Pfund droht bei Brexit der Absturz

Hohes britisches Leistungsbilanzdefizit ist Hauptrisiko bei möglichem EU-Austritt

Pfund droht bei Brexit der Absturz

Sollten sich die Briten heute für einen Ausstieg aus der Europäischen Union entscheiden, so würde nach nahezu einhelliger Einschätzung von Marktakteuren das britische Pfund abstürzen. Grund dafür ist das hohe britische Leistungsbilanzdefizit. Großer Gewinner am Devisenmarkt wäre der Schweizer Franken.Von Stefan Schaaf, FrankfurtDie Befürworter eines britischen EU-Austritts argumentieren vor allem mit der Rückgewinnung von Souveränität. Doch dies hätte seinen Preis: Denn egal ob britische Großbank, deutsche Landesbank oder die sonst eher europaskeptische dänische Saxobank, nahezu einhellig prognostizieren Devisenstrategen einen Pfund-Absturz im Fall eines Brexit-Votums.Nach Einschätzung von HSBC (vgl. unten stehendes Interview) könnte das Pfund bei einer Mehrheit gegen die EU rund 15 % vom aktuellen Niveau von rund 1,47 Dollar abstürzen. Andere Experten sehen es ähnlich. Für die Briten wäre der Preis des Brexit damit mindestens der drastische Verlust internationaler Kaufkraft und wegen steigender Einfuhrpreise ein deutlicher Inflationsanstieg.Das Hauptrisiko für das Pfund ist nach Einschätzung von Volkswirten das hohe britische Leistungsbilanzdefizit. Es beträgt 5 % der Wirtschaftsleistung und ist damit relativ gesehen deutlich höher als in vielen anderen entwickelten Ländern. Sollte es im Fall eines Brexit zum Versiegen der Kapitalzuflüsse nach Großbritannien kommen, so müsste die Währung zum Ausgleich der Leistungsbilanz deutlich abwerten. Kein Szenario eingepreistDoch egal wie das Votum ausgeht, mit dem Vorliegen erster Ergebnisse in der Nacht zu Freitag dürften die Märkte zu hohen Ausschlägen neigen. Dies gilt insbesondere für den asiatischen Handel, solange noch kein klarer Trend der Volksabstimmung zu erkennen sein wird. Die Ausschläge dürften auch deshalb so groß werden, weil die Märkte weder ein Brexit- noch ein Bremain-Szenario eingepreist haben. Grund dafür ist das Kopf-an-Kopf-Rennen der beiden Lager in den Meinungsumfragen. Zuletzt war jedoch die Wahrscheinlichkeit eines EU-Verbleibs aus Marktsicht gestiegen. Die Landesbank Baden-Württemberg schätzt die Wahrscheinlichkeit hierfür auf 70 % ein und bewegt sich damit im Gleichlauf mit vielen Konkurrenten. Die Citigroup setzt die Bremain-Wahrscheinlichkeit beispielsweise mit 60 % an. Der Wettanbieter Betfair ermittelte gestern eine Wahrscheinlichkeit von 75 % für einen Verbleib in der EU.Für die Entwicklung des Pfundes in der kommenden Nacht und am Freitag besteht damit ein asymmetrisches Risiko: Das Abwertungsrisiko ist deutlich höher als das Aufwertungsrisiko. Gestern waren die Märkte risikofreudig eingestellt, was auf die Erwartung eines Sieges des Bremain-Lagers hindeutet. Der Optimismus könnte verfrüht sein, warnt die Commerzbank. “Das Remain-Lager mag zwar im Vergleich zum Beginn der letzten Woche gestärkt in das Referendum gehen. Doch ein Sieg ist alles andere als ausgemachte Sache.” Franken-Parität möglichWährend das Pfund im Fall des Brexit ebenso wie Risikoanlagen wie Aktien wohl verlieren würde, dürften die üblichen sicheren Häfen wie Bundesanleihen, Gold und Schweizer Franken angesteuert werden. Die Volkswirte des bankenunabhängigen Research-Hauses Capital Economics halten in diesem Fall die Parität von Euro und Franken für wahrscheinlich. Gestern kostete ein Euro kaum verändert rund 1,0825 Franken. Nach Einschätzung der Experten hat die Schweizer Nationalbank “nicht genügend Munition, um eine Aufwertung zu verhindern”.Und die Briten selbst? Sie decken sich Medienberichten zufolge mit Euro und Pfund ein. Das sichert sie gegen den Kaufkraftverlust eines Brexit-Votums ab und verspricht ihnen im Fall des Bremain sogar Gewinne mit ihrer Währungsspekulation.