IM INTERVIEW: EUGEN WEINBERG, COMMERZBANK

"Öl wird in der nächsten Zeit weiter unter Druck stehen"

Rohstoffexperte: Opec wird Förderung nicht schnell kürzen - Marktturbulenzen dürften Goldnachfrage von Investoren und Zentralbanken beschleunigen

"Öl wird in der nächsten Zeit weiter unter Druck stehen"

Auch in diesem Jahr entwickeln sich die Rohstoffmärkte bislang insgesamt schwach. Dabei standen bislang vor allem die mehrjährigen Tiefststände des Ölpreises im Fokus. Eine Ausnahme ist der seit Jahresbeginn anziehende Goldpreis. Die Börsen-Zeitung hat den Leiter des Rohstoff-Research-Teams der Commerzbank, Eugen Weinberg, zu seiner Einschätzung der Rohstoffmärkte befragt.- Herr Weinberg, wie wird sich der Ölpreis Ihrer Einschätzung nach entwickeln?Öl wird in der nächsten Zeit weiter unter Druck stehen, weil wir eine Überversorgung haben. Von der Opec wird es so schnell keine Förderkürzung geben, die Nachfrage entwickelt sich recht schwach. Hinzu kommen weitere potenzielle Belastungen. So könnte ein Ende der Sanktionen gegen den Iran weiteres Angebot auf den Markt bringen. Ferner könnte es zu Produktionsausweitungen in Förderstaaten, die das gesunkene Preisniveau mit höherer Menge kompensieren wollen, kommen. Außerdem ist die Marktstimmung derzeit ein Negativfaktor.- Können Sie das erläutern?Derzeit sind die meisten Investoren davon überzeugt, dass der Ölpreis wieder steigen wird. Die Erfahrung zeigt, dass der Ölpreis unter solchen Voraussetzungen tendenziell eher nachgibt. Die Mehrheit liegt in der Regel falsch. So gingen im Jahr 2009, als der Ölpreis sein Tief bei 30 Dollar erreichte, die meisten davon aus, dass der Ölpreis weiter fallen würde. Der Ölpreis wird sicherlich wieder steigen, aber wir wollen erst sehen, dass nicht alle das denken.- Welche Voraussetzungen müssen noch gegeben sein, damit sich der Ölpreis wieder erholen kann?Wichtig ist, dass die Strategie der Opec aufgeht. Erste Ansätze dafür sind schon zu sehen. Viele Ölförderprojekte sind geschlossen worden oder werden nicht mehr angegangen. Im Verlauf des zweiten Halbjahres wird es zu einem Rückgang der Produktion kommen. In den USA kam es in den zurückliegenden drei Wochen bereits zum stärksten Rückgang der Ölbohrungen seit 27 Jahren. Es gibt deutliche Anzeichen dafür, dass die Ölindustrie begonnen hat umzudenken. Etliche Unternehmen haben angekündigt, dass sie ihre Neuinvestitionen deutlich reduzieren werden.- Wie lauten Ihre Ölpreisprognosen?Wir rechnen für das erste Quartal mit einem durchschnittlichen Preis der Sorte Brent von 45 US-Dollar. Dabei könnten auch noch Tiefen um 40 US-Dollar erreicht werden. Im vierten Quartal rechnen wir mit einem Durchschnittspreis von 75, nachhaltig erwarten wir Öl bei mehr als 70 Dollar.- Auch bei den Industriemetallen sind die Preise stark zurückgegangen. Wie beurteilen Sie die Lage in diesem Rohstoffsegment?Hier ergibt sich gegenwärtig ein gespaltenes Bild. Derzeit gibt es eine eindeutige Überversorgung mit Metallen. In den vergangenen Boom-Zeiten sind viele neue Minen in Betrieb genommen worden. Sie werden so schnell nicht wieder geschlossen. Dieses Überangebot stößt auch noch auf eine schwächelnde Nachfrage der Schwellenländer. Im Prinzip ist dieser Zustand zu begrüßen, weil dadurch auf Sicht die ineffizienten Minen geschlossen werden. Kurzfristig gehen derzeit von den großen chinesischen Infrastrukturinvestitionen positive Impulse aus, etwa auf die Kupfer- und Nickelpreise. Das Land hat unter anderem ein großes Schienennetzprojekt gestartet.- Welche Rolle wird China langfristig spielen?China arbeitet an einer grundsätzlichen Veränderung seines Wirtschaftsmodells. Dabei strebt die Führung ein nachhaltiges Wachstum an. Im Rahmen dieses Prozesses, bei dem etwa eine Stärkung des privaten Verbrauchs, aber auch die Gesundheitsfürsorge und der Umweltschutz stärker in den Fokus rücken, werden Sektoren wie der Konsum, Umwelttechnologie und Healthcare ein stärkeres Gewicht haben. Die Folgen der Transformation werden ein niedrigeres Wachstum und ein geringerer Einsatz von Industriemetallen sein.- Wie beurteilen Sie die Entwicklung des Goldpreises?Die Entwicklung beim Goldpreis ist sehr interessant, wenn man bedenkt, wie pessimistisch die Broker aufgrund der potenziellen Belastungsfaktoren starker Dollar und steigende US-Zinsen vor kurzem noch waren. Nach dem deutlichen Anstieg in den zurückliegenden Wochen wird Gold nun auf einmal als ein interessantes Investment angesehen. Die Turbulenzen an den Währungsmärkten lassen das Edelmetall als sinnvolle Alternative erscheinen, wenn man sich vor Augen führt, dass bei Zinsanlagen negative Realrenditen drohen. Gold ist ein essenzieller Bestandteil jeder Anlagestrategie.- Wie lautet Ihre Prognose?Wir waren zur Jahreswende positiv für Gold gestimmt und hatten eine Prognose für den Durchschnittspreis in diesem Jahr von 1 200 US-Dollar. Diese Prognose werden wir wahrscheinlich anheben. Insgesamt heben die Broker gegenwärtig ihre kurzfristigen Prognosen an. Sie gehen aber immer noch davon aus, dass der Goldpreis im zweiten Halbjahr fallen wird. Wir glauben das nicht, sondern sind vielmehr der Auffassung, dass Gold in vielen Währungsräumen gefragt wird. Selbst die Entscheidung der Schweizerischen Nationalbank, die Untergrenze des Euro-Franken-Kurses aufzugeben, ist nicht schlecht für das Metall. In Franken gerechnet ist Gold mit einem Schlag um 20 % billiger geworden.- Wie wird sich die Goldnachfrage der unterschiedlichen Marktakteure entwickeln?Wir sehen bereits eine gute Nachfrage der börsengehandelten Fonds. Hinzu kommen die Sicherheit suchenden Investoren. Die Zentralbanken haben seit dem Ende des Bretton-Woods-Systems stets Gold verkauft. Seit vier bis fünf Jahren treten sie wieder als große Käufer auf. Vor allem die Zentralbanken der Schwellenländer wie Russland, Indien, Kasachstan oder Südkorea haben massiv zugekauft. Angesichts der Turbulenzen an den Währungs- und Finanzmärkten dürften die Investoren und die Zentralbanken ihre physischen Käufe eher beschleunigen.- Was erwarten Sie für den Silberpreis?Silber wird sich im Fahrwasser von Gold bewegen. Das Metall hat kein Eigenleben.- Welche Aussichten haben Ihrer Einschätzung nach die landwirtschaftlichen Rohstoffe?Die Agrarrohstoffe sind im zurückliegenden Jahr deutlich unter Druck geraten. Es gab sehr ergiebige Ernten mit der Folge, dass die Lagerbestände sehr stark gestiegen sind. Das gilt insbesondere für den Getreidebereich. Es gibt aber einige Faktoren, die die Preise stabilisieren beziehungsweise stützen könnten. So könnte mit Russland ein wichtiger Anbieter als Folge von Sanktionen des Westens teilweise ausfallen. Hinzu kommt die anziehende Nachfrage, etwa durch den zunehmenden Fleischkonsum beziehungsweise die wachsende Fleischproduktion, für die Futtermittel benötigt werden. Auch ist die Stimmung unter den Marktteilnehmern für die Agrarrohstoffe sehr negativ. Wir denken, dass die Preise eher steigen werden. Allerdings steht einem deutlichen Anstieg der starke Dollar im Weg. Man darf nicht vergessen, dass die USA weltweit der größte Exporteur sind.- Welche Rolle spielt die ultralockere Geldpolitik für Rohstoffe allgemein?Rohstoffe sind Sachwerte. Insbesondere Gold wird von der ultralockeren Geldpolitik der Notenbanken profitieren. Aber auch die Nachfrage nach Metall- und Öl-Futures wird gestützt. Die Zentralbanken tragen auf jeden Fall dazu bei, die Preise zu stabilisieren.—-Das Interview führte Christopher Kalbhenn.