Pandemiebonds stehen in der Kritik

Laut Skeptikern wird Zweck nicht erfüllt - Weltbank-Anleihen ermöglichen Wetten gegen Seuchen

Pandemiebonds stehen in der Kritik

Mit Pandemiebonds will die Weltbank die Kapitalmärkte am Kampf gegen Seuchen beteiligen. Im Krisenfall sollen die darin eingezahlten Mittel an arme Länder ausgeschüttet werden. Aktuell fallen die Preise der Anleihen angesichts des Coronavirus deutlich – eine Auszahlung ist laut Kritikern aber unwahrscheinlich.Von Alex Wehnert, FrankfurtAls die Epidemie ausbricht, schaut die Weltgemeinschaft machtlos zu. Rasend schnell verbreitet sich das Ebola-Fieber ab Ende 2013 in Westafrika, einschließlich der Verdachtsfälle erkranken laut der Weltgesundheitsorganisation WHO fast 29 000 Menschen – 11 310 Todesopfer fordert die Seuche bis Anfang 2016. “Die Erfahrung mit Ebola zeigt nicht nur das mangelnde Vermögen armer Länder, mit einem solch schweren Krankheitsausbruch fertig zu werden, sondern auch eine gravierende Schwäche der internationalen Gemeinschaft, zeitnah, koordiniert und umfangreich zu reagieren”, heißt es von Quellen aus der Weltbank. Erst Ende September 2014 hätten die betroffenen Länder Mittel in signifikanter Höhe erhalten, zu diesem Zeitpunkt sei die Zahl der Ebola-Infektionen aber bereits explodiert. Laut Weltbank-Kreisen hätten Tausende Leben gerettet und Milliardenschäden für die Wirtschaft verhindert werden können, wenn die Hilfen schneller bereitgestellt worden wären. Weltbank scheut PrognoseUm dies künftig zu ermöglichen, entwickelte die Weltbank ihre 425 Mill. Dollar schwere Pandemic Emergency Financing Facility (PEF). Ein wichtiger Bestandteil der Fazilität sind die sogenannten Pandemiebonds im Nennwert von 320 Mill. Dollar. Diese hat die Internationale Bank für Wiederaufbau und Entwicklung (IBRD), ein Teil der Weltbankgruppe, 2017 mit Unterstützung der Rückversicherer Swiss Re und Munich Re in zwei Tranchen aufgelegt. Dahinter steht die Idee, Mittel von Großinvestoren einzusammeln, die im Notfall ohne Rückzahlungsverpflichtung an die ärmsten Länder der Welt ausgeschüttet werden können. Gerade im Zuge des aktuell grassierenden Coronavirus, das in China ausbrach und neben asiatischen Ländern inzwischen auch Italien hart getroffen hat, sind die Anleihen aber in die Kritik geraten. Denn trotz weltweit über 80 000 Corona-Infizierten und fast 2 800 Toten gibt es bislang keine Auszahlung aus den Pandemiebonds. Die Weltbank beobachtet die Situation nach eigenen Angaben genau, will aber keine Prognose abgeben, ob es während der aktuellen Krise überhaupt noch zu einer Ausschüttung kommt. Komplexe BedingungenDie Bedingungen für eine solche hat die IBRD in einem 386 Seiten starken Prospekt zusammengestellt. Darunter finden sich zum Beispiel die Todeszahlen, die erreicht sein müssen, um Zahlungen auszulösen. Für Ebola beispielsweise gilt, dass es mindestens 250 Tote in einem Land geben muss – und mindestens 20 in einem weiteren. Der erneute Ebola-Ausbruch 2018 qualifizierte sich nicht, weil es neben den 1 800 Toten in der DR Kongo nur in Uganda einige Opfer gab. Ausgeschüttet wurden lediglich 12 Mill. Dollar aus dem Liquiditätsfenster der PEF, das hauptsächlich durch eine Förderung Deutschlands in Höhe von 50 Mill. Euro gestützt wird. Fälle wie dieser und die bislang ausgebliebenen Hilfen zur Bekämpfung des Coronavirus-Ausbruchs sind Wasser auf die Mühlen der Pandemiebond-Kritiker.So werfen auch renommierte Forscher der IBRD vor, sie habe den Hilfsmechanismus über die Bonds so komplex gestaltet, dass er seinen Zweck nicht erfüllen könne. Wann er aktiviert wird und wie hoch die Auszahlungen sind, hängt unter anderem von der Art der Seuche ab, die bekämpft werden soll. Für Länder, die von einer pandemischen Grippe betroffen sind, stehen maximal 275 Mill. Dollar bereit. Bei Filoviren wie Ebola beträgt die Höchstauszahlung 150 Mill. Dollar, bei anderen abgedeckten Krankheiten wie dem Lassa-Fieber, das sich zuletzt in Nigeria ausbreitete, 75 Mill. Dollar.Für die Bekämpfung des aktuellen Coronavirus könnten laut Weltbank in der Spitze 195,83 Mill. Dollar bereitgestellt werden, selbst diese Summe wäre laut Ökonomen aber zu niedrig, um effektive Hilfen bereitzustellen. Zumal es nur bei einer pandemischen Grippe mit über 2 500 Toten das gesamte Geld auf einen Schlag gibt – für alle anderen Krankheiten existieren je nach Verlauf und Ausbreitung Auszahlungsschwellen.Beispielsweise betrachtet die Weltbank Ausbrüche als “regional”, wenn es in mehr als einem Staat, aber in weniger als acht Ländern Infektionsfälle gibt. Zudem müssen die betroffenen Länder Mitglieder der International Development Association (IDA) der Weltbank sein, also zu den 76 ärmsten Ländern der Erde gehören, um einen Antrag auf Zuschüsse stellen zu können. China, bislang am stärksten vom Coronavirus betroffen, ist dagegen die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt und auch beim Pro-Kopf-Einkommen weit von der Armutsgrenze entfernt. Gemäß konservativer Schätzungen gibt die Volksrepublik allerdings mindestens 10 Mrd. Dollar aus, um die Seuche unter Kontrolle zu bringen – hinzu kommen potenziell gewaltige ökonomische Schäden, die auf die Weltwirtschaft ausstrahlen. Gelder erst nach AusbruchDoch selbst wenn ein Land und die dort grassierende Seuche die Kriterien für eine Auszahlung erfüllen, dürften die Hilfen laut Kritikern wie der ehemaligen Weltbank- und heutigen Harvard-Ökonomin Olga Jonas häufig zu spät kommen. Denn die IBRD hat festgelegt, dass die Gelder nicht zur Prävention eines Ausbruchs bereitgestellt werden, sondern erst, wenn eine Krise bereits im Gange ist. Konkret heißt das, dass der erste Lagebericht der WHO zur jeweiligen Seuche drei Monate zurückliegen muss. Die Weltbank sieht darin laut Insidern kein Problem. “Länder haben Zugang zu Mitteln aus mehreren Quellen, darunter sind ihr eigener Haushalt, Beiträge von Spendern sowie Subventionen und Kredite der Weltbank und anderer Entwicklungsbanken”, heißt es aus der Organisation. Hinzu kämen Hilfsmechanismen der WHO und der UN, durch die Länder während der Reaktionszeit auf eine Krise liquide bleiben könnten. Die PEF sei eingerichtet worden, um eine Lücke zwischen dem Ausbruch einer Seuche und vor der Mobilisierung größer angelegter humanitärer Hilfen zu füllen.Laut Kritikern wie Jonas kommen die Bonds bislang aber vor allem den Investoren zugute. Trotz des ihnen zufolge geringen Auszahlungsrisikos fiel der Wert der Anleihen angesichts des grassierenden Virus zuletzt deutlich – einige Broker riefen laut der Agentur Reuters in der vergangenen Woche Angebotspreise für die A-Tranche zu 45 Cent auf den Dollar auf. Zum Vergleich: Während der Ebola-Epidemie ab 2014 fielen die Preise auf 70 Cent auf den Dollar. Zugleich bieten die am 15. Juli fälligen Bonds Investoren hohe jährliche Zinsen. Für die erste Tranche hat die Emittentin diese auf 6,5 % über dem Sechsmonats-Dollar-Libor festgelegt, für die zweite Tranche sogar auf 11,1 % über dieser. Nach der aktuellen Rate würden Investoren im Sommer eine Auszahlung von mehr als 8 bzw. knapp 13 % erhalten. Bezahlt werden die Zinsen nicht von der Weltbank, sondern von den Geberländern Deutschland und Japan. Meiste Investoren aus EuropaAllerdings sind die Bonds für die meisten Privatanleger wohl kaum erschwinglich, die Mindestanlagesumme beträgt 250 000 Euro. Dementsprechend waren laut Weltbank mit einem Anteil von 61,7 % nach der Emission hauptsächlich sogenannte “Dedicated Catastrophe Bond Investors”, also Fonds, die auf das Feld der Katastrophenanleihen spezialisiert sind, in die erste Tranche investiert. An der zweiten Tranche halten sie 35,3 %. Pensionsfonds kommen auf einen Anteil von 14,4 %, halten dafür aber mit 42,1 % den größten Anteil an der zweiten Tranche. Der Rest entfällt bei beiden Tranchen auf gewöhnliche Vermögensverwalter und sogenannte Endowments, die häufig mit Stiftungen verglichen werden und gemeinnützige Einrichtungen finanzieren.Die meisten Investoren stammen aus Europa, über beide Tranchen gerechnet halten sie ungefähr drei Viertel der Bondanteile. US-Anleger kommen auf etwas mehr als ein Fünftel, Geldgeber aus Japan und Bermuda teilen sich in die verbleibenden Anteile. Gezwungen werden musste offenkundig keiner von ihnen, Geld in den vermeintlichen Hilfsmechanismus zu stecken: Nach Angaben der Weltbank war die PEF-Transaktion 2017 mit 200 % überzeichnet.