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Notenbankautonomie als positives Signal

Von Stefan Grothaus *) Börsen-Zeitung, 13.11.2018 In den vergangenen Monaten wurde die Notwendigkeit einer unabhängigen Geldpolitik immer wieder heftig debattiert. So hatte sich der türkische Präsident Recep Erdogan wiederholt offen gegen...

Notenbankautonomie als positives Signal

Von Stefan Grothaus *)In den vergangenen Monaten wurde die Notwendigkeit einer unabhängigen Geldpolitik immer wieder heftig debattiert. So hatte sich der türkische Präsident Recep Erdogan wiederholt offen gegen notwendige Zinserhöhungen ausgesprochen, und auch Donald Trump hat sich zuletzt immer wieder kritisch gegenüber der Fed gezeigt. Aus Sicht des Finanzmarktes jedoch ist die Unabhängigkeit der Geldpolitik unantastbar. Investoren mögen bei ihren Entscheidungen keine hohen moralischen oder ethischen Standards an den Tag legen, geht es doch um die Geldpolitik, hört bei vielen der Spaß auf. Diskussion über BCP-Mandat Auch in Brasilien wird nach der Wahl nun über die Unabhängigkeit der Banco Central do Brasil (BCB) diskutiert. Allerdings geht es der neuen Regierung unter Jair Bolsonaro nicht darum, diese zu beschneiden. Im Gegenteil: Sie soll gestärkt werden. Bislang hat die BCB zwar einen gewissen Grad der Autonomie bei der Festsetzung der Geldpolitik, die Führungsmannschaft der Notenbank wird aber von der jeweiligen Regierung besetzt und kann somit auch jederzeit wieder abberufen werden. So kam auch der derzeitige Notenbankchef Ilan Goldfajn im Juni 2016 mit den damaligen politischen Umwälzungen, der Amtsenthebung der Präsidentin Dilma Rousseff und der Amtsübernahme durch Michel Temer, zu seinem Posten.Mit dem Antritt des Ende Oktober gewählten neuen Präsidenten Bolsonaro zum Jahresanfang wäre daher auch eine Neubesetzung an der Notenbankspitze fällig. Bolsonaro bzw. sein wichtiger wirtschaftspolitischer Berater Paulo Guede hatten schon länger angedeutet Goldfajn in seinem Amt behalten zu wollen. Goldfajn trat sein Amt mit einer hohen Inflationsrate von über 9 % an, und es gelang ihm die Inflationsrate deutlich zu drücken, was es der Notenbank erlaubte, den Leitzins Selic auf ein Rekordtief von 6,5 % zu senken.Bereits die Regierung unter Präsident Temer liebäugelte damit, die Unabhängigkeit der Notenbank zu stärken, wozu insbesondere feste und langfristige Amtszeiten an der Notenbankspitze gehören würden, so dass es hier nicht bei jedem Regierungswechsel zu einer Neuorientierung kommt bzw. kommen kann. Allerdings fand dieses Thema vor der Wahlen kein Interesse im Parlament. Mit neuem Schwung versucht nun die neue Regierung einen entsprechenden Gesetzentwurf noch in der aktuellen Legislaturperiode (bis Ende Januar) durch das Parlament zu bringen.Es gibt eine Vielzahl von Studien, die zeigen, dass unabhängige Notenbanken tendenziell niedrigere Inflationsrate schaffen können als Notenbanken, deren Unabhängigkeit eingeschränkt ist. Insbesondere in Schwellenländern sollte diese Unabhängigkeit bevorzugt durch eine verfassungsmäßige Verankerung gefestigt werden, da diese andernfalls schnell wieder rückgängig gemacht werden könnte. Die Notenbank muss sich ohnehin erst über eine längere Zeit eine höhere Glaubwürdigkeit und einen entsprechenden Rückhalt in der Bevölkerung erarbeiten, der die Politik vor möglichen Angriffen auf die Autonomie der Notenbank zurückschrecken lassen würde.Doch auch eine unabhängige Notenbank muss sich aber an Vorgaben von Seiten der Politik orientieren. In Brasilien wird das Inflationsziel vom nationalen geldpolitischen Ausschuss festgelegt. In diesem Ausschuss hat die jeweilige Regierung das entscheidende Wort, woran sich auch künftig wohl wenig ändern wird. Nach einem Inflationsziel von 4,50 % für dieses Jahr wird das Ziel in den kommenden Jahren auf 4,25 % in 2019, 4,00 % in 2020 und 3,75 % in 2021 gesenkt, wobei jeweils eine Abweichung um 1,5 % nach oben oder unten toleriert wird. Mit diesen Schritten soll das Inflationsziel näher an die internationalen Standards gebracht werden. In der Zukunft ist daher mit einer weiteren Senkung der Zielgröße zu rechnen. Über eine Anpassung des Inflationsziels könnte die Regierung also auch künftig indirekt Einfluss auf die Geldpolitik nehmen.Eine glaubwürdige Verankerung der Autonomie der Notenbank würde jedoch die Inflations- und Risikoprämien dämpfen und entsprechend längerfristig zu niedrigeren Renditen führen. Am brasilianischen Anleihemarkt rentieren Staatsanleihen mit einer Laufzeit von zehn Jahren bei einem aktuellen Leitzins von 6,5 % noch mit über 10 %, und die Rendite ist in den vergangenen zehn Jahren nie unter 9 % gesunken.In Mexiko, wo die Autonomie der Notenbank stärker verankert ist, liegt das Inflationsziel bei 3,0 %, ein Wert, der langfristig vermutlich auch in Brasilien angestrebt wird. Trotz eines derzeit merklich höheren Leitzinses von 7,5 % und der Verunsicherung über die künftige Politik in Mexiko, die die Renditen scharf nach oben getrieben haben, liegen die Renditen mit 8,9 % (zehn Jahre) noch unter denen in Brasilien und haben in den letzten zehn Jahren die Marke von 9 % nur in Ausnahmefällen (Finanzmarktkrise 2008) überschritten. Dies zeigt das deutliche längerfristige Abwärtspotenzial der Renditen in Brasilien bei einer Kombination aus Notenbankautonomie und sinkendem Inflationsziel. Real wird gestärktDer Real dürfte eine solche Entwicklung sicherlich begrüßen. In den letzten Jahren bestand aufgrund der gegenüber dem Euroraum oder den USA deutlich höheren Inflationsrate ein permanenter Abwertungsdruck, der bei einem nachhaltig niedrigeren Preisauftrieb geringer ausfallen wird. Kurzfristig könnten Kapitalströme aufgrund der hohen realen Verzinsung dem Real sogar Auftrieb verleihen.Für die Einschätzung zur Entwicklung der Geldpolitik in den kommenden Monaten hätte eine stärkere Verankerung der Unabhängigkeit der Notenbankpolitik allerdings nur begrenzte Folgen. Derzeit überraschen die Inflationszahlen in Brasilien eher nach unten. Die mit den gestiegenen Energiepreisen verbundene Beschleunigung des Preisauftriebs blieb mit einem Anstieg der Jahresrate im Oktober auf 4,6 % insgesamt moderat und insbesondere die verschiedenen Maße der Notenbank für den Preisauftrieb halten sich stabil mit rund 3,5 % in der unteren Hälfte des Zielkorridors (für 2018 3 % bis 6 %). Dies deutet darauf hin, dass die in den kommenden Jahren sinkenden Inflationsziele bereits mit einer moderaten geldpolitischen Straffung erreicht werden können. Eine Unabhängigkeit der BCB würde erst bei einem erneuten politischen Wechsel, der auf absehbare Zeit nicht ansteht, auf die Probe gestellt. Die neue Regierung dürfte bei unerwartet kräftigen Zinserhöhungen, die wachstumsdämpfend wirken könnten, kaum an einer gerade implementierten Unabhängigkeit rütteln.—- *) Stefan Grothaus ist Analyst für Währungen bei der DZ Bank.