nur geringe internationale Verflechtungen. Diese relative Stabilität macht den Sektor bei Investoren beliebt, was sich bei Spreads und Ratings positiv auswirkt. Bei einer weiteren Virusausbreitung könnte die Branche allenfalls indirekt durch eine weitere Eintrübung der Wirtschaft getroffen werden. Rezessive Entwicklungen haben einen Nachfragerückgang nach Strom und Gas zur Folge. Die Energienachfrage ist allgemein jedoch relativ unelastisch, und insbesondere im Bereich der privaten Haushalte sind nur geringe Effekte zu erwarten. Im Gegensatz zum originären Versorgungsgeschäft war bisher nur die Rohstoffbeschaffung stärker betroffen. Bereits 2019 führte der Handelskonflikt zwischen China und USA zu einem Rückgang der Kohlenachfrage in China, wodurch die Preise für Kraftwerkskohle ebenfalls nachgaben. Eine Entwicklung, von der europäische Stromerzeuger aktuell eher profitiert haben sollten. Allerdings ist dieser Effekt zeitlich begrenzt, da große Teile der Abnahme langfristig gesichert sind (80 bis 90 %).Trotz der Coronakrise rechnet der Creditmarkt mit einer leichten Ergebnissteigerung im laufenden Geschäftsjahr 2020/21. Wir werten eine solche Entwicklung in einem schwierigen Marktumfeld als beeindruckend vor dem Hintergrund, dass viele Firmen anderer Branchen mit enormen Ergebnisrückgängen bzw. Verlusten kämpfen. Hier erweisen sich die relativ stabilen Rahmenbedingungen im Versorgersektor als Vorteil. Ein Beispiel hierfür ist der britische Netzbetreiber National Grid. Sein operativer Schwerpunkt im Netzgeschäft weist zwei wesentliche positive Aspekte aus: 1. Das Netzgeschäft bietet gute Wachstumsperspektiven. 2. Das Netzgeschäft ist ein reguliertes Geschäft und bietet stabile und visible Einnahmen. Stabiler AusblickDies spiegelt sich auch in der Entwicklung der Bond-Spreads wider. So liegen die Spreads der Branche (iBoxx Utilities) leicht unter denen des Gesamtmarktes (iBoxx Non-Financials). Dies gilt auch für die Bond-Spreads von National Grid. Zwar kam es beim Gesamtmarkt zu einer Spread-Ausweitung seit Jahresanfang um bis zu 124 Basispunkten (BP, aktuell: 48 BP). Allerdings beruht diese Entwicklung im Wesentlichen auf der Verunsicherung im Zusammenhang mit dem Coronavirus, während die Branche seit Jahresanfang eine Spread-Ausweitung von bis zu 104 (aktuell: 40) BP verzeichnete. Der als Indikation für das aktuelle Marktrisiko dienende Spread für einen fünfjährigen CDS beträgt bei National Grid gegenwärtig rund 31 BP und verzeichnete allein in den vorigen knapp drei Monaten einen Rückgang um etwa 25 BP. National Grid hat vier festverzinsliche Bonds mit Volumina von jeweils mindestens 500 Mill. Euro am Bondmarkt ausstehen und bietet somit eine überschaubare Palette verschiedener Laufzeiten bis zum Jahr 2025 an. Die Ratingagentur S&P bewertet den Konzern mit A – und stabilem Ausblick. Moody’s vergibt ein Baa1-Rating (mit stabilem Ausblick).National Grid ist Eigentümer und Betreiber der Hochspannungsstromnetze in England und Wales und betreibt auch die entsprechenden Netze in Schottland. Zudem verwaltet National Grid auch die britischen Gasnetze und ist im Endkundengeschäft mit Ferngas tätig. Neben den britischen Aktivitäten ist National Grid in den USA tätig. Die Erlöse und Cash-flows sind weitestgehend reguliert, planbar und unterliegen keinem Wettbewerb. Das Geschäftsrisiko ist