IM INTERVIEW: GEORGE MUZINICH, MUZINICH & CO.

"Notenbank saugt die Liquidität geradezu auf"

Der Chairman und CEO des High-Yield-Spezialisten über die Käufe von Unternehmensanleihen durch die EZB und Verlustrisiken in Staatsanleihen

"Notenbank saugt die Liquidität geradezu auf"

George Muzinich warnt seine institutionellen Kunden seit Jahren vor dem steigenden Schuldenberg, den die Staaten weltweit aufbauen. Der auf Unternehmensanleihen spezialisierte Vermögensverwalter sieht die Eingriffe der Europäischen Zentralbank (EZB) in den Corporates-Markt kritisch, wie er im Interview der Börsen-Zeitung erklärt, und erwartet hohe Volatilität.- Herr Muzinich, im Juni beginnt die Europäische Zentralbank, Unternehmensanleihen am Primär- und Sekundärmarkt aufzukaufen. Was ist davon zu erwarten?Lassen Sie es mich so formulieren: Es gibt überall eine Menge an Liquidität, außer an den Kapitalmärkten. Wenn die Notenbank Anleihen kauft, reduziert sie die geringe noch vorhandene Liquidität. Sie saugt sie geradezu auf. Das bedeutet eine höhere Volatilität. Das zweite Problem ist, dass sie einen weiteren künstlichen Markt schafft. Auch mit massiver Intervention der Zentralbanken müssen artifizielle Märkte irgendwann wieder zurück zur Realität finden. Künstliche Märkte unterhalten aber ein künstliches Umfeld, umso schwieriger ist dieser Prozess.- Was also bedeuten die Eingriffe der EZB im europäischen Corporates-Markt?Die Ankündigung der EZB, Unternehmensanleihen kaufen zu wollen, war für diemeisten Investoren unerwartet und führte zu einer massiven Einengung der Spreads. Fraglich ist, ob eine weitere Einengung der Spreads sich entwickeln wird oder ob es wieder zu einer Ausweitung führt. Wir haben in der Vergangenheit erlebt, dass die quantitativen Maßnahmen der Zentralbanken zu erhöhter Volatilität führen, wie man bei Pfandbriefen und Asset Backed Securities gesehen hat. Darüber hinaus sehen wir auch eine zunehmend engere Liquidität in den Bondmärkten.- Wie kommt die Notenbank hier wieder raus?Im Grunde sprechen wir über einen Paradigmenwechsel der Zentralbankpolitik. Wir würden erwarten, dass im besten Fall die Zentralbanken diese Politik langsam wieder zurückdrehen werden. Es besteht jedoch die Angst, dass unerwartete Reaktionen der Zentralbanken zu erhöhter Volatilität an den Märkten führen werden. Grundsätzlich stellt sich die Frage, ob die Zentralbanken wieder zu ihrer ursprünglichen Aufgabe der Steuerung der Geldpolitik zurückkehren werden und welche Maßnahmen sie hierbei nutzen können.- Das kann nicht ewig gutgehen?Wenn die Zentralbanken eine sehr stark stimulierende Geldpolitik verfolgen – wie kommt man da wieder heraus? In den USA versuchen wir die Lockerungsmaßnahmen etwas zurückzunehmen. Wir treten nicht auf die Bremse, wir nehmen nur den Fuß etwas vom Gaspedal, so sanft wie nur möglich. Und schon das erste Anzeichen davon macht den Markt nervös.- Waren die Kurseinbrüche im Januar in Aktien und High-Yields auch auf den Entscheid der US-Notenbank zurückzuführen, den Leitzins zu erhöhen?Das war nur ein Element von mehreren, das dazu beigetragen hat. Die Gründe sind weit komplexer. Eine der Kernschwierigkeiten unserer modernen Finanzgesellschaft ist der zu große Schuldenberg. Es wird versucht, Wachstum durch Schulden zu generieren. Wir haben heute mehr Verbindlichkeiten ausstehend denn je – von Staaten und Unternehmen, global gesehen. Dazu kommt dann noch die außergewöhnlich expansive Zentralbankpolitik. Das könnte zu einer Blase führen. Je länger diese Situation andauert, desto schwieriger ist es, daraus wieder herauszukommen, ohne dass es zu großen Verwerfungen kommt.- Sehen Sie nicht richtig gepreiste Anleihen?Derivate oder gehebelte Kräfte oder Staaten, die in ihren Kaufs- und Verkaufsaktionen nicht den Wert spiegeln, schaffen Verzerrungen. Jede Finanzkrise ist durch zu viele Schulden ausgelöst worden. 2008 war eine Katastrophe, die zugrunde liegenden Assets waren zu hoch gehebelt.- Wie lautet Ihre Empfehlung im Unternehmensanleihen-Bereich?Auf einer Risiko-Ertrags-Perspektive werden Anleger im Bereich unterhalb des Investment Grade angemessen entschädigt, wobei eine genaue Analyse der Kreditwürdigkeit immer vorausgesetzt ist. Man muss vorsichtig sein. Aber es gibt bis 5 oder 6 % Rendite, mit einigermaßen kurzen Laufzeiten. Seien dies nun europäische Adressen oder US- oder Schwellenländer-Emittenten.