IM INTERVIEW: ROBERT REICHLE, BERENBERG

Noch Chancen in Emerging Markets

Bonds werfen laufende Erträge von mehr als 5 Prozent ab - Assetmanager rät zu Lokalwährungsanleihen

Noch Chancen in Emerging Markets

In Schwellenländern ergeben sich trotz der guten Performance in diesem Jahr noch interessante Perspektiven. Diese Einschätzung gibt Robert Reichle, der bei Berenberg im Assetmanagement für die Emerging Markets zuständig ist, im Interview der Börsen-Zeitung ab. Anleger können hier noch laufende Erträge von über 5 % erzielen. Laut Reichle ist es jetzt eine gute Zeit, um in Lokalwährungsanleihen zu gehen.- Herr Reichle, Schwellenländer haben in diesem Jahr zumeist eine recht gute Performance gezeigt. Lohnt jetzt noch ein Einstieg in Bonds der Emerging Markets?Das ist von der angestrebten Haltedauer der Anleihen abhängig. Für relativ kurzfristige Positionierungen ist der Markt insgesamt schon recht gut gelaufen. Für strategische Investitionen ist es hingegen nicht so ausschlaggebend, ob die Märkte nun sehr gut, nur gut oder gar schlecht gelaufen sind. Denn wir setzen hier viel mehr Augenmerk auf den laufenden Ertrag. Der ist mit über 5 % noch relativ hoch. Aufgrund der fundamentalen Stärke der Emerging Markets im Vergleich zu den entwickelten Märkten ergeben sich hier noch interessante Einstiegsmöglichkeiten.- Wie stehen Sie aktuell zu Ungarn nach der jüngst erfolgten Höherstufung des Ratings?Ungarn hat auf fundamentaler Ebene eine sehr gute Entwicklung vollzogen. Das hat dem Land ja auch jetzt das Investment-Grade-Rating eingebracht. Positiv ist auch die Nähe des Landes zum westlichen Kapitalmarkt anzusehen.- Viele Anleger sind weiterhin an China interessiert. Wie stufen Sie die Situation im Reich der Mitte ein?In China hat sich die wirtschaftliche Aktivität auf einem etwas niedrigeren Niveau als früher stabilisiert. Die Zahlen der Industrieproduktion sehen aktuell relativ gut aus. Das Gleiche gilt für das Wirtschaftswachstum. Der Finanzsektor ist derzeit als relativ ruhig anzusehen. Das sind alles zusammengenommen gute Voraussetzungen, um wieder in den Portfolios der Anleger enthalten zu sein.- Welche Risikofaktoren sehen Sie für diese beiden Länder?Fluch und Segen zugleich ist für Ungarn die Nähe zu der EU. Sollte die EU-Schuldenkrise wieder aufflammen, dann bekommt Ungarn das aufgrund seiner direkten Nachbarschaft wiederum sehr schnell zu spüren und wird in Mitleidenschaft gezogen. In China ist es die weitere Entwicklung am US-Staatsanleihemarkt, die Sorgen bereiten kann. Bei den exogenen Faktoren kann auch die Entwicklung des Ölpreises für Beeinträchtigungen der wirtschaftlichen Aktivität sorgen. Platzt im Reich der Mitte einmal die Immobilienblase, dann können wir bei den Unternehmen auch sehr schnell deutlichere Anstiege der Ausfallraten, das heißt der Default Rates sehen. Dann müssten wohl auch wieder die Wachstumsprognosen nach unten korrigiert werden.- Sollten Anleger auf Hartwährungsanleihen oder lieber die Lokalwährungsbonds setzen?Rein zyklisch betrachtet ist es jetzt eine gute Zeit, um in die Lokalwährungsanleihen zu gehen. Die Hartwährungsanleihen sind schon recht gut gelaufen in diesem Jahr. Die Volatilität am US-Staatsanleihemarkt könnte gegen Ende dieses Jahres dann doch noch ansteigen, und zwar aufgrund eines etwaigen Zinsschritts der US-Notenbank. Langfristig macht eine strategische Investition in die Lokalwährungsanleihen aufgrund der wiedererlangten fundamentalen Stärke der Länder aus unserer Sicht durchaus Sinn. Diese Bonds haben im Vergleich zu den gut gelaufenen Hartwährungsbonds das attraktivere Preisentwicklungspotenzial, sollten also langfristig besser abschneiden.