IM INTERVIEW: NICHOLAS GARTSIDE, J.P. MORGAN ASSET MANAGEMENT

"Noch hat es nicht angefangen"

Der International CIO Global Fixed Income, Currency & Commodities über Brexit, Bonds und Benchmarks

"Noch hat es nicht angefangen"

Nicholas Gartside von J.P. Morgan Asset Management hat keine Angst vor britischen Staatsanleihen oder Hochzinsanleihen. Bei Investment-Grade-Bonds sei das Verhältnis von Risiko und Rendite weniger günstig.- Herr Gartside, haben sich Anleger, die britische Staatsanleihen im Portfolio haben, wirklich in ein Bett aus Nitroglyzerin gelegt, wie Bill Gross einmal sagte?Das hat er vor ein paar Jahren gesagt.- Und befindet sich damit wieder auf der Höhe der Zeit, oder?Britische Anleihen haben sich dieses Jahr sehr gut entwickelt. Der UK-Staatsanleihenindex hat 15 % Ertrag gebracht. Damit ist Großbritannien unter den entwickelten Ländern in diesem Jahr bislang der beste Markt für Staatsanleihen. Wir denken, dass sich das möglicherweise fortsetzen kann.- Warum?Wenn man sich überlegt, was die Gilt-Renditen stützt, sind da einerseits die wirtschaftlichen Rahmendaten. Das Wachstum wird sich vermutlich verlangsamen. Die Inflation könnte gut ein bisschen steigen. Die Abwertung des Pfunds saugt Inflation förmlich an. Aber diese Inflation ist wie eine Steuer für die Menschen, denn sie ist nicht mit einer Lohnerhöhung verbunden. Die Bank of England hat bereits sehr deutlich gemacht, dass sie durch diese Entwicklung hindurchsehen wird.- Und andererseits?Der andere Faktor, der Gilts stützt, ist die Bank of England selbst. Sie kauft über sechs Monate hinweg Anleihen für 60 Mrd. Pfund. Es ist wahrscheinlich, dass sie ihr Kaufprogramm danach verlängern wird. Die Zentralbank hält bereits rund ein Viertel des Gilt-Markts. Das könnte noch mehr werden. Die Renditen dürften dadurch niedrig bleiben.- Wird es die Notenbank schaffen, die geplante Menge langlaufender Gilts zu erwerben?Ja, das werden sie. Pensionskassen halten zwar gerne daran fest, aber das hängt vom Preis ab.- Die Renditen werden also noch mehr gedrückt.Das ist das Risiko dabei. Die Bank of England ist wirklich nicht preissensitiv. Während meiner Karriere war die Zinskurve zwischen den 10- und 30-jährigen Gilts die meiste Zeit invertiert. Jetzt ist sie das nicht. Unsere Sicht ist, dass die Kurve flacher werden wird. Irgendwann wird sie wieder invertiert sein. Das wirft für britische Versorgungswerke Fragen auf, weil ihr Diskontsatz in der Regel der Rendite der 20-jährigen Gilts, also dem langlaufender Gilts entspricht.- Mit erheblichen Auswirkungen auf die betriebliche Altersversorgung.Auf jeden Fall. Das Missverhältnis zwischen Assets und Verbindlichkeiten wird dadurch vergrößert.- Wie sieht der Markt eigentlich aus? Wie groß ist der Anteil derjenigen, die sich an der Rendite orientieren, und wie groß derjenigen, für die der Kurs im Vordergrund steht?Es gibt eine Gruppe von Anlegern, die sagen: “Wir müssen essen”, und für die deshalb die Rendite zählt. Sie brauchen die Rendite einfach für ihre täglichen Abflüsse. Auf der anderen Seite gibt es eine wachsende Zahl von Investoren, die sich auf den Gesamtertrag konzentrieren. Vor fünf Jahren lag die Rendite zehnjähriger japanischer Staatsanleihen bei 1 %. Der annualisierte Gesamtertrag belief sich auf 3 %. Anleihen können einem also nicht nur einen Kupon bescheren, sondern auch Kursgewinne – oder auch Verluste. Der Ansatz, mit seinem Bondportfolio Kursgewinne erzielen zu wollen, wird vermutlich wichtiger, weil Zinsen und Renditen inzwischen insgesamt viel niedriger sind.- Gilts werden ja vor allem von Versorgungswerken gehalten.Das dürfte die Kurse stützen.- Und die Bank of England kauft.Das ist der Elefant im Raum.- Das ist so ein bisschen wie in Japan.Und in Europa ist es nicht viel anders. Die EZB kauft einen wachsenden Anteil der Staatsanleihen. Das Nettoangebot ist negativ. Die Zentralbank saugt die Bonds gewissermaßen aus dem Markt. Das ist ein großer Ankerinvestor, der dafür sorgt, dass die risikofreie Rendite niedrig bleibt.- Ich habe mir mal die Kaufliste der Bank of England für Corporate Bonds angesehen. Hat es irgendeinen Sinn, wenn sie dafür sorgt, dass die Finanzierungskosten von Apple oder BMW sinken?Ja, denn Großbritannien ist eine sehr offene, internationale Volkswirtschaft. Man braucht natürlich ein paar Kriterien. Die Bank of England setzt auf Unternehmen, die einen wesentlichen Beitrag zur wirtschaftlichen Aktivität im Land leisten. Das ist natürlich eine Frage der Interpretation. Aber wenn man sich die Liste ansieht, leisten alle diese Firmen einen Beitrag.- Die EZB zeichnet Bonds schon bei Emission.Die Bank of England macht das nicht. Sie kauft nur auf dem Sekundärmarkt. Die EZB kauft allerdings schon lange am Primärmarkt. Angefangen hat das mit dem Covered-Bond-Programm. So kann die EZB in kurzer Zeit eine Menge Anleihen kaufen.- Sonst würde ihr keiner etwas verkaufen?Es ist eine Frage der Zeit und des Preises. Am Ende ist das größte Risiko, das die EZB eingeht, Kreditrisiko. Aber sie fühlt sich offensichtlich wohl mit den Risiken, die sie nimmt.- Wir beobachten aber nicht etwa, wie eine Blase entsteht?Nicht wirklich.- Unternehmen haben sich ziemlich vernünftig verhalten, wenn man bedenkt, dass sich nahezu alles am Bondmarkt platzieren ließe.Wenn der Verschuldungsgrad der Unternehmen stark steigen würde, könnte man anfangen, sich Sorgen um eine Blase zu machen. In Europa ist der Verschuldungsgrad aber nicht sehr aufregend – weder besonders hoch und noch besonders niedrig. Was man zudem im Auge behalten muss, ist der Verwendungszweck der aufgenommenen Mittel. Die Firmen könnten investieren, aber der weltweite Wachstumsausblick ist nicht gerade berauschend. Sie könnten das Geld auch zurücklegen, aber wenn sie es auf die Bank tragen, müssen sie dafür bezahlen.- Sie könnten damit Aktien zurückkaufen und Dividenden zahlen. Kann das noch lange so weitergehen?Ich denke schon. Das Ziel dieser Politik ist, das Wachstum zu fördern und Inflation hervorzubringen. Das ist der Maßstab. Bislang hat sie in diesem Punkt keinen Erfolg. Das Wachstum ist zwar nicht auf dem Niveau einer Rezession, aber auch nicht gerade stark. Der Preisauftrieb ist und bleibt schwach.- Vielleicht sollte die EZB ja Öl oder Autos kaufen.Darauf werden wir wohl noch eine Weile warten müssen.- Wozu führt das alles?Man muss die Kursgewinne stärker ins Auge fassen, was zu einem anderen Anlagestil führen könnte. Man möchte, dass der Portfoliomanager ein bisschen mehr Spielraum hat, um Anleihen auszuwählen, die ihm gefallen.- Wie weit können die Renditen denn noch fallen? Wie viel Spielraum haben Sie als Fondsmanager da noch?Noch eine ganze Menge. Was die Renditen unter null getrieben hat, waren die Zinssenkungen der Zentralbanken. Vielleicht wird die Bank of Japan die Zinsen erneut senken. Wir halten es für unwahrscheinlich, dass die EZB den Einlagensatz noch viel weiter senken wird, weil negative Zinsen wirklich wie Steuern funktionieren. Es gibt Widerstand dagegen, also reagiert man mit anderen Lockerungsmaßnahmen wie Quantitative Easing.- Und dann?Wir halten es für sehr wahrscheinlich, dass der Anteil der Bonds mit negativen Renditen am Gesamtmarkt steigen wird, wenn auch in einem langsameren Tempo. Die Zinskurven werden dadurch flacher und flacher. Anleger werden längere Laufzeiten und eine geringere Kreditwürdigkeit in Kauf nehmen, um noch einen Ertrag zu erwirtschaften. Bonds mit negativen Renditen wird es aus unserer Sicht noch eine ganze Weile geben.- Man muss also eine Menge Laufzeitrisiko nehmen?Ohne Zweifel.- Vielen Leuten ist nicht ganz klar, was das bedeutet. Wenn die Zinsen steigen, könnte man hohe Verluste einfahren.Definitiv. Wir haben 2013 einen Vorgeschmack darauf bekommen. Das haben alle schon wieder vergessen, aber grob gesagt waren die Aktienmärkte 2013 um 10 bis 20 % im Plus. Für Bonds war es aber das schlechteste Jahr seit 1994, dem Musterjahr für einen Bärenmarkt. Die zehnjährigen US-Staatsanleihen gingen mit einer Rendite von rund 1,6 % in das Jahr. Am Ende lag sie bei etwas mehr als 3 %. Damit ging man mit einem Verlust von rund 7 % aus dem Jahr.- Das lässt sich nicht so einfach weghedgen.Ja. Es gibt verschiedene Wege, sich Zugang zum Bondmarkt zu verschaffen. Man kann einen Fonds kaufen, der einen Index als Benchmark verwendet. Die Laufzeit dieses Index ist in den vergangenen Jahren gestiegen. Man hat also mehr Laufzeitrisiko und bezieht damit Stellung dazu, wie sich die Renditen entwickeln werden. Strukturell werden die Zinsen aus unserer Sicht niedrig bleiben, aber sie werden natürlich schwanken. Die andere Möglichkeit ist, sich nicht mehr an Benchmarks zu orientieren, und das beobachten wir verstärkt. Benchmarks zwingen einem einen Stil auf, der für viele Anleger nicht unbedingt angemessen ist. Die andere Herangehensweise an das Management von Bondinvestments ist also Agnostizismus. Man verfolgt einfach seine besten Investment-Ideen.- Sind Benchmarks immer noch ein großes Thema bei der Anlage in Anleihen?Sehr! Das meiste Geld im Bonduniversum folgt auf die eine oder andere Weise einer Benchmark.- Dann kauft man nur die Anleihen der größten Schuldner.Das tut man. Und das ist eines der größten Probleme der Benchmarks für Anleihen. Sie belohnen schlechtes Verhalten. Wir beobachten eine Bewegung hin zu dem, was wir “Unconstrained” nennen.- Was muss man darunter verstehen?Im Grunde sind das die besten Ideen weltweit. Wenn man Duration mag, holt man sich Laufzeiten von fünf Jahren oder länger. Wenn man kein Laufzeitrisiko möchte, nimmt man einjährige Anleihen, oder auch nur sechs Monate. Wenn man Schwellenländer mag, nimmt man eine Menge Schuldtitel von dort. Wenn nicht, lässt man sie weg. Damit bestimmt der Fondsmanager die Asset-Allokation. Dieser Stil wird immer beliebter. Seltsamerweise haben wir Benchmarks, in denen sich Risiken konzentrieren. Wir haben dort eine Konzentration von Laufzeitrisiko und auch von Branchenrisiko.- Gibt es am Corporate-Bond-Markt nicht ein Missverhältnis zwischen Risiko und Rendite?Bei den High-Yield-Bonds nicht. Da haben wir in Europa Spreads von rund 4 %, in den USA von 5 %. Das Risiko besteht darin, dass die Ausfallquote steigen könnte. Wir glauben aber, dass sie ziemlich niedrig bleiben wird.- Warum?Einer der Gründe dafür ist, dass das Zinsniveau einfach so niedrig ist. Die Firmen können ihre Schulden sehr einfach und günstig refinanzieren. Ein rollierender Kredit hat kein Ausfallrisiko. Wenn man sich dagegen den Investment-Grade-Markt ansieht, sehen bestimmte Sektoren unattraktiv aus. Die Rendite des Index in Europa liegt bei rund 0,6 %. Es gibt hier inzwischen eine ganze Reihe von Unternehmensanleihen mit negativer Rendite. Da ist das Verhältnis von Risiko und Rendite weniger günstig. Auf der anderen Seite gibt es Bonds mit höheren Renditen, Bankanleihen zum Beispiel. Wir finden ausgewählte Schuldentitel europäischer Banken interessant. Wenn man auf den US-Markt blickt, liegt die Rendite der Unternehmensanleihen bei 3 %. Es kommt natürlich darauf an, was man sich ansieht, aber es gibt definitiv Teile des Corporate-Bond-Index, die teuer wirken.- Man sollte also den iBoxx Crossover aber noch nicht shorten.Nein, nein, nein!- Mittlerweile ist klar, dass es wirklich zum Austritt Großbritanniens aus der EU kommen wird. War das noch überraschend?Es sollte eigentlich keine Überraschung sein. Es hat ein sehr klares Abstimmungsergebnis gegeben. Das Resultat ist bekannt. Der Markt denkt meiner Meinung nach so darüber: Der Brexit hat noch nicht begonnen. Je mehr Fakten auf den Tisch kommen, desto mehr wird von den Märkten eingepreist. In den vergangenen Jahren haben wir alle gelernt, dass es zwar jede Menge Lärm und Polittheater gibt, aber keiner weiß, was am Ende passieren wird. Mit der Zeit werden wir mehr erfahren und sagen können, was Brexit eigentlich heißt. Noch hat es nicht angefangen. Heute weiß keiner, was es tatsächlich bedeutet.- Den jüngsten Aussagen zufolge das Verlassen des europäischen Binnenmarkts.Wie gesagt, Klarheit bekommen wir erst in sechs oder sieben Monaten.- Theresa May sagte doch, dass Lebensmittel danach so beschriftet werden können, wie man das in Großbritannien will. Es geht also auch noch um ganz andere Themen.So weit wird am Markt nicht in die Zukunft gedacht.—-Das Interview führte Andreas Hippin.