Pennystock-Boom alarmiert Investorenschützer
Pennystock-Boom sorgt für Unruhe
Hunderte Billig-Aktien halten sich trotz Regelverstößen an der Nasdaq – Extreme Volatilität und Marktverzerrung als Folge
Zahlreiche an der Nasdaq gelistete Aktien sind auf Kursniveaus von unter 1 Dollar abgerutscht. Obwohl sie damit gegen die Regularien des Börsenbetreibers verstoßen, bleiben die Titel öffentlich handelbar – zum Unmut von Investorenschützern. Denn nicht nur für Privatanleger entstehen daraus weitreichende Folgen.
xaw New York
An der Nasdaq verbreitet die Rally von Technologiewerten wie Microsoft und Nvidia Glanz – doch die Börse muss sich verstärkt mit dem hässlichen Bodensatz der an ihr gelisteten Aktien auseinandersetzen. Denn während die Auswahlindizes des Marktbetreibers in Rekordhöhen notieren, ist eine Masse kleiner Titel im vergangenen Jahr unter das Kursniveau von 1 Dollar abgerutscht. Im Dezember waren in den USA laut Dow Jones Market Data insgesamt 557 solcher sogenannter Pennystocks gelistet, allein 464 davon an der Nasdaq – Anfang 2021 waren es weniger als ein Dutzend. Die stark gestiegene Präsenz der Billigwerte alarmiert Investorenschützer und sorgt für wachsende Unruhe um den Börsenbetreiber.
Kritiker argumentieren, dass der Pennystock-Boom die Gesundheit des Gesamtmarkts gefährde. Die Werte gehörten eigentlich in den Over-the-Counter-Markt, wo sie weniger sichtbar seien und insbesondere Privatanleger in geringerem Umfang zu Spekulationen verleiteten. Stattdessen erhielten die Billigtitel durch ihren Verbleib an der Nasdaq als einer der beiden führenden US-Aktienbörsen aber sogar eine Art Gütesiegel und würden zum unbeschränkten Handel über die meisten großen Broker verfügbar, womit der Marktbetreiber seiner Funktion als Torwächter nicht gerecht werde.
Gemäß den Listing-Regularien der Nasdaq sollen Titel, die anhaltend unter einem Kursniveau von 1 Dollar notieren, eigentlich vom Parkett fliegen. Die Börse verweist allerdings auf die Gnadenfrist, die in ihrem von der Wertpapieraufsicht SEC abgesegneten Rahmenwerk besteht. De facto können Pennystocks vor einem Zwangs-Delisting über ein Jahr lang im öffentlichen Handel verbleiben.
Viele Unternehmen, die ihre Nasdaq-Notiz halten und sich damit einen einfacheren Zugang zu Kapital wahren wollen, greifen auch über die Gnadenfrist hinaus zu Tricks. So ist die Zahl der Reverse Stock Splits in die Höhe geschnellt: Laut den Analysten von S&P Global Market Intelligence kam es in den USA im vergangenen Jahr zu 495 solcher Zusammenlegungen von Aktien, nachdem die Zahl bereits 2022 mit 288 ungewöhnlich hoch ausgefallen war. Zum Vergleich: Im Jahr 2013 gab es lediglich 98 Reverse Stock Splits.
Enorme Handelsvolumina
Besonders auffällig sind dabei Beispiele wie jenes von Bit Brother: Das in China ansässige Unternehmen verkaufte einst Teeprodukte, vermarktet sich seit 2021 aber als digitaler Assetmanager – und hat am 10. Januar je 1.000 seiner Aktien zu einer einzigen zusammengelegt, um über die Kursmarke von 1 Dollar zu gelangen. Vorausgegangen waren enorme Volatilitätssprünge. So wechselten im Dezember ohne ersichtlichen Grund mehrere Milliarden Bit-Brother-Aktien pro Tag den Besitzer, kurz nach Weihnachten entfielen 28% des Handels mit US-Dividendentiteln auf die Papiere der Chinesen.
Auch bei anderen Nasdaq-gelisteten Kleinwerten wie Phunware – der App-Entwickler ist vor allem für seine Beteiligung an der Wiederwahlkampagne Donald Trumps im Jahr 2020 bekannt – schießen die Volumina in jüngster Zeit durch die Decke. Die wiederholten Trading-Sprünge sind Teil des Trends um sogenannte "Meme Stocks", also Aktien, die von mittels Social-Media-Plattformen wie Reddit verabredeten Käufen durch eine Vielzahl an Privatanlegern profitieren.
Spac-Werte stürzen ab
Die Organisatoren solcher konzertierten Aktionen schoben dabei einst das Motiv vor, unter Druck geratenen Unternehmen wie dem Videospielhändler Gamestop im Kampf gegen Leerverkäufer beizuspringen. Mittlerweile räumen Nutzer in Online-Foren aber offen ein, dass es beim Trading von "Meme Stocks" vor allem um den Spaß am Handel und weniger um fundamentale Beweggründe geht.
Dass sie so viele Werte mit Cent-Notierung finden, ist auf den Boom um Special Purpose Acquisition Companies (Spac) zurückzuführen. Zwischen 2020 und 2022 gingen 365 Unternehmen durch eine solche Fusion mit einer Mantelgesellschaft an die Börse, binnen kurzer Zeit rutschte laut Spac Research mehr als ein Viertel in den Pennystock-Bereich ab. Auch die Präsidentin der New York Stock Exchange, Lynn Martin, bezeichnete den Anstieg der Spac-Deals im Interview der Börsen-Zeitung als "Herausforderung", betonte zugleich aber: "Spacs werden immer ihren Platz am Markt haben."
Weitreichende Folgeeffekte
Insbesondere an der Nasdaq ist laut Analysten daher weiter mit einer hohen Präsenz von Pennystocks zu rechnen. Die Volatilität dieser Titel birgt laut Kapitalmarktexperten nicht nur Verlustgefahren für Privatanleger, sondern droht auch das Bild institutioneller Marktteilnehmer auf Handelsvolumina zu verzerren und damit Folgeeffekte auszulösen.
Unterdessen stellt der starke Anstieg an Reverse Stock Splits auch Broker vor Probleme. Robinhood verlor durch einen Verarbeitungsfehler im Dezember 2022 beispielsweise 57 Mill. Dollar, nachdem der Handelsdienstleister nach eigenen Angaben mit Verspätung über die Zusammenlegung von je 25 Aktien des kleinen Pharmaunternehmens Cosmos Health zu einem Papier unterrichtet worden war. Auch Konkurrenten wie Charles Schwab riefen die Nasdaq daraufhin auf, die Transparenz rund um Reverse Stock Splits zu erhöhen – die Börse führte im vergangenen Jahr daraufhin eine Regel ein, gemäß der Unternehmen solche Maßnahmen spätestens zwei Werktage im Voraus ankündigen müssen.
Zudem will der Marktbetreiber, dem Investorenschützer im Umgang mit Pennystocks aufgrund der Bedeutung von Listings als Quelle direkter Einnahmen und monetarisierbarer Datenströme Interessenskonflikte unterstellen, nun einige der aufsehenerregendsten Billigtitel vom Parkett schmeißen. Bit Brother hat bereits eine Delisting-Notiz erhalten, doch die Chinesen kämpfen um ihren einfachen Zugang zum US-Kapitalmarkt.