aufgrund der Konzentration auf das weitgehend staatlich regulierte Netzgeschäft und der Risikostreuung der Geschäftsgebiete GB/USA als gering anzusehen, weswegen wir National Grid als sicheren Hafen im Sektor ansehen. So entfallen etwa 47 % des gesamten operativen Ergebnisses auf die USA, gefolgt von UK mit 46 %.National Grid verbuchte im Geschäftsjahr 2019/20 einen Rückgang des operativen Ergebnisses von 4,1 % auf 3,3 Mrd. Pfund. Darin sind jedoch negative Timing-Effekte von 147 Mill. GBP enthalten. Aussagekräftiger sind die Zahlen ohne Timingeffekte. Ohne diese lag das operative Ergebnis bei 3,5 Mrd. Pfund, ein Zuwachs von 0,8 % gegenüber dem Vorjahr. Die Covid-19-Auswirkungen auf das Ergebnis beliefen sich, hauptsächlich bedingt durch eine erhöhte Rückstellung für uneinbringliche US-Forderungen, auf 117 Mill. Pfund. Die Nettoverschuldung war um 2,1 Mrd. Pfund erhöht und lag bei 28,6 Mrd. Pfund. Die Finanzkennzahlen zeigten sich nach unserer Berechnung verbessert. Die Ratio FFO/Net Debt liegt bei 14,6 %, verglichen mit 13,5 % zum März 2019. Dagegen lag die Ratio Net Debt/RAV (Regulated Asset Value) zum Jahresende bei 63 % und verfehlte das Firmenziel von 65 % nur leicht. Belastungen beim ErgebnisDas Management erwartet im Zusammenhang mit der Covid-19-Pandemie mittelfristig keine wesentlichen wirtschaftlichen Auswirkungen auf die Gruppe, rechnet aber mit Belastungen im laufenden Geschäftsjahr beim Ergebnis und beim Cash-flow. Das Management prognostiziert für das GJ 2020/21, ausgehend von der Annahme einer allmählichen Lockerung des Lockdown, derzeit eine Belastung beim operativen Ergebnis von ca. 400 Mill. Pfund, die in erster Linie auf höhere Kosten und geringere Einnahmen in den USA zurückzuführen ist. Was den Cash-flow insgesamt betrifft, so schätzt National Grid die Auswirkungen von Covid-19 derzeit auf bis zu 1 Mrd. Pfund.Dies wird letztlich von der Nachfrage in deren Netzwerken, dem Inkasso bei deren US-Kunden und dem rechtzeitigen Einzug der Netzwerkgebühren und Systemkosten in Großbritannien abhängen. Dies wird sich daher auch auf die Nettoverschuldung auswirken. Unter Berücksichtigung dieser angenommenen Cash-flow-Auswirkungen von Covid-19 und ohne Berücksichtigung von Wechseleffekten wird sich die Nettoverschuldung voraussichtlich auf 31,5 Mrd. Pfund belaufen. Unter Berücksichtigung des Unternehmensziels, das RAV um 5 % bis 7 % zu steigern, ergibt sich nach unserer Berechnung ein Net Debt/RAV von 65 % im GJ 2020/21 nach 63 % im Vorjahr, und somit wäre die Zielvorgabe wieder erfüllt. Regelmäßiger EmittentNational Grid tritt regelmäßig als Emittent von Unternehmensanleihen auf. Mit einem Anteil von ca. 45 % wurde der größte Teil der Bonds in Pfund begeben, gefolgt vom Dollar mit 40 % und Euro mit 11,8 %. Insgesamt hat das Unternehmen über Anleihen gegenwärtig einen Betrag von 29,6 Mrd. Pfund ausstehen. Der weit überwiegende Teil ist fest verzinst. Mit Eurobonds war National Grid zuletzt im Januar 2020 am Markt. Die nächsten Fälligkeiten von Anleihen sind im Jahr 2022 bzw. 2023 mit 0,75 bzw. 0,5 Mrd. Euro. Wir bewerten die ausstehenden Bonds im Vergleich zum Gesamtmarkt als leicht attraktiv, aber auch im Vergleich mit direkten Peers wie Tennet weisen die Bonds eine relative Attraktivität aus. *) Erkan Ayçiçek ist Senior Analyst für Versorger bei der Landesbank Baden-Württemberg.