Neues Kräftemessen in Asiens Aktienuniversum
Neues Kräftemessen in Asiens Aktienuniversum
China spürt Bedeutungsverlust bei internationalen Investoren, während sich Indien zum Gegengewicht mausert.
Von Norbert Hellmann, Schanghai
Können sich Chinas Finanzmarktlenker beruhigt auf die Schultern klopfen oder müssen sie neue Sorgenfalten glattbügeln? Im Jahr 2024 haben gewaltige staatliche Stützungsoffensiven sowie eine mit einem effektvollen Timing versehene Zinslockerung letztlich einen Durchbruch am Aktienmarkt erzielt. Die schier endlose Durststrecke an Chinas Börsen wurde zu Herbstbeginn von einer kapitalen Blitzhausse abgelöst. Sie lässt erstmals seit drei Jahren wieder ein Performance-Plus der Leitindizes auf dem Festland und in Hongkong für das Kalenderjahr zu.
China-Skepsis greift um sich
Der plötzliche Befreiungsschlag bei den Leitindizes ist zwar nicht in eine nachhaltige Rally übergegangen, hat jedoch eine psychologische Wende bewirkt. Die in China viel thematisierten „animalischen Instinkte“ der für den Markttrend entscheidenden Kleinanleger zeigen sich wiedererweckt. Die Kehrseite der Medaille ist freilich, dass Peking seit Monaten ein Katz- und Maus-Spiel mit Anlegererwartungen bezüglich greifbarer Stimuli betreibt. Das trägt aber nicht gerade dazu bei, globale Investoren von ihrer Skepsis zu China-Engagements abzubringen.
Signalsprache zieht nicht
Pekings neue Herangehensweise mit konjunkturpolitischen Signalen als marktbezogene Kommunikationsstrategie zieht international nicht. So scheinen weder die Wall Street noch die großen Märkte in Europa und Asien-Pazifik mit dem Stimulierungsgeplänkel etwas anfangen zu können. China-News haben damit geringere Ausstrahlung auf die globale Börsenverfassung. Auch auf anderer Ebene ist ein relativer Bedeutungsverlust in der Mache.
China-Komponente auf dem Prüfstand
Wenn es um die Partizipation internationaler Investoren geht, droht China sein Alleinstellungsmerkmal einzubüßen. Mit der veränderten Dynamik und Risikokonstellation im chinesischen Markt verbinden sich Anpassungen von vorsichtigen Investoren, wie den großen nordamerikanischen Pensionsfonds. Sie wollen sich zwar unverändert in Schwellenländern engagieren, stellen aber die China-Komponente in der Portfolio-Strategie weiter auf den Prüfstand. Manche vermuten gar, dass der „Opportunity Set“ in der Anlagestrategie auf ein „Ex-China-Schwellenländerengagement“ hinausläuft.
Dann halt mehr Indien
In den Asien-Portefeuilles ist eine Verlagerung der Akzente hin zu den nächstgrößeren Wirtschaftsriesen Japan und Indien als Nummer 3 und 5 im weltweiten Ranking nach Bruttoinlandsprodukt (BIP) im Gange. Bei rein auf die Region Asien-Pazifik konzentrierten Geldern werden Engagements im japanischen Markt stärker gegenüber China favorisiert. Im Rahmen von Schwellenländer-Portfolios wiederum ist eine Verschiebung der Anlageschwerpunkte weg von China und hin zu Indien unverkennbar.
Direktinvestitionen bröckeln ab
China hat trotz aller Charmeoffensiven mit Öffnungsversprechen und weitgehender Abschaffung von Visa-Restriktionen Mühe, die aus der Pandemiezeit entstandene internationale Abkoppelung überzeugend zu überwinden. Das Reich der Mitte büßt als Investitionsterritorium an Zugkraft ein.
Man sieht es bei den Zahlen zum Foreign Direct Investment (FDI) nach China, das 2024 um fast 30% gegenüber Vorjahr gesunken ist, der erste fühlbare Rückgang seit Jahrzehnten. Demgegenüber steigen die FDI-Volumina Richtung Indien, wenn auch auf wesentlich niedriger Ausgangsbasis, munter weiter und dürften um mehr als 25% angeschwollen sein. Spiegelbildlich zu den Direktinvestitionen überträgt sich China-Skepsis auch auf die Börsenszene.
Wachablösung
In globalen Portefeuilles spielen China-Aktien eine schwindende Rolle. Im führenden Barometer für Schwellenländerwerte, dem MSCI Emerging Markets Index kommen die von der Marktkapitalisierung her gesehen wesentlich kleineren Aktienmärkte Indien und Taiwan von der Gewichtung her auf Tuchfühlung mit Chinas Festlandaktien.
China-Quote rutscht ab
Zum Anfang der Dekade haben Chinas Festlandaktien nach dem Pandemieausbruch in der Spitze knapp 39% des MSCI EM für sich beansprucht. Seitdem ist Wachablösung angesagt. In den letzten drei Jahren hat sich der Anteil rapide verringert. Die zur Jahresmitte 2021 noch bei knapp 35% liegende China-Quote sank zum Anpassungstermin beim MSCI EM im Ende August auf 22,8%, dem niedrigsten Wert seit 2016.
Demgegenüber konnte sich die Indien-Gewichtung im gleichen Zeitraum von 9,9 auf 19,2% fast verdoppeln. Chinas Herbsthausse hat die Verhältnisse wieder etwas zurechtgerückt. Stand Ende November kommen die China-Werte nun wieder auf einen Anteil von 27%, während Indien weitere Fortschritte macht und auf knapp 20% avanciert.
Säuberungsaktion
Mit der MSCI-Methodik verbindet sich jedoch auch auf Ebene von Einzelwerten eine Akzentverschiebung. In diesem Jahr haben mehr als 200 chinesische Firmen wegen Nichterfüllung von Kriterien zu Marktkapitalisierung oder Free Float ihren Platz im Emerging Markets Index verloren. Bei allen Anpassungsterminen kam indes zumindest eine Handvoll indischer Werte hinzu. Die signifikante Höhergewichtung des führenden indischen Kreditinstituts HDFC Bank mit derzeit über 160 Mrd. Dollar Marktkapitalisierung entfaltet anhaltende Wirkung. Die etappenweise erfolgende Inklusion sorgt dafür, dass Indiens Gewicht im neuen Jahr weiter ansteigen dürfte.
Achtungserfolg
In der weltweiten Benchmark für passive Investoren dem MSCI All Country World Index, bei dem der US-Markt mit einem Anteil von fast zwei Dritteln den Ton angibt, macht sich die Kräfteverschiebung nicht spektakulär bemerkbar. Die Tendenz aber ist klar. China hat leicht auf 2,6% eingebüßt, Indien konnte leicht auf 2,1% zulegen. Bleibt noch ein Achtungserfolg im ACWI Investible Market Index, als Subkategorie, die nicht nur Large- und Mid-Caps berücksichtigt.
Mit dieser von ETF verfolgten Benchmark verbinden sich zwar keine wesentlichen Investmentströme, aber sie ist ein Hingucker. Indien ist in dieser Benchmark mit 2,35% Gewichtung jetzt knapp hinter Frankreich auf Platz 6 und hat erstmals China (2,24%) hinter sich gelassen.
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