GastbeitragImmobilienbranche

Nicht für alles sind die Zinsen verantwortlich

Es gilt, sich von Entwicklungen unabhängig machen, die wir nicht beeinflussen können, und das eigene Portfolio so weiterentwickeln, dass es bei einem Wiederanziehen des Marktes konkurrenzfähig ist oder besser noch aus der Masse positiv heraussticht.

Nicht für alles sind die Zinsen verantwortlich

Gastbeitrag zur Immobilienbranche

Nicht für alles sind die Zinsen verantwortlich

Sehnsüchtig wartet die Immobilienbranche auf Zinssenkungen der Notenbanken. So galt es noch zu Beginn des Jahres an den Kapitalmärkten weitgehend als Konsens, dass die US-Notenbank Fed ihre Leitzinsen im Laufe dieses Jahres in mehreren Schritten deutlich senken werde. Darauf hatten sich viele Marktteilnehmer eingestellt – und sind auf dem falschen Fuß erwischt worden.

Doch genau darin liegt der Kardinalfehler. Nicht in der falschen Prognose selbst, sondern im Vertrauen darauf, die Zinsentwicklung grob prognostizieren zu können und sein Handeln alleine davon abhängig zu machen. So verharrt die Immobilienbranche weiter in ihrer Schockstarre. Transaktionen werden kaum abgewickelt, die Zahl der Insolvenzen steigt weiter an, Banken vergeben kaum noch Darlehen. Also heißt es weiter: Abwarten und auf niedrigere Zinsen warten – und damit den Fehler fortsetzen? Oder sich von Entwicklungen unabhängig machen, die wir nicht beeinflussen können, und das eigene Portfolio so weiterentwickeln, dass es bei einem Wiederanziehen des Marktes konkurrenzfähig ist oder besser noch aus der Masse positiv heraussticht.

Hairy Chart gibt Antworten

Wie konnten die Erwartungen so sehr neben den tatsächlichen Entwicklungen liegen? Mit Blick auf das sogenannte Hairy Chart könnte die Antwort lauten: aus Gewohnheit. Das Chart stellt die Zinserwartungen der tatsächlichen Entwicklung des LIBOR beziehungsweise des SOFR gegenüber. Die Erkenntnis: Würden die Futures die tatsächliche Entwicklung sicher vorwegnehmen, wäre das „Hairy Chart“ nicht „haarig“. Tatsächlich gehen die Einschätzungen und die tatsächliche Entwicklung weit auseinander.

Mit Sicherheit haben die lange Zeit sehr niedrigen Zinsen bis zur Wiederkehr der Inflation zu der langen Phase des Immobilienbooms beigetragen. Aber das lag eben nicht nur an den niedrigen Zinsen. Und auch wenn jetzt das Fremdkapital aufgrund höherer Leitzinsvorgaben teurer ist, lassen sich dennoch gute Geschäfte machen. Historisch betrachtet hatten wir immer so hohe oder noch viel höhere Zinsen als zurzeit. Damals fanden auch mit Fremdkapital finanzierte Transaktionen statt.

Unsicherheit hinderlich

Hinderlich ist derzeit eher die Unsicherheit als der hohe Zins. Bildlich gesprochen: Wenn die Gefahr besteht, dass die Brücke, über die ich fahren muss, einstürzt, benutze ich sie nicht. Doch so ist kein Fortschritt möglich. Eine Bank, die damit rechnen muss, dass ein Kreditnehmer insolvent wird, wird ihm keinen Kredit mehr geben. Dann erfüllt sich die Prophezeiung von selbst: Das Unternehmen bricht zusammen, obwohl es vielleicht mit frischem Geld überlebensfähig wäre. Hier muss jeder Unternehmenslenker vorausschauend ansetzen. Vor der gefährlichen Brücke stehend, muss der Unternehmenslenker also eine Ausweichroute haben, auf der eine solide Querung liegt. Ein Immobilienunternehmen muss immer mit ausreichend finanziellen und operativen Möglichkeiten ausgestattet sein, um notfalls auch mal einen Umweg zu fahren.

Überlebensfähigkeit ist in erster Linie eine Frage der Liquidität. Hier haben Fonds und Beteiligungen grundsätzlich das Heft des Handelns in der Hand. So kann es beispielsweise sinnvoll sein, auf Ausschüttungen zu verzichten und das Geld in Neuvermietungen, Ausbauten oder Mietzuschüsse investieren, um einen soliden Vermietungsstand zu halten.

Refinanzierungen können gelingen

Dies honorieren erfahrungsgemäß auch die Banken. Refinanzierungen, die momentan kaum möglich erscheinen, können dann doch gelingen. Auch wenn der Aufwand dafür inzwischen enorm hoch ist und Zeit kostet. Auch ein Geldhaus muss die Unsicherheit einpreisen. Schließlich ist das Volumen notleidender Gewerbeimmobilienkredite bei hiesigen Banken von Ende März 2023 bis Ende März dieses Jahres um fast 130% gestiegen.

Für Banken und Immobilieninvestoren gilt in der jetzigen Situation: Sie müssen ihre Immobilien und Mieter beziehungsweise Kreditnehmer kennen. Nur ein enger Austausch hilft in der Krise, der schon vorher beginnen muss. Dann verfügt ein Unternehmen über Informationen, auf deren Basis es die richtigen Entscheidungen treffen kann.

Nicht erst die Zinswende hat uns vor Augen geführt: Machen wir uns nicht abhängig von Entwicklungen, die wir nicht beeinflussen können. Behalten wir das Zepter des Handelns in der Hand. Dann verlieren auch aufgeschobene Zinssenkungen ihren Schrecken.

Unser Gastautor A. Boyd Simpson ist Präsident und Gründer von TSO (The Simpson Organization).