- Kommen wir noch einmal auf die Zentralbanken. Diese argumentieren, dank ihrem Handeln würden die Kapitalkosten der Unternehmen sinken, und dies treibe Investitionen an.Die Japaner haben dies eine Weile versucht, sind aber nicht sehr erfolgreich damit. Wir haben enormen Respekt davor, was die Notenbanken tun. Das Problem ist: Es braucht fiskalische und strukturelle Reformen. Die Notenbanken kaufen Zeit. Gelddrucken schafft kein Wachstum.- Schaffen die Notenbankaktionen mehr Schaden als Nutzen?In siebenhundert Jahren Bankgeschichte gab es noch nie nominale Negativzinsen. Die Fed hat quantitative Lockerung mehrfach als Experiment bezeichnet. Wohin das führt, wir wissen es nicht; auch die EZB nicht.- Was wäre konkret die Lösung?Flexiblere Arbeitsmärkte und ein Abbau der Bürokratie in Brüssel. Es müsste ein Umfeld geschaffen werden, das Wachstum, Ausgaben, Investitionen fördert. Es gibt einen psychologischen und einen wirtschaftlichen Faktor. Es gibt Regeln und Regulierungen, die immer schwieriger zu interpretieren sind. Man muss die Arbeitsregeln ändern, vielleicht weniger in Deutschland als in anderen Ländern. Die Insolvenzrechte müssten neu ausgerichtet werden, es müsste steuerliche Anreize für Unternehmertum geben und man sollte ehrlich zu den Wählern sein und ihnen klarmachen, dass sie längerfristig bis zum 70. oder 72. Lebensjahr arbeiten müssen.- Was bedeutet das für Ihre Geschäfte?Es gibt immer günstige Gelegenheiten. Aber die Kosten, um Geschäfte zu machen, sind gestiegen, substanziell. Die beste Regulierung wäre so wie der Glass-Steagall Act aus dem Jahr 1933. Glass-Steagall war eine schlanke, verständliche Regulierung. Der Dodd-Frank Act ist massiv umfangreicher. Wenn Regulierungen zu komplex werden, wird die Wirtschaft dysfunktional.- Wäre es eine gute Idee, wenn die EU eigene Bonds ausgeben würde?Das ist eine sehr delikate politische Frage, auf die ich nicht eingehen möchte.- Die dreißigjährige Anleihe Argentiniens bietet einen Kupon von 8 %. Ist das risikogerecht?Nachdem Argentinien mit ihrer neuen Regierung sich marktfreundlicher zeigt, wäre es für einen kurzfristigen Kauf nachvollziehbar, langfristig sehen wir jedoch eine sorgfältige Analyse geboten. Dies gilt im Übrigen auch für andere Staatsanleihen. Darüber hinaus muss man sich auch der Nachfrage der Investoren für solche Anleihen bewusst sein.- Dabei sind die realen Renditen wegen der tiefen Inflation gar nicht so schlecht, der reale Zins war auch schon tiefer.Die Wahrnehmung ist aber eine andere. Würden Sie lieber eine Gehaltserhöhung über 5 % bei 4 % Inflationsrate erhalten, oder eine über 2 % bei null Prozent Inflation? Das ist übrigens auch der Grund, warum die Zentralbanken versuchen, eine Inflationsrate in der Nähe von 2 % zu halten. Denn Geldwertstabilität besteht bei null Prozent Inflation. Geldentwertung würde natürlich auch den Schuldenberg erträglicher machen. Eine Inflation stimuliert zu Investitionen und Konsum, denn das Geld könnte morgen weniger wert sein.- Was halten Sie von Zwangswandelanleihen der Banken, Cocos?Cocos sind Anleihen, die für positive Marktsituationen bestimmt sind. Wir haben eine fundamentale Investitionsphilosophie und sehen Cocos für unsere Portfolien nicht als geeignet an.- Sie haben Japan erwähnt, als warnendes Beispiel. Kommt von dort die nächste Herausforderung?Japan braucht strukturelle Reformen. Es ist eine sehr stark exportabhängige Industrie. Sie braucht Erleichterungen, durch eine Yen-Schwäche, aber das schafft neue Probleme. Die Relevanz für die Zukunft einzuschätzen ist schwierig. Als der thailändische Baht abstürzte, dachte niemand daran, dass dies der erste Funke sein würde, der die Schuldenkrise in Asien anzündet. Ich bin grundsätzlich sehr besorgt, dass es auch durch die Notenbankpolitik und die Liquiditätsschwemme bei gleichzeitig künstlichen Märkten zu substanziellen Schwankungen im Markt kommt, zu Risk-on- und Risk-off-Wellen, die durch Indexfonds und Hedgefonds vergrößert werden und schwierig zu absorbieren sind. Im Übrigen kann dies auch Bundesanleihen oder Treasuries treffen, wenn es etwa erste Anzeichen einer Stagflation geben sollte. Da sind massive Verluste möglich.—-Das Interview führte Dietegen Müller.