Pfund tritt in "kritische Phase" ein

Ungeregelter Brexit könnte Absturz auf Parität zum Euro zur Folge haben - Aufwertung bei Einigung

Pfund tritt in "kritische Phase" ein

Seitdem sich abzeichnet, dass Boris Johnson britischer Regierungschef wird, hat das Pfund gegenüber dem Euro deutlich an Wert verloren. Analysten sehen es nun in einer kritischen Phase: Ob Absturz auf die Parität oder Aufwertung, das hängt vor allem davon ab, ob es einen ungeregelten Brexit gibt oder nicht.Von Stefan Schaaf, FrankfurtDas Brexit-Votum war für die Briten bislang ein schlechter Deal. Denn seit Juni 2016 hat das Pfund zum Euro gut 17 % abgewertet. In diesem Umfang haben die Briten an Kaufkraft in Europa eingebüßt, müssen also mehr für Pauschalreisen ans Mittelmeer oder deutsche Autos zahlen als ohne Brexit. Und die Verluste könnten noch größer werden. Je wahrscheinlicher ein ungeregelter Brexit wird, desto mehr dürfte Sterling nach Einschätzung von Währungsanalysten abwerten. “Die Brexit-Risiken steigen”, heißt es im jüngsten Währungsausblick von BoA Merrill Lynch Global Research. Der Markt trete, ebenso wie beim Handelsstreit zwischen China und den USA, in “eine kritische Phase”.Ohne Brexit wäre den Briten dieser Verlust an Kaufkraft wohl erspart geblieben, sie hätten sogar an solcher wohl gewinnen können. Denn von konjunktureller und geldpolitischer Seite gab es eigentlich Rückenwind für die britische Währung gegenüber dem Euro. Doch fundamentale Faktoren spielen für deren Wert immer weniger eine Rolle. Sie wird zunehmend von politischen Risiken getrieben und ähnelt damit einer Schwellenländer-Währung, wie David Bloom, Leiter der Währungsanalyse bei HSBC, nach dem Brexit-Votum im Interview der Börsen-Zeitung bemerkte. Das Pfund also an der Seite von Lira und Peso statt von Euro und Yen?So weit ist es noch nicht. Aber die jüngste Abwertung von rund 8 %, allein seitdem sich im Mai abzeichnete, dass Boris Johnson Premierminister werden würde, geht vor allem auf das Konto politischer Unsicherheit. Die DZ Bank spricht von “Sorgen vor einem ungeregelten Brexit” als Hauptgrund dafür, dass das Pfund gegenüber dem Euro zuletzt so schwach wie während dessen Flash Crash im Jahr 2016 war. Seinerzeit war die britische Währung in einem illiquiden Handel in Asien eingebrochen. “Angesichts der jüngsten Dynamik erscheint sogar das historische Hoch von Ende 2008 nicht mehr unerreichbar”, betont die DZ Bank. Seinerzeit war das Pfund nach dem Zusammenbruch des britischen Immobilien- und Bankenmarktes fast auf die Parität zum Euro abgesackt. Am Dienstag notierte der Euro bei rund 92,50 Pence. Chaos drohtDas Pfund leidet seit dem Brexit-Votum darunter, dass die Briten sich von ihrem wichtigsten Handelspartner, nämlich der Europäischen Union, abwenden wollen. Dies könnte, so Volkswirte, die Konjunktur massiv belasten. “Tatsächlich sind die wirtschaftlichen Folgen eines Chaos-Brexits schwer zu kalkulieren”, schreibt die Helaba. “Wenigstens kurzfristig wäre aber ein harter konjunktureller Rückschlag unvermeidbar. Das britische Pfund tendierte deshalb schon seit Mai schwächer.” Der Bank zufolge wäre ein No-Deal-Brexit zwar auch in der EU zu spüren, aber mit weitaus geringeren Folgen. “Das Pfund würde bei einem No-Deal in jedem Fall spürbar nachgeben. Der Euro-Pfund-Kurs dürfte dann um die Parität notieren.” Außerdem dürfte Volkswirten zufolge die jüngste Stabilisierung der britischen Volkswirtschaft, wie sie etwa die Arbeitsmarktdaten für Juli signalisierten, bei einem ungeregelten Brexit dahin sein. Unklar ist, was die jüngsten festen Inflationsdaten zeigen: robuste Konjunktur oder importierte Inflation?Ein besonderes Risiko für die britische Wirtschaft geht zudem vom Leistungsbilanzdefizit aus, das mit 4,4 % der Wirtschaftleistung einen für Industrieländer sehr hohen Wert hat. Es bedeutet, dass 4,4 % des britischen BIP von Kapitalzuflüssen finanziert werden. Sollten diese abreißen, weil etwa EU-Anlegern im Zuge eines ungeregelten Brexit der Zugang zum britischen Kapitalmarkt erschwert würde, so würde die Volkswirtschaft im Vereinigten Königreich in eine schwere Rezession abgleiten. Das Vorbild wäre Griechenland, das 2009 nach einem politischen Schock (gefälschte Bilanzen) und angesichts des Ausbleibens von Kapitalzuflüssen (wegen der globalen Finanzkrise) in die De-facto-Staatspleite rutschte. Die Briten könnten an diesem Punkt gegensteuern, weil sie eine eigene Notenbank haben. Allerdings würde eine extrem expansive Geldpolitik das Pfund wohl ebenfalls tief abrutschen lassen. Eine deutliche Abwertung würde es auch ermöglichen, geringere Kapitalzuflüsse in eine größere Menge Pfund zu verwandeln und somit die britische Binnenwirtschaft nominal zu stabilisieren. Der Preis dafür wäre allerdings ein Verlust an internationaler Kaufkraft und damit eine deutlich höhere Inflationsrate. Die Bank of England geriete damit in einen Konflikt zwischen Inflation und Konjunktur. Da Johnson Sympathie für einen Vertreter einer lockeren Geldpolitik als Nachfolger von Notenbank-Gouverneur Mark Carney erkennen lässt, könnte das Pfund auch von dieser Seite her unter Abwertungsdruck kommen. Möglicherweise kommt es jedoch schon vor dem angepeilten EU-Austrittsdatum am 31. Oktober zu Neuwahlen für das Unterhaus in London. “Für die Währung wären dies dann zweischneidig”, so die Helaba. “Einerseits könnte es im Parlament eine Mehrheit für ein zweites Referendum geben (ein EU-Verbleib wäre dennoch nicht gesichert), andererseits könnte ein totales Chaos oder eine ,klassisch-linke` Wirtschaftspolitik einer Labour-Regierung dem Pfund schaden.” Hohe RisikenSollte der Brexit jedoch verschoben werden, um eine Einigung mit der EU über die Austrittsmodalitäten im zweiten Anlauf zu erzielen, oder gar ein geregelter Austritt feststehen, so könnte das Pfund deutlich aufwerten. Die Helaba rechnet für dieses Szenario mit einem Kurs von 80 Pence je Euro. “Grundsätzlich besitzt das Pfund signifikantes Aufwertungspotenzial, allerdings sind die Risiken diesmal ungewöhnlich hoch”, so die Bank. “Nicht nur Boris Johnson braucht gute Nerven.”