- Zu welchen Laufzeiten raten Sie Anlegern?Tendenziell zu eher kurzen Laufzeiten. Denn die Zinsen sind im Lokalwährungsbereich bei kurzer Bindungsdauer schon relativ hoch. Bei Hartwährungsanleihen würde ich aufgrund der erwarteten Volatilität am US-Treasury-Markt eher auf die mittleren Laufzeiten setzen. Also zwei bis drei Jahre Fälligkeit in den Lokalwährungsbonds, fünf bis sieben Jahre Laufzeit dagegen bei den Hartwährungsanleihen.- Erwarten Sie noch einen Zinsschritt der US-Notenbank in diesem Jahr?Tendenziell bin ich immer ein Bond-Bulle gewesen. Ich war nur allzu oft der Meinung in der Vergangenheit, dass die US-Wirtschaft nicht so gut läuft, wie oftmals in den Medien dargestellt. Deshalb war ich auch sehr skeptisch mit Blick auf die Zinsanhebungsfantasie zu Beginn dieses Jahres. Jetzt ist die Fed wiederum unter Zugzwang, den Schritt zum Jahresende hin vorzunehmen genau wie 2015. Deshalb sehe ich jetzt einen Zinsschritt im Dezember und danach wird die Fed wiederum erklären, dass weitere Schritte in der Geldpolitik datenabhängig erfolgen werden.- Können die Schwellenländer einen Zinsschritt der Fed mittlerweile verkraften, oder ist die Situation ähnlich wie noch vor ein oder zwei Jahren, als die Fed unter anderem mit Blick auf mögliche Verwerfungen in den Emerging Markets zurückhaltend agierte und den Leitzins nicht antastete?Die Emerging Markets haben die Zeit hoffentlich genutzt, um mit günstigen Refinanzierungsbedingungen aufgrund der niedrigen Zinsen die Reformen in den Ländern voranzutreiben, sich zu entschulden und auch Infrastrukturprojekte voranzutreiben. Ich denke, dass hier deutliche Fortschritte erzielt worden sind. Die Wachstumsschere zwischen den Emerging Markets und den entwickelten Märkten geht wieder auseinander. Deshalb sollten sie den US-Zinsschritt, der womöglich in diesem Jahr kommt, und wohl noch ein bis zwei US-Zinsschritte im kommenden Jahr verkraften können. Bei den Investoren hat auch ein Reifeprozess stattgefunden. Es dürfte mittlerweile vielen klar geworden sein, dass ein Zinsanhebungszyklus, wenn er sich denn in den USA mal sukzessive vollziehen wird, die Zinsen nicht auf Niveaus befördern wird, wie das mal in der Vergangenheit zu sehen war. Hier ist es in den Emerging Markets auch absehbar, wie viel Verluste durch US-Zinsanstiege wiederum durch eine Spread-Kompression aufgrund der erwarteten fundamentalen Verbesserung in den Emerging Markets kompensiert werden können. Ein bis zwei Zinsschritte in den USA sehe ich infolgedessen nicht als Problem an.- Von welchen Emerging Markets raten Sie im gegenwärtigen Umfeld ab?Wir raten von Ländern wie Venezuela ab, das zwar sehr gut gelaufen ist. Hier könnte mittelfristig ein politischer Wechsel stattfinden. Dabei ist aber nicht garantiert, dass der Wille von Präsident Nicolas Maduro, die Bonds des Landes den Investoren auch zurückzuzahlen, auch weiterhin von der Opposition mitgetragen wird. Es könnte auch sein, dass es zu Laufzeitverlängerungen kommt, um die Investoren länger an das Land zu binden und damit auch auf Zeit zu spielen, um von einem eventuell später wieder ansteigenden Ölpreis zu profitieren. Wir sind darüber hinaus untergewichtet in Russland und der Türkei.- Welche Negativfaktoren machen Sie in Russland und der Türkei aus?Es sind aktuell vor allem politische Risiken, die in diesen Ländern vermehrt auftreten. Diese schlagen sich dann auch mittelfristig in einer fundamentalen Verschlechterung, das heißt der wirtschaftlichen Situation des Landes nieder.—-Das Interview führte Kai Johannsen.