Anleiherenditen

Niedriges Fahrwasser voraus

Am Markt stellen sich viele Akteure auf steigende Bondrenditen ein. Diese sind 2022 gut möglich. Aber es sprechen durchaus Faktoren gegen höhere Anleiherenditen.

Niedriges Fahrwasser voraus

Die meisten Bondmarktakteure stellen sich für 2022 auf steigende Bondrenditen ein in Erwartung einer zinspolitischen Wende der Notenbanken, die von steigenden Anleiherenditen vorweggenommen werden. Die Argumentation ist immer die Gleiche: Der Teuerungsdruck nimmt seit Monaten zu, die Inflationsraten dies- und jenseits des Atlantiks, aber auch in anderen Ländern befinden sich mittlerweile auf Niveaus, die schon seit Jahrzehnten nicht mehr beobachtet wurden. Das muss die Währungshüter doch zum Handel zwingen – so lautet die Einschätzung, nicht nur an den Märkten, sondern auch bei Wirtschaftsforschungsinstituten. Doch muss es so kommen?

Die Europäische Zentralbank (EZB), allen voran Präsidentin Christine Lagarde, zeigt sich in diesem Punkt bedeckt. Sie und die EZB sprechen von temporären Inflationseffekten und nicht von einem dauerhaften Phänomen. Und es sprechen gute Gründe dafür, dass die EZB mit ihrer Einschätzung richtigliegt. Die EZB überstürzt in dieser Hinsicht nichts – und viele im Markt halten das für angemessen.

Am Werk sind seit Ausbruch der Covid-19-Krise im Wesentlichen vier Faktoren, was die Beeinflussung der Teuerung betrifft. Erstens: der Basiseffekt. Am besten ist er abzulesen am Ölpreis. Wenn dieser weiter steigt, nimmt verhältnismäßig der Nenner ab, auf den die womöglich gleiche absolute Steigerung bezogen wird. Das spiegelt sich auch in der Inflationsrate wider. Dazu kommen zweitens Einmaleffekte. Dazu zählt alles, was Haushalte in der Krise einmalig an Anschaffungen vorgenommen oder an Maßnahmen ergriffen haben, wie einmalige Möbelkäufe oder Renovierungen. Auch das beeinflusst die Inflation nicht dauerhaft. Drittens sind es Nachholeffekte, die am besten abzulesen sind am Konsum wie Restaurantbesuchen, Einkaufsbummeln nach dem Lockdown oder Reisen, und wenn es nur Wochenendtrips waren. Hier gibt es zwei limitierende Faktoren: das verfügbare Haushaltseinkommen und die zur Verfügung stehende Zeit, sprich Urlaubs- beziehungsweise Ferientage. Diese drei Faktoren sprechen für einen im Zeitablauf nachlassenden Inflationsdruck und damit nicht für höhere Leitzinsen und Bondrenditen.

Der vierte Faktor ist schwieriger zu beurteilen. Das ist die Unsicherheit, die die Pandemie bei Wirtschaftssubjekten hinterlässt. Sparen sie das Geld aus Angst vor Arbeitsplatz- und Einkommensverlust, oder geben sie es gerade deshalb aus? In früheren Krisen war Zurückhaltung angesagt. Gut möglich, dass es dieses Mal wieder so ist und die Inflation von dieser Seite nicht angeheizt wird.

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