IM INTERVIEW: UWE BURKERT, LANDESBANK BADEN-WÜRTTEMBERG

"PEPP wirkt wie ein extrem großer, starker Staubsauger"

EZB-Programm sollte zunächst reichen - Viele Unternehmen verbessern Liquiditätssituation deutlich - Steigende Zahl an Defaults erwartet

"PEPP wirkt wie ein extrem großer, starker Staubsauger"

Das EZB-Kaufprogramm PEPP sollte nach Ansicht von Uwe Burkert, Chefvolkswirt der Landesbank Baden-Württemberg, erst mal ausreichend zur Krisenbekämpfung am Markt sein. Es wirkt laut Burkert wie ein großer, starker Staubsauger und verdrängt private Nachfrage. Unternehmen stehen vor steigenden Defaults. Und der Dax könnte durchaus auf 18 000 Punkte klettern. Herr Burkert, die Europäische Zentralbank (EZB) hat ihr Maßnahmenpaket im Rahmen der Covid-19-Pandemiebekämpfung nochmals im Hinblick auf Umfang und Zeitrahmen ausgeweitet. Mal ehrlich: Reicht das?Zunächst ja. Wenn man sich den Finanzierungsbedarf der Staaten ansieht, der durch die Soforthilfen und die Konjunkturprogramme entsteht, ist das PEPP der EZB ausreichend. Gleiches gilt für Unternehmen und Subsovereigns. Ebenfalls sind die neugestalteten Tender für die Banken sehr attraktiv. Wir erwarten hier eine Rekordinanspruchnahme. Alles in allem sind die Maßnahmen sehr üppig bemessen und sehr flexibel. Ob es reicht, hängt letztendlich davon ab, ob wir im Herbst nicht eine zweite Infektionswelle sehen werden und es wieder zu großflächigen Lockdowns kommen muss. Und wie beurteilen Sie die Maßnahmen der Regierungen, insbesondere der Bundesregierung: Wird das die Konjunktur wieder in Gang bringen?Ich finde das Paket insgesamt sehr gelungen. Die Mischung aus sofort nachfragewirksamen und auf die Zukunft abzielenden Elementen ist aus meiner Sicht wirklich gut. Gerade die steuerlichen Maßnahmen sind sehr hilfreich, um Deutschlands Produktionspotenzial zu stärken und insbesondere die Digitalisierung zu beschleunigen. Welche ergriffenen Maßnahmen sehen Sie kritisch, das heißt mit weniger konjunkturstimulierender Wirkung?Bei der Mehrwertsteuersenkung hatte ich eine Halbierung für zwei Jahre gefordert, bevorzugt für den stationären Handel. 3 % für sechs Monate sind okay, aber letztendlich voraussichtlich zu kurz und zu wenig, um Wirkung zu zeigen. Insgesamt fehlt mir flankierend ein groß angelegter Bürokratieabbau. Die Krise hat ja gezeigt, wie flexibel und pragmatisch seitens Regierung und Verwaltung gehandelt werden kann. Dieser Schwung sollte jetzt aufgenommen werden, und die großen Zukunftsprojekte unseres Landes, die Energiewende, den Breitbandausbau und das 5G-Netz, sollten beschleunigt umgesetzt werden. Aber auch die Zukunft des Bildungssystems, beginnend schon bei den Kleinsten, gehört für mich dazu. Hier geht es wirklich um unser Potenzial. Und wir müssen ganz klar schneller werden. Und wenn eine zweite Infektionswelle kommt und ein erneuter Lockdown folgt: Können EZB und Regierungen dann noch überzeugend nachlegen?Die Zentralbank hat immer Möglichkeiten, bei den Regierungen sieht das schon anders aus. Letztendlich ist es eine Frage der Glaubwürdigkeit. Und hier hilft es der EZB natürlich, dass die anderen großen Notenbanken ebenfalls sehr großzügig sind. In Japan wird der erwartete coronabedingte Anstieg der Verschuldung von 15 Prozentpunkten komplett von der Bank of Japan aufgekauft werden. In den USA rund 10 Prozentpunkte von insgesamt 22 Prozentpunkten von der Fed, und in Europa, etwa in Italien, von 21 Prozentpunkten 7 Prozentpunkte durch die EZB. Hier sieht man, dass die EZB eher noch zurückhaltend unterwegs ist. Wie groß ist bereits zum jetzigen Zeitpunkt angesichts der Perspektive einer heftigen Rezession eine Abwärtsspirale aus Kaufzurückhaltung und fallenden Preisen, also Deflation?Pandemien haben in der Geschichte immer erst zu einem Nachfrageschock und dann zu einem Angebotsschock geführt. Auf jeden Fall aber zu einem Realzinseffekt über 10 bis 20 Jahre von bis zu 2 %. Der Angebotsschock resultiert aus einer Pleitewelle, die zeitverzögert die Kapazitäten der Volkswirtschaft deutlich reduziert. Wir stehen aktuell aber noch am Punkt des Nachfrageschocks, wobei es bei uns nicht am verfügbaren Einkommen liegt, sondern an den coronabedingten Beschränkungen und der nach wie vor vorhandenen Unsicherheit. Die staatlichen Liquiditätshilfen in Form von Krediten und Zuschüssen haben die Kapazitäten zunächst erhalten. Aber es zeichnet sich bereits jetzt eine Insolvenzwelle ab. In Zeiten der Globalisierung wäre das grundsätzlich kein Problem für das Angebot, da entsprechend Importe bereitstünden. In Zeiten von “America First” und zunehmenden Handelshemmnissen kann das allerdings ganz anders aussehen. Kurzfristig ist ein Deflationsschock möglich, mittel- bis längerfristig aber erwarten wir wieder steigende Inflationsraten. Welche Effekte zeigt PEPP derzeit auf die Anleihemärkte – Primär- und Sekundärmarkt -, und welche Wirkungen erwarten Sie in den kommenden Wochen und Monaten?Das PEPP wirkt wie ein extrem großer, starker Staubsauger. Es verdrängt zum Teil private Nachfrage, somit ein Crowding-out der besonderen Art. Gerade bei Unternehmensanleihen wird das sichtbar. Hier werden die zu erwartenden Downgrades und die damit verbundenen Risiken nicht entsprechend bepreist. Aber auch bei Staatsanleihen ist das erkennbar. Mit der Errichtung eines europäischen Wiederaufbaufonds, so wie er letztlich von der EU vorgeschlagen ist, bekommen wir eine neue Ausrichtung in Europa. Damit ist die Zeit des Weiterwurstelns zu Ende. Deutschland hat sich auf die Seite Frankreichs gestellt und damit eine EU und EWU romanischer Prägung in Aussicht gestellt. Oder anders ausgedrückt: die Macht des Faktischen akzeptiert. Damit findet aus meiner Sicht auch eine Neubewertung der europäischen Staatsanleihemärkte statt. Platzierungsschwierigkeiten sind weit und breit nicht in Sicht. Bondemissionen sind zum Teil erheblich überzeichnet. Setzt sich das fort?Ja, denn der Investitionsbedarf der institutionellen Anleger wird immer größer – und das verfügbare Angebot durch die weltweiten Ankaufprogramme der Notenbanken immer begrenzter. Hinzu kommt das negative Realzinsniveau in Europa, die Nullverzinsung und damit ein unter wirtschaftlichen Aspekten zusätzlich eingeschränktes Angebot. Ein großes Dilemma. Die Unternehmen bevorraten Liquidität auch für den Fall, dass die Märkte wieder geschlossen sein könnten. Wird Geld auch noch aus anderen Gründen über die Märkte besorgt?Starke Unternehmen sichern sich auch finanzielle Spielräume für mögliche Übernahmen. In Krisenzeiten trennt sich ja bekanntermaßen die Spreu vom Weizen – und damit bieten sich günstige Kaufgelegenheiten. Aber auch die Profiteure staatlicher Konjunkturhilfen müssen sich das notwendige Kapital sichern und entsprechende Liquidität aufbauen. Wie stehen die deutschen Unternehmen in Sachen Solvenz derzeit da?Uneinheitlich. Viele Unternehmen waren vor der Krise sehr liquiditätsstark und haben ihre Liquiditätssituation nochmals deutlich verbessert. Das hilft den meisten, gut durch die Krise und die Zeit danach zu kommen. Allerdings zeigt sich, dass Unternehmen, die vorher schon zu kämpfen hatten, jetzt mit voller Wucht getroffen werden. In Krisenzeiten kommt es sehr stark auf die Banken an und auf deren Know-how, Unternehmen durch die schwierige Zeit zu begleiten, Finanzierungen anzupassen, Sanierungen umzusetzen. Aber nicht nur darauf, sondern auch auf deren Kapitalkraft. Wenn nun die aufsichtlichen Lockerungen für die Banken nur für begrenzte Zeit bestehen und mit den 2020er Abschlüssen die notwendigen Ratinganpassungen umgesetzt werden, steht zu befürchten, dass die Unternehmen dann mit deutlich weniger Finanzierungsmöglichkeiten dastehen. Daher halten wir eine aufsichtliche Lockerung über die Dauer der Erst- und Zweitrundeneffekte der Coronakrise hinweg für unbedingt notwendig. Eine zu frühe Rückkehr zum Vorkrisenstand gefährdet aus meiner Sicht die volkswirtschaftliche Basis unseres Landes – den Mittelstand. Das ganze Ausmaß des Lockdowns sehen wir in den Reihen der Unternehmen erst mit den Zahlen zum zweiten Quartal und den dann erfolgenden Ausblicken der Unternehmen. Worauf stellen Sie sich ein?Wir erwarten weiterhin rückläufige Gewinne. China sollte zwar besser werden, aber die USA und Europa sind schwach und werden es noch bleiben. Die Nachfrage ist noch weit entfernt vom Vorkrisenniveau, und auch die Investitionen sind sehr niedrig. Daher geben wir noch keine Entwarnung. Rechnen Sie in Europa und speziell in Deutschland mit mehr Defaults, das heißt Kreditereignissen und Insolvenzen?Ja, das tun wir. Allerdings gilt es hier, genau auf die sogenannten Trigger-Events zu schauen, da sich durchaus immer wieder die Frage nach einem technischen Default stellen könnte. Gerade bei Credit Default Swaps kommt es darauf an, wie welche Rettungsmaßnahme ausgestaltet ist. Insgesamt sollten aber bei den kapitalmarktrelevanten Adressen die Ausfälle weit unter den Erwartungen der Ratingagenturen bleiben, die sehr stark auf quantitative Modelle setzen und die staatlichen Stützungsmaßnahmen nicht entsprechend einkalkulieren. Welche Branchen wird es am heftigsten treffen?Zunächst die offensichtlichen. Luftfahrt und Handel. Das ist nichts Neues, zeigt aber auch die Problematik von Rettungsaktionen und Wettbewerb deutlich auf. Die weniger offensichtlichen könnten in einem leisen Unternehmenssterben enden. Die vielen kleineren mittelständischen Unternehmen aus dem Dienstleistungsbereich, die coronabedingt nicht an alte Zeiten anknüpfen können und die auch vorher zu wenig Reserven hatten. Und das können durchaus mehrere zehntausend Unternehmen sein. Wir erwarten aber auch verstärkte Übernahme- und Fusionsaktivitäten, was de facto auch eine Marktbereinigung bedeutet. Welche Branchen stehen robust da?Grundsätzlich ist es schwierig, Branchen Robustheit zu attestieren. In jeder Branche gibt es robustere und weniger robuste Unternehmen. Aber generell sind Branchen, die von Corona profitiert haben, derzeit im Vorteil. Dazu zählen Hightech, Onlinehandel, Lebensmittelhandel, Pharma. Aber es kommen auch Branchen hinzu, die von den Konjunkturprogrammen profitieren werden, zum Beispiel Versorger, Bau, Telekomausrüster et cetera. Robustheit beziehe ich nicht nur auf die finanzielle Situation, sondern auch auf das Geschäftsmodell. Die enorme Liquiditätsschwemme der Zentralbanken treibt die Aktienmärkte an – so wie es auch schon in früheren Krisenjahren zu beobachten gewesen ist. Mancher Index hat seine krisenbedingten Verwerfungen, die seit März erfolgten, schon wieder ausgebügelt. Steht der Dax bald bei 15 000 Punkten?Mittelfristig sind 15 000 und sogar 18 000 Punkte fundamental gut ableitbar. Die Liquidität und die Hoffnung auf Konjunkturprogramme lassen die Bewertungen nach oben schnellen in der Hoffnung, dass die Gewinne folgen werden. Dies ist das typische Bild, setzt allerdings voraus, dass es keine zweite Infektionswelle und im nächsten Jahr eine flächendeckende Impfung oder Medikation gegen Covid-19 gibt, die zumindest die schlimmsten Verläufe verhindert. Das ist aus meiner Sicht eine sehr optimistische Annahme. Ist dieser schnelle Anstieg nicht ein heftiges Alarmsignal, das zum Ausstieg motivieren sollte?Zunächst wurde dieser schnelle Anstieg durch die historischen Liquiditätsinjektionen begünstigt. Die Folge war, dass die vorsichtigen Marktteilnehmer, die sich rationalerweise abgesichert haben, zunehmend unter Performancedruck gekommen sind und ihre Absicherungen öffnen mussten. Damit hat die Hausse die Hausse genährt. Aktuell ist aber zum Beispiel beim S&P 500 das Put-Call-Ratio bei 0,4, dem tiefsten Stand seit drei Jahren. Im Klartext: Obwohl der schnellste Kursabsturz der Geschichte erst wenige Monate her ist, scheint die Risikowahrnehmung in den Köpfen der Anleger bereits wieder verschwunden zu sein. Damit könnte ähnlich wie nach einer langen Sommerphase ein reinigendes Gewitter bevorstehen. Das Interview führte Kai Johannsen.