Neuer Krieg ums Öl
Der Chef der staatlichen venezolanischen Ölgesellschaft PDVSA, Eulogio Del Pino, klang fast schon verzweifelt, als er kürzlich warnte: “Wir befinden uns in einem Preiskrieg.” Del Pino hat im gleichen Zusammenhang um eine schnellstmöglich anzusetzende Notfallsitzung des Förderkartells Organisation Erdöl exportierender Länder (Opec) gebeten, um “den Grund für die Destabilisierung des Ölmarktes herauszufinden und um Gegenmaßnahmen zu ergreifen”. Für Del Pinos Besorgnis gibt es einen guten Grund: Venezuela könnte das erste Opfer in dem neuen globalen Krieg um den Energieträger werden, denn ohne ausreichende Öleinnahmen droht dem angegriffenen venezolanischen Staatshaushalt in relativ kurzer Zeit der Kollaps. Dass der PDVSA-Chef bei den führenden Opec-Mitgliedsländern auf offene Ohren stößt, gilt allerdings als ausgeschlossen. Somit werden sich die Opec-Mitglieder wohl erst plangemäß am 27. November treffen und dann voraussichtlich auch keine Kürzung der Förderquoten beschließen. Der Preiskrieg ist nämlich von Opec-Schwergewichten wie Saudi-Arabien selbst angezettelt worden.Das wichtigste Opec-Mitglied verfolgt mit dem Preiskrieg zwei Ziele. Zum einen will das Land in Asien bedeutende Kunden wie China langfristig an sich binden. Zum anderen – und das wiegt für den globalen Ölmarkt schwerer – sollen angesichts des Überangebots Anbieter mit hohen Produktionskosten aus dem Markt gedrängt werden. Im Visier der Saudis befinden sich vor allem die im Aufschwung befindlichen nordamerikanischen Produzenten, die unkonventionelle Quellen wie Schieferformationen ausbeuten und dabei höhere Kosten zu verkraften haben als viele Opec-Staaten. Selbst langjährige Widersacher der Saudis wie der Iran machen mit – obwohl das Land zum Ausgleich seines Staatshaushalts eigentlich einen Ölpreis von 140 Dollar benötigt.Die Notierungen haben schon kräftig nachgegeben. Ausgehend vom Jahreshoch von 115,71 Dollar je Barrel (159 Liter) vom Juni ist die führende Benchmark-Sorte Brent Crude bereits kurzzeitig unter 83 Dollar gefallen. Vermutlich wird sich der Preis noch weiter nach unten bewegen, auch wenn sich zwischenzeitlich Erholungen ergeben, weil der Rückgang der Notierungen kurzzeitig neue Nachfrage weckt.Dem Schwergewicht Saudi-Arabien kommt entgegen, dass die Hauptgegner – also die neuen nordamerikanischen Produzenten – oftmals kleine und mittelgroße Unternehmen sind, denen wegen der mangelnden Finanzkraft der lange Atem fehlt. Allerdings warnen Branchenkenner, dass es einige Zeit dauern wird, bis die Fördermengen in Amerika spürbar zurückgehen. Damit wäre bei anhaltend niedrigen Preisen wohl nicht vor 2016 zu rechnen, unter anderem deshalb, weil sich viele Produzenten durch Hedging für 2015 bereits abgesichert haben. Allerdings denken die Saudis offenbar in längerfristigen Dimensionen, denn sie haben wichtigen Kunden signalisiert, sie könnten sich ein bis zwei Jahre lang ein Preisniveau von 80 Dollar vorstellen.Erste Wirkungen zeigt der Preiskrieg bereits. Die Analysten von Wells Fargo sagen für 2015 voraus, dass die US-Investitionen in Exploration und Produktion stagnieren werden. Das ist insofern von Bedeutung, als dass US-Schieferölquellen nach einem Jahr der Produktion bereits eine Reduzierung der Fördermengen von im Durchschnitt 70 % aufweisen. Zwar argumentieren Analysten anderer US-Banken, bei vielen der neuen Produzenten seien die Quellen bis 50 Dollar je Barrel rentabel. Da viele Banken jedoch selbst stark am Energiemarkt engagiert sind, können ihre Einschätzungen kaum als neutral betrachtet werden. Zudem dürfte es den Opec-Ländern bereits reichen, wenn sie einen kleinen Teil der Wettbewerber aus dem Markt drängen. Die Internationale Energieagentur erwartet, dass bei einem für längere Zeit vorherrschenden Ölpreis von 80 Dollar die globale Förderung um 3 % sinken könnte.Damit stellt sich die Frage, wie weit der Ölpreis noch fallen wird. Einen Hinweis hat Kuwait gegeben: Der Ölminister des Landes bezifferte die Schwelle, ab der viele nordamerikanische Produzenten nicht mehr wettbewerbsfähig sind, mit 75 bis 77 Dollar. Deutlich unter 75 Dollar wird der Ölpreis vermutlich auch bei einer weiter schwachen globalen Nachfrage nicht sinken, da dann für die Opec-Protagonisten der Schaden durch den Ausfall von Einnahmen den Nutzen des Ausbremsens von Wettbewerbern übersteigen würde. Die Länder werden den Preis vermutlich in einem Korridor halten wollen, dessen Untergrenze bei 76 bis 77 Dollar liegt. ——–Von Dieter KuckelkornSaudi-Arabien will Wettbewerber aus dem Markt drängen – vor allem die neuen nordamerikanischen Ölproduzenten